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Bis 1973 kamen knapp 650 000 Türken zumeist als Gastarbeiter nach Deutschland, der Großteil – 80 Prozent – stammte nicht aus dem westlicher geprägten Istanbul sondern aus ländlichen Regionen.

7. November 2010 / 07:28 Uhr

Türkische Gastarbeiter kamen auf Druck der USA

Nach den verheerenden Schäden des Zweiten Weltkrieges erholte sich Deutschland zu Ende der 1940er Jahre erstaunlich schnell. Bereits 1950 überschritten die Reallöhne das Vorkriegsniveau, die Wirtschaft boomte enorm. Es war die Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders. In dieser Situation benötigte die deutsche Industrie immer mehr Arbeitskräfte. Um diesen Bedarf zu decken, schloss die Bundesregierung ab 1955 Anwerbeabkommen mit verschiedenen Staaten; das bekannteste davon ist wohl jenes mit der Türkei aus dem Jahr 1961. Eine schöne Geschichte mit einem Haken: Sie ist ein Mythos. Heike Knortz weist in ihrem Buch “Diplomatische Tauschgeschäfte” auf die wahren Gründe der Anwerbeabkommen hin.

Problematische NATO-Partner Italien und Türkei

Während der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland seinesgleichen suchte, verlief die Entwicklung in anderen NATO-Staaten nicht so günstig; Italiens Wirtschaft kam nach dem Krieg erst langsam wieder in Schwung. Vor allem der Süden des Landes war von grassierender Arbeitslosigkeit betroffen, die Einkommen und der Ausbildungsstandard waren niedrig. Italien geriet gegenüber Deutschland immer mehr ins Hintertreffen, was sich vor allem in einer stark negativen Handelsbilanz niederschlug. Im Sicherheitsgefüge der NATO nahm Italien dabei einen wichtigen Platz ein: Durch seine herausragende Rolle im Mittelmeer und seine Frontstellung gegenüber dem kommunistisch dominierten Balkan war das Land für das westliche Bündnis unverzichtbar. Gleichzeitig war die kommunistische Partei die stärkste KP im NATO-Raum, eine kommunistische Machtergreifung musste um jeden Preis verhindert werden. Das Fotos rechts zeigt italienische Bergleute im Jahr 1962, wie sie in deutschen Sitten und Gebräuchen unterrichtet werden.

Auch der Türkei fiel eine besonders wichtige Rolle innerhalb der NATO zu. Der Sowjetunion war durch sie der Zugang zum Mittelmeer verwehrt, und das Land sicherte die östliche Flanke des Bündnisses. Außerdem war die Türkei einer der Frontstaaten des Kalten Krieges und ein wichtiges Sprungbrett in den Nahen Osten. Ähnlich Italien war die wirtschaftliche Lage nicht gerade rosig, große Teile des Landes unterentwickelt, der Bildungsstandard noch weit niedriger. Dazu kam die politische Instabilität: 1960 putschte das Militär, Terror von rechts und links erschütterte das Land in der Folge.

Deutschland soll die NATO wirtschaftlich stabilisieren

Um ihre wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen und die Länder zu stabilisieren, forcierten zuerst Italien, danach aus ähnlichen Gründen Spanien (im Bild links die Unterzeichnung des Abkommens) und Griechenland die Anwerbeabkommen. Die Entsendestaaten erhofften sich vielfältige Vorteile aus der Arbeitsmigration: Durch die Devisen, die die Gastarbeiter in ihre Heimatländer überwiesen, sollte der eigene Devisenmangel zumindest gedämpft werden. Außerdem würde dadurch die drückende negative Handelsbilanz teilweise ausgeglichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Entlastung des eigenen Arbeitsmarktes. Zusätzlich erhofften sich die Entsendeländer, dass die Gastarbeiter in Deutschland mit modernen Produktionsmethoden vertraut würden und dieses Wissen auch in ihren Heimatländern einbringen würden.

Skepsis in Deutschland, Druck aus den USA

Nachdem Griechenland 1960 ein entsprechendes Abkommen abgeschlossen hatte, wollte auch die Türkei in den Genuss dieser Vorteile kommen. Arbeitsminister Theodor Bland reagierte zunächst ablehnend auf das Ansinnen. Die sozialen und kulturellen Unterschiede seien zu groß, der deutsche Arbeitsmarkt noch nicht ausgeschöpft. Daraufhin machten die USA Druck, um dem wichtigen Verbündeten Türkei zu helfen. Das Auswärtige Amt, das sich bereits bei den vorhergehenden Abkommen wesentlich williger gezeigt hatte, führte darauf die Verhandlungen zu einem positiven Abschluss.

Massenzuwanderung beginnt

Bis 1973 kamen knapp 650 000 Türken nach Deutschland, der Großteil – 80 Prozent – stammte nicht aus dem westlicher geprägten Istanbul sondern aus ländlichen Regionen. Das stand im Gegensatz zu den ursprünglichen Intentionen, nur Arbeiter aus dem europäischen Teil der Türkei anzuwerben. Auch das Rotationsprinzip, wonach jeder Arbeiter nach zwei Jahren ausgetauscht werden sollte, wurde sehr schnell aufgegeben. Als größter Einwanderungsmotor sollte sich aber der Familiennachzug erweisen. Entgegen den eigentlichen Plänen, nur unverheiratete Türken ins Land zu lassen und so die Familienbildung in Deutschland zu verhindern, konnten die Gastarbeiter ab 1974 ihre Familien nachzuholen. Heute leben über zwei Millionen türkische Staatsbürger in Deutschland, eingebürgerte Türken sind dabei nicht mitgerechnet.

Nachteilige Folgen für Wirtschaft und Sozialsystem

Auch wenn dies in den 1960er Jahren noch schwer absehbar war, so hatte die Anwerbungspolitik bereits damals negative Folgen für die deutsche Wirtschaft. Durch die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte in großer Zahl konnten Wirtschaftszweige, die vor allem ungelernte Arbeiter benötigen, länger überleben. Derartige Produktionen sind inzwischen aber größtenteils in Billiglohnländer abgewandert. Eine frühzeitige Strukturänderung hin zu höher technisierter Produktion und zu zukunftsträchtigeren Industriezweigen wurde so zumindest verzögert.

Auch für das Sozialsystem brachte die Masseneinwanderung große Probleme. 2005 waren 25 Prozent der Türken in Deutschland arbeitslos, 40 Prozent zählten zu den Langzeitarbeitslosen. Dazu kommen erhebliche Belastungen für das Pensionssystem. Die von Minister Blank erkannten kulturellen Unterschiede haben dazu in den deutschen Großstädten zur Bildung von Parallelgesellschaften (im Bild eine Moschee in Berlin-Kreuzberg) geführt. In Summe überwiegen also die negativen Auswirkungen der Anwerbeabkommen bei weitem.

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