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11. Juli 2010 / 12:30 Uhr

Georgien – Stalins unbotmäßige Söhne

BildJosef Dschugaschwili, besser bekannt unter seinem Pseudonym Stalin, ist mit Sicherheit der berühmteste Sohn Georgiens, doch mit seinen heutigen Landsleuten würde ihn wohl wenig verbinden. Neben den baltischen Staaten war Georgien das erste Land, das sich 1991 von der Sowjetunion für unabhängig erklärte. Wie kein anderer Nachfolgestaat des roten Imperiums ging Georgien in den zwei folgenden Jahrzehnten auf Konfrontationskurs mit Russland, der schließlich 2008 in offenen Krieg mündete.

Ursprungsland des Weins mit altem Alphabet und langer Tradition

Nach jüngsten Erkenntnissen wurde auf dem Gebiet des heutigen Georgien bereits 8000 vor Christus Weinbau betrieben; schon damals wurden dem Wein Konservierungsstoffe zugesetzt, so dass dieser ähnlich wie griechischer Retsina geschmeckt haben dürfte.

Auch das aus 33 Buchstaben bestehende georgische Alphabet wurde im 5. Jahrhundert vor Christus entwickelt und ist damit nur etwa 200 Jahre jünger als das lateinische.

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Das Kloster Davit Garetscha aus dem 6. Jahrhundert.

Als das Christentum im antiken georgischen Königreich Iberien 337 n. Chr. zur Staatsreligion erklärte wurde, wurde es damit zu einem der ersten christlichen Reiche der Erde. Nach dem Zerfall Iberiens im frühen Mittelalter entstand zu Beginn des 11. Jahrhunderts wieder ein vereintes Georgisches Königreich, das der legendäre König David der Erbauer zu politischer und kultureller Blüte führte. Viele Kirchen und Klöster entstanden zu dieser Zeit, zahlreiche theologische und historische Schriften wurden verfasst. Nach dem Mongolensturm zerfiel dieses Reich.

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Die drei georgischen Republiken

Im Zuge der russischen Expansion in den Kaukasus zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet die Region unter den Einfluss des Zaren und konnte erst nach der Oktoberrevolution eine kurze Unabhängigkeit erreichen. Diese erste Demokratische Republik Georgien (1918 – 1921) wurde von sozialdemokratischen Menschewiki regiert. Die brutale Zerschlagung des jungen Staates durch die Bolschewiki 1921 wurde von westlichen, vor allem deutschen Sozialdemokraten mit Bestürzung verfolgt und trug zur Entfremdung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten bei.

Eduard SchewardnadseVon 1921 bis 1991 gehörte Georgien zur Sowjetunion, wo es die Georgische SSR bildete. Der georgische Nationalismus nahm in den 1980er Jahren stark zu, die Macht der Kommunisten schwand. Das brutale Vorgehen sowjetischer Sondereinheiten am 9. April 1989 gegen friedliche Demonstranten löste eine Welle der Empörung aus. Das bereits schwer angekratzte Ansehen der Moskauer Zentrale sank auf einen Tiefpunkt. So war es nicht verwunderlich, dass im ersten frei gewählten Georgischen Obersten Sowjet die Nationalisten unter dem Dissidenten und Schriftsteller Swiad Gamsachurdia fast zwei Drittel der Abgeordneten stellten und im April 1991 die Unabhängigkeit erklärt wurde.

Gamsachurdia forderte den sofortigen Abzug aller Sowjettruppen und verweigerte auch die Teilnahme an der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten GUS als Nachfolgeorganisation der UdSSR. Sein Regime dauerte nur kurz, bereits im Dezember wurde er unter russischer Mithilfe gestürzt, Nachfolger wurde der letzte sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse (Bild rechts).

Georgien auf Westkurs

Nachdem Schewardnadse zu Beginn seiner Amtszeit mehrere Konzessionen an Russland, darunter den Beitritt zur GUS und die Zustimmung zu drei Militärstutzpunkten, gemacht hatte, näherte er sich sehr bald an die USA und den Westen an. Nach einer strategischen Partnerschaft mit der NATO strebt das Land bis heute eine Vollmitgliedschaft an. Im Gegenzug unterstützten die USA das Land mit großzügiger Wirtschaftshilfe, Waffenlieferungen und Militärberatern, während die russischen Militärbasen geschlossen wurden.

Von der Rosenrevolution zum Krieg mit Russland

George Bush und Michael SaakashwiliUnter der Regierung Schewardnadses, der sich vor allem auf die alten kommunistischen Kader stützte – er war bis 1985 erster Sekretär der Georgischen KPdSU -, grassierte die Korruption. Das Land war de facto unter verschiedenen Clans aufgeteilt, Wahlen wurden manipuliert. Die mehr und mehr unhaltbaren Zustände führten 2003 zur sogenannten Rosenrevolution, und Schewardnadse musste seinen Sessel zugunsten seines ehemaligen Proteges Michael Saakaschwili räumen, im Bild links mit dem früheren US-Präsidenten George Bush. Vor allem Russland warf den USA und von ihnen unterstützten NGOs massive Unterstützung Saakaschwilis vor, der sich vor allem bei den vormaligen Anhängern Gamsachurdias durch scharfe antirussische Rhetorik profilierte.

Saakaschwili versuchte die Korruption einzudämmen und die Staatsfinanzen zu sanieren. Doch auch seine Herrschaft blieb nicht unangefochten: 2007 kam es zu Massenprotesten der Opposition, einmal mehr waren Wahlmanipulation und Korruption die Vorwürfe. Diesmal warf die Regierung Russland vor, die Demonstranten zu unterstützen, wobei Saakaschwili sich in diesem Machtkampf durchsetzen konnte.

Separatisten und Krieg mit Russland

BildBereits direkt nach der georgischen Unabhängigkeit war es in den drei Teilgebieten Südossetien, Abchasien im Norden und Adscharien im Süden zu Separations-bestrebungen gekommen, die von Russland mehr oder weniger offen unterstützt wurden, um so Druck auf die georgische Regierung auszuüben. Während es Saakaschwili 2004 gelang, Adscharien wieder der Zentralregierung zu unterstellen, blieben die beiden anderen Gebiete weiterhin de facto unabhängig. Der Versuch, mit der von den USA neu organisierten und ausgerüsteten Armee 2008 auch Südossetien (im Bild georgische Soldaten) und Abchasien zurückzuerobern, führte zur Intervention Russlands. Der Konflikt endete mit einer totalen Niederlage Georgiens und der Anerkennung der Unabhängigkeit dieser beiden Territorien durch Moskau. Allgemein wird Georgien neben der Ukraine im Kreml als ein Schlüsselstaat angesehen, was den stetigen Druck des Kremls erklärt.

Das Tor zum Kaukasus

Durch seine geographische Lage gilt Georgien als Tor zum Kaukasus. Die starke Westorientierung des Landes stellt für Russland deswegen eine große Herausforderung dar. Für den Westen sind vor allem zwei durch Georgien verlaufende Pipelines von großer Bedeutung, da so sowohl Russland als auch der Iran als Transitstaaten für Erdöl und Erdgas aus dem Kaspischen Meer und Zentralasien umgangen werden können.

Von der sowjetischen Schweiz zur Hyperinflation

Galt Georgien unter der späten Sowjetära auf Grund des hohen Lebensstandards als Schweiz der Sowjetunion, so trafen deren Zerfall und die kriegerischen Konflikte das Land besonders stark, sodass es in den 1990er Jahren zu einer Hyperinflation kam. Erst ab 2005 konnte sich das Land langsam erholen. Große Hoffnungen werden in den Transitverkehr aus Zentralasien gesetzt, da Georgien über wenig eigene Rohstoffe und geringe industrielle Produktion verfügt.

Weitere Feindschaft mit Russland?

Die Zerschlagung der ersten georgischen Republik, die brutale Unterdrückung zu Sowjetzeiten und der jüngste Konflikt haben bleibende Wunden in der georgischen Gesellschaft hinterlassen, die die große Feindschaft zu Russland erklären. 2008 hat sich aber erwiesen, dass die NATO nicht in der Lage oder nicht willens ist, das Land effektiv gegen die Macht im Norden zu verteidigen. Wie sich das Land in dieser prekären Situation weiter entwickeln wird, bleibt damit schwer einzuschätzen.

20 Jahre nach dem Kommunismus

Unzensuriert.at beleuchtet jedes Wochenende ein Land, das bis vor 20 Jahren unter kommunistischer Herrschaft stand. Bisher veröffentlicht:

Tadschikistan – Das Armenhaus Zentralasiens

Kirgisistan – Jurten im Himmelgebirge

Weißrussland – Europas Stiefkind

Usbekistan – Das stolze Erbe Tamerlans

Turkmenistan – Das Reich des "Turkmenbashi"

Die Ukraine – zerrissenes Land zwischen Ost und West

Kasachstan: Von Stalins Völkerkerker zum begehrten Handelspartner

20 Jahre danach: Russland am Scheideweg

Fotos: Paata Vardanashvili / Frank Bentner

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