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Tempel in Indien: Farbenpracht und pompöse Feste täuschen über die strenge Kastengesellschaft ohne Chance auf Aufstieg hinweg.

30. November 2018 / 14:58 Uhr

Religionen der Welt, Teil 4: Der Hinduismus

So wie Indien keine Nation eines Volkes ist, sondern ein Vielvölkerstaat, so ist der Hinduismus keine zentral gesteuerte Religion. Während sich das Christentum, der Buddhismus und der Islam auf einen Gründer berufen, so hat der Hinduismus, die Religion Indiens, mehrere Väter.

Vorgängerreligionen

Bis etwa 1750 v. Chr. beherrschten vor-vedische Religionen Indien. Dies waren im wesentlichen Stammesreligionen mit Ahnen-, Dämonen-, Tier- und Mutterkulten. Diese dürften dann mit der Entwicklung der indischen Kultur in den vedischen Hinduismus übergegangen sein.

Vedische Phasen

Die Geschichte des Hinduismus beginnt mit der Einwanderung indogermanischer Völker. Von Nordwesten eingewanderte Arier begannen ihre religiösen Lehren und das der ansässigen Völker als Veda (Wissen) aufzuschreiben. Zwischen 1750 und 1200 v. Chr. wurden die ansässigen und eingewanderten Völker Indiens sesshaft und fanden zu einer Wertegemeinschaft zusammen. Zwischen 1200 und 850 v. Chr. entwickelten sich Stadtstaaten und ein standardisiertes Priestertum.

Ab dem Jahr 850 vor unserer Zeitrechnung kommt es zur standardisierten indischen Staats- und Gesellschaftsform, die heute noch die Kultur Indiens durchdringt. Im Zuge der Entwicklung eines Systems bildete sich die Priesterkaste. Ihr war es vorbehalten, dem Einzelnen auf dem Weg zur Erleuchtung, einer günstigeren Wiedergeburt oder dem Zugang zu den Himmeln zu helfen. Dies führte zu einer ausgeprägten und für den Priesterstand wirtschaftlich interessanten Opferkultur.

Asketische Phase

Als Reaktion auf verschwenderische Opferrituale, bei denen sich der Brahmanen-Stand bereicherte, folgte um 500 v. Chr. eine Vielzahl asketischer Gurus mit ihren Anhängern. Harte Askese und für Außenstehende bizarr wirkende Feste, Persönlichkeiten und Rituale sind seither fester Bestandteil des Hinduismus.

Klassischer Hinduismus

Um 200 v. Chr. folgte eine Blütezeit der Religion ihrer größten Ausbreitung bis ins heutige Pakistan. Die Religion wurde standardisiert, deren Lehren zusammengetragen und die alte Sprache Sanskrit als Hof- und Ritualsprache eingeführt. Die Verfestigung religiöser und gesellschaftlicher Strukturen verringerte die persönliche Freiheit der Einzelnen. Ein Wechsel der Kaste war kaum möglich, bestenfalls konnte man als Asket aus dem System ausbrechen. Witwenverbrennung, Kinderheirat und die fehlende Möglichkeit, seine durch Geburt vorgegebene Situation zu ändern, wurden durch den Glauben an Schicksal und Karma einzementiert.

Islamisierung

Bereits im Jahre 711 wurde der Sindh, ein Teil Pakistans, durch islamische Heere erobert. Um etwa 1100 begann sich der Islam auch Indien auszubreiten.

Aufgrund der Vielgötterei, Götterstatuen und Bilder war der Hinduismus eigentlich keine Religion, die im Islam schutzwürdig gewesen wäre. Mangels anderer Religionen, die der Schutzsteuer unterliegen, blieb der Hinduismus als Dhimmi-Religion unter islamischer Herrschaft erhalten.

Die islamischen Mogul-Reiche breiteten sich bis nach Südindien aus. Um 1700 erreichte das Mogul-Reich unter Muhammad Aurangzeb Alamgir seine größte Ausdehnung, wobei nur der Südteil Indiens nicht erobert worden war. Danach folgte der Niedergang des Mogul-Reiches und die Auflösung in regionale Fürstentümer.

Englische Herrschaft/Ost-Indien-Kompanie

Europäische Staaten begannen in der Neuzeit, ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss weltweit über privilegierte Handelskompanien auszubreiten. Mehrere Staaten entsandten ostindische Kompanien, die mit militärischen und wirtschaftlichen Mitteln um die Vorherrschaft über ein Handelsgebiet kämpften. Auch die Britische-Ost-Indien-Kompanie verfügte über eigene Streitkräfte. Diese besiegten um 1757 in der Schlacht bei Plassey das letzte indisch-islamische Reich der Bengalen. Das wird als Beginn der englischen Herrschaft in Indien betrachtet.

Was zählt, ist Profit für England

Die Ost-Indien Kolonie diktierte den unterlegenen Fürstentümern ihre Handelsbedingungen, insbesondere Dumpingpreise für Produkte. Sie behinderte die Christianisierung, um zu verhindern, dass konvertierte Untertanen als Christen rechtlich bessergestellt wurden. Nach Jahren des vollkommenen Monopols und fröhlicher Urstände verlor die Ostindien-Kompanie nach und nach ihre exklusiven Ansprüche über Britisch-Indien. 1876 wurde es unter Königin Victoria von Großbritannien zum Kaiserreich Indien und blieb bis Gründung der Republik Indien 1949 britische Kronkolonie.

Heutige Situation

Der Hinduismus ist die Mehrheitsreligion Indiens. Andere Religionen werden zwar formal geduldet, aber durchaus schikaniert. Radikale Hindus tyrannisieren andere Religionen oder sorgen dafür, dass religiöse Minderheiten rehinduisiert werden. Die Religionsausübung und der Übertritt sind Gesetzen und bürokratischen Vorschriften unterworfen. Behörden wirken im Falle eines Übertritts zum Hinduismus fördernd, suchen aber im umgekehrten Fall Fehler des Antragsstellers oder verschleppen das Verfahren.

Glaubenshinhalte – Einheit und Vielheit

Der Hinduismus hat zwar viele Götter, glaubt jedoch an ein einziges göttliches Prinzip, das hinter allen Erscheinungsformen der belebten und unbelebten Umwelt, dem Diesseits und dem Jenseits steht. Dieses Prinzip heißt Brahman, es ist die Theorie von allem. Es bringt Welt, Lebewesen und Götter hervor. Es ist ungefähr mit einem Meer und einzelnen Wassertropfen vergleichbar. Die Seelen sind Wassertropfen aus dem göttlichen Meer und können wieder dorthin zurückfallen. Da aus dem Meer sehr viele Wassertropfen in die Wolken gelangen können, gibt es eben sehr viele Lebewesen, angefangen von Kriechtieren über Menschen bis hin zu einer riesigen Götterwelt mit abertausenden lokalen Gottheiten, einigen wichtigeren Gottheiten und drei Hauptgöttern.

Götterwelt – Trimurti, die hinduistische Dreifaltigkeit

Der Hinduismus lehrt eine zyklische Vorstellung eines Kreislaufs aller Dinge. Dieser Kreislauf besteht aus drei Eckpunkten. Diese sind Entstehen, Sein und Vergehen. Sie folgen einander etwa nach dem System Schere-Stein-Papier. Damit neue Dinge entstehen können, muss zuerst das alte vergehen oder zerstört werden. Wenn es entstanden ist, kann man es am Leben halten, erst Bestehendes kann zerstört werden. Diese Eckpunkte des Kreislaufs aller Dinge werden durch die Hauptgötter vertreten. Sie heißen Brahma, der Schöpfer, Vishnu, der Erhalter und Shiva, der Zerstörer.

Sonstige Götter

Da die die drei Hauptgötter sehr menschlich dargestellt werden, entwickelten sich im Laufe der Zeit zahlreiche Geschichten um sie. Darin dürfen natürlich Gegenspieler, Geliebte, Kinder, Gattinnen und sonstige Verwandtschaftsbeziehungen nicht fehlen.

Veda, die indische Bibel

Der oben erwähnte Veda ist die wichtigste heilige Schrift. Er enthält eine Sammlung göttlicher Offenbarungen, zum Beispiel Loblieder an Götter, deren Beschreibung und Schöpfungsgeschichten. Die Veda ist entfernt mit der Bibel vergleichbar. Der Unterschied besteht darin, dass nicht die Beziehung des Volkes Israel mit Jahwe beschrieben wird, sondern das Schicksal, die Götter und das göttliche Prinzip. Eine Sammlung aller Veden mit englischer Übersetzung entspricht etwa 2500 Seiten, wobei die christliche Bibel etwa 1200 Seiten enthält. Ähnlich wie in der Bibel sind die Inhalte der Veda über Jahrhunderte entstanden und schließlich in ein endgültiges Werk zusammengefasst worden.

Wiedergeburt und Karma

Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Hinter wirklich allem wird eine Ursache gesehen. Westliche Werte wie Zufall, Wahrscheinlichkeit, Pech oder Glück tragen bestenfalls eine untergeordnete Rolle zum Schicksal eines Menschen bei. Daher ist auch die Geburt kein Zufall, sondern eine Folge vorangegangener, meist selbstverschuldeter Ereignisse.

Im Zusammenhang mit dem Glauben an Wiedergeburt ergibt sich, dass gute Taten oder Rituale im nächsten oder schon in diesem Leben belohnt werden. Im Gegenzug werden schlechte Taten durch eine schlechtere Wiedergeburt oder durch schlechte Ereignisse in diesem Leben bestraft. Man kann als Reicher, Armer, Elender oder sogar als Tier wiedergeboren werden. Je nach Tat gibt es höhere und niedrigere Wiedergeburt als Tier, zum Beispiel als Wurm, je nach Sündenkonto. Daher betrachtet ein Hindu das Leid seiner Mitmenschen oder Mitlebewesen als deren eigene Schuld. Bisweilen ist deswegen einem Hindu das Leid seiner Mitlebewesen gleichgültig, insbesondere das der niedrigeren Kasten oder der weiblichen Familienangehörigen.

Kastenwesen

Im Allgemeinen versucht ein gläubiger Hindu nur Kontakt zu gleich- oder höherwertigen Kasten zu haben. Der Kontakt zu niedrigeren Kasten oder niedrigen Tieren gilt als unrein, und man besudelt damit sein Karma, was ebenfalls zu einer schlechteren Wiedergeburt führen kann. Das Kastenwesen wirkt in die Speisevorschriften des gläubigen Hindu hinein. Eine Speise hat jedenfalls möglichst rein zu sein. Die Berührung einer Speise durch eine niedrigere Kaste führt dazu, dass die Speise nicht mehr gegessen werden darf. Daher sind Restaurants nicht ursprünglicher Teil der indischen Kultur. Man isst nur mit Gleichgestellten und gibt sich nicht mit Gesindel ab. Falls man hierzulande im Beruf mit einem gläubigen Inder zu tun hat, kann es durchaus sein, dass dieser nach Berührung des Tellers durch einen Kollegen nicht mehr weiterisst, sondern plötzlich vorgibt, satt zu sein.

Das Kastenwesen unterscheidet zwischen Hauptgruppen und Untergruppen, wobei die Untergruppen Jati genannt werden. Die Hauptgruppen heißen Varna und sind Folgende:

o Brahmanen (Gebildete, Ausleger heiliger Schriften, Priester)

o Kshatriyas (Krieger und Fürsten, höhere Beamte)

o Vaishyas (Händler, Kaufleute, Grundbesitzer, Landwirte)

o Shudras (Handwerker, Pachtbauern, Tagelöhner)

o Darunter befinden sich die Kastenlosen oder die Paria, die Unberührbaren

Natürlich ist dem Hinduismus eine gewisse Hackordnung vorzuwerfen. Sozial Benachteiligte fühlen sich dadurch von anderen Religionen wie Sikhismus, Buddhismus, Islam und Christentum angezogen. Ihnen wird so sozialer Aufstieg, Gleichheit vor dem Schöpfer und Erlösung in Aussicht gestellt. Aber erlöst auch ein Übertritt zu einer anderen Religionsgemeinschaft einen Inder vom Kastenwesen? Eher nicht, es ist allgegenwärtig und durchdringt auch andere Religionsgemeinschaften praktisch im Alltag.

Religiöse Pflichten – Die Heilige Kuh

Sie steht für die Mutter Erde und ist den Indern heilig. Zwar dürfen die “fünf heiligen Gaben” der Kuh, nämlich Butter, Milch, Urin, Fladen und Joghurt verwendet werden, aber unter keinen Umständen darf ihr irgendein Leid zugefügt werden. Es ist lebenswichtig, in Indien niemals in den Verdacht zu geraten, Rindfleisch gegessen zu haben. Berichte über diesbezügliche Lynchjustiz sind leicht im Netz auffindbar.

Kühe haben in Indien Narrenfreiheit und wandeln unbehelligt durch die Straßen der Großstädte. Kühe werden nicht vertrieben, überfahren oder auf die Seite geschoben. Es isst nicht unwahrscheinlich, dass man im Falle eines bevorstehenden Zusammenstoßes mit einer Kuh sein Auto eher in eine Menschengruppe lenkt. Sollte sich eine Kuh entschlossen haben, auf einem Gleis zu stehen, wartet auch ein völlig überfüllter Zug geduldig, bis sich Majestät von selbst entschließt, weiterzugehen und Platz zu machen.

Rituale und Feste

So bunt, üppig und zahlreich vorhanden wie Hausaltare sind die Rituale, die im Alltag befolgt werden können. Gebete, Opfergaben, Prozessionen, bunte Feste mit religiösen Tänzen durchdringen die gesamte Kultur.  Anlässe für Zeremonien oder Feste gibt es zur Genüge, und meistens werden diese mit Inbrunst gefeiert und ernst genommen. Im Alltag finden sich natürlich normalere Zeremonien.

Kitsch-Orgien

Religiöse Aufführungen oder Feste wirken aber häufig unerträglich kitschig. Prunk, Pracht, Detailverliebtheit, schrille Farben, Körperbemalung, Konfetti, umhergestreutes Farbpulver, freundliche Götterbilder, exakte jahrelang einstudierte bis in die Fingerspitzen reglementierte Bewegungen bei Tänzen, glänzende, bunte Kleidung und Blumenschmuck erdrücken den westlichen Geschmack bei getanzten und gesungenen Darbietungen. Dem Übermaß an Süße und sonstigen Reizen, auch Schmerzen, sind keine Grenzen gesetzt.

Feste des Schmerzes

Bei Festen des Schmerzes werden Nadeln, Messer und Speere durch Wangen, Lippen, Zunge, Haut und viele weitere Körperteile gerammt. Manchmal werden Haken durch die Haut des Rückens gestochen, daran Seile befestigt, um einen anderen Gläubigen oder einen Wagen mit einem Tempelchen darauf hinter sich herzuziehen. Der Kreativität, dabei Körperteile zu durchstechen, sind keine Grenzen gesetzt. Dennoch sind auch diese Feste des Schmerzes häufig sehr bunt und musikalisch.

Zusammenfassung

Kultur, innere und äußere Spiritualität durchdringen Indien vollkommen und haben einen sehr hohen Stellenwert. Der kulturelle Reichtum ist unerschöpflich, dagegen wirkt der Westen kahl, nüchtern und langweilig. Für einen Europäer mag das entweder faszinierend oder erdrückend wirken. Man kann jedenfalls nicht behaupten, dass Indien kulturelle Bereicherung nötig hätte. Andere Religionen haben aufgrund der schrillen Selbstdarstellung und des selbstbewussten und intoleranten Auftretens der Hindus keine Chance.

Buntheit überdeckt erzkonservative Grundeinstellung

Zwar haben indische Feste, Bilder, Räucherstäbchen, Yoga, die Veden, indische Philosophie oder sonstige Ritual-Utensilien auf weltoffene Europäer eine anziehende Wirkung. Auch der Philosoph Arthur Schopenhauer fand Trost in den Upanischaden (Bestandteil des Veda). Es ist aber ein Irrglaube, dass diese Religion besonders tolerant, sozial oder gar humanistisch wäre. Die schrillen Farben, netten Mantras, Yoga, Gurus und süßen Gesänge verdecken nämlich die Tatsache, dass soziale Reformen aufgrund des tief verwurzelten Kastenwesens und des damit verbundenen Standesdünkels nur sehr schwer in Gang kommen können. Eigenes Denken und Handeln, Risikobereitschaft, sozialer Aufstieg durch Leistung oder gar der “amerikanische Traum” gehören nicht zur Mentalität Indiens. Weder ist die Kultur Indiens links, noch neoliberal, sondern trotz aller bunten Farben erzkonservativ.

Der Hinduismus mag zwar von New-Age-Hippies dazu benutzt werden, ihr Leben mit Festen, Ritualen, Farben und spirituellen Übungen anzureichern und im Extremfall die Wirkung von halluzinogenen Pilzen oder LSD durch den spirituellen Kontext zu steigern. Eine Reise nach Indien kann aber sehr schnell ernüchternd wirken. Im Netz finden sich genug Artikel über allein reisende naive Mäderl, die dann und wann die Kehrseite der indischen Kultur in den Unterleib gerammt bekommen. Nicht wenige einheimische und reisende Damen durften als Draufgabe von einem Baum herab Indien aus einem atemberaubenden Blickwinkel betrachten.

Esoterik und Realität

Der Hinduismus innerhalb Indiens bietet zwar einen unerschöpflichen kulturellen Reichtum. Dennoch ist er oft nicht das, was westliche Idealisten, Veganer, Sitar-Spieler, Chai-Trinker, Yoga-Freaks, Konvertierte, Veda-Philosophen, Guru-Jünger und sonstige Esoteriker auf der Suche nach spiritueller Vollendung dort finden wollen.

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