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20. April 2015 / 21:00 Uhr

Tragödie im Mittelmeer: Moralisieren allein hilft noch nicht

Nun also ist das nächste Flüchtlingsunglück passiert. Die letzten Zahlen sprechen von über 900 Ertrunkenen – womit es das bisher schwerste derartige Unglück wäre. Und es wird nicht das letzte sein. Verlässlich wie stets sind wieder einmal alle kurz betroffen und fragen mit dem überlauten Brustton der Empörung, der die billigste Möglichkeit ist, sich selbst moralisch zu erhöhen: Wie konnte so etwas nur passieren?

Gastkommentar von Harald Vilimsky

Ob man nun EU-Parlamentspräsident ist ("die Mitgliedsländer sind schuld"), ob man bei Günther Jauch eingeladen ist (mit Schweigeminute, die es bei anderen Unglücken mit zahlreichen Toten normalerweise nicht gibt) oder ob man einfach nur Anwärter auf das Twitteria-Verdienstkreuz werden will, der Tenor ist einhellig: Es ist eine Schande für Europa. Und: Es darf nie wieder passieren.

Ein paar Punkte aus meiner Sicht dazu:

1. Klartext: Wir reden von Einwanderung, nicht von Asyl.

Die mediale Darstellung des Themas wirkt mitunter wie gleichgeschaltet: Es geht dabei ausschließlich um bedauerliche Menschen, die bedroht und verfolgt sind und deshalb – den Tod vor Augen – aus ihrem Heimatland fliehen müssen. Ja, diese Schicksale gibt es. Ja, sie sind tragisch. Ja, genau dafür gibt es das Asylrecht – und das ist gut so.

Doch diese Schicksale sind nicht alles, ja sie sind nicht einmal annähernd die Mehrheit. In Österreich wurden in den zehn Jahren zwischen 2004 und 2013 insgesamt rund 161.000 Asylanträge gestellt. Davon wurden aber nur rund 39.000 positiv entschieden, das sind nur 24%. Das heißt: Drei von vier Antragstellern konnten keinen Asylgrund glaubhaft machen. Dazu kommen noch die Illegalen, die es gar nicht erst via Asylantrag versuchen.

Über die "Zentrale Mittelmeerroute" sind laut EU 2014 rund 171.000 Menschen nach Italien gekommen – davon mit etwa 40.000 nicht einmal ein Viertel aus dem Bürgerkriegsland Syrien.

Auch wenn es zahlreiche Medien und politisch Verantwortliche nicht so darstellen wollen: Dort, wo von "Flüchtlingsströmen" geredet wird, geht es häufig einfach um Migration. Um den – verständlichen – Wunsch, seine Lebensverhältnisse durch Einwanderung nach Europa zu verbessern.

Das aber ist etwas grundlegend Anderes als das Verfolgt- und Bedrohtsein, weshalb es dafür auch ganz unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen gibt. Vereinfacht gesagt:

  • Asyl heißt: Wer glaubhaft machen kann, dass er in seinem Heimatland verfolgt wird, darf solange bleiben, bis die Gefahr vorbei ist.
  • Einwanderung heißt: Das Einwanderungsland kann sich aussuchen, wer und wieviele Menschen unter welchen Bedingungen aus welchen Ländern kommen dürfen.

Heute wird hier in der allgemeinen Debatte kaum noch differenziert; das Asylrecht wird de facto großflächig zu Einwanderungsversuchen missbraucht. In der öffentlichen Diskussion wird – entgegen der klaren rechtlichen Grundlage – häufig so getan, als umfasse das Asylrecht jeden beliebigen Grund, sein Land zu wechseln. Das macht die Diskussion nicht ehrlicher und leichter, wird aber von vielen Medien und Politikern bewusst vermischt.

2. Es gibt viele Schuldige. Wir Europäer gehören nicht dazu.

In den vergangenen Tagen bekam man den Eindruck, dass sich die veröffentlichte Meinung angesichts der jüngsten Untergangstragödien im Mittelmeer auf eines geeinigt hat: Die EU ist schuld daran. Und weil ja wir alle zusammen die EU sind, sind wir selbst schuld daran.

Von da ist es dann nicht mehr weit, zu behaupten, wir seien Mörder, was einzelne Journalisten schon auch so artikuliert haben. So schaut vielleicht eine Kampagne aus, die Druck auf eine Grenzöffnung machen soll, aber keine politische Analyse.

Derzeit hat die EU-Organisation Frontex den Einsatz im Mittelmeer über, den sie vergangenen November von Italien übernommen hat. Frontex ist freilich dafür da, die EU-Außengrenzen zu schützen, unter anderem vor illegaler Einwanderung. Frontex ist nicht Baywatch für Bootsflüchtlinge.

Das mag angesichts der Ereignisse zynisch klingen, sollte aber jedem klar sein, der einen Blick auf die Homepage der Organisation macht. Weder Dimension noch Auftrag der für das Mittelmeer verantwortlichen Operation "Triton" lassen derzeit großflächige Rettungsaktionen zu.

Was in der Debatte um Verantwortlichkeit und Schuld aber weitgehend ausgeblendet bleibt, sind andere Aspekte:

Kriminelle Schlepperorganisationen: Sie verdienen Vermögen damit, Menschen auf kaum seetüchtige Boote zu pferchen, die sich hoffnungslos überfüllt Richtung Italien quälen. Die Bootsmannschaften verschwinden rechtzeitig; mitunter schlagen sie die Boote auch noch leck, damit ein Zurückschleppen an den Ausgangspunkt unmöglich gemacht wird. Wenn man schon Mörder suchen wollte, hier fände man sie.

Und – auch das ist zynischer Teil des Geschäfts: Je höher die Wahrscheinlichkeit einer Rettung durch die EU, desto besser für das Geschäft der Schlepper. Denn dann werden sich noch mehr Menschen entschließen, den Weg über das Meer zu nehmen.

Afrikas Staaten selbst: Wanderungsbewegungen und Flüchtlingsströme sind immer auch die Folge des Versagens von Regierungen und Staaten. Die Menschen wollen dort nicht mehr sein oder sie können dort nicht mehr sein. Afrika hat die größte Migrationsrate der Welt. Angeblich 35 Millionen Afrikaner wohnen außerhalb ihres Heimatlandes. Man kann sich vage vorstellen, was passiert, wenn sich da nur ein Teil Richtung Europa in Bewegung setzt.

Auch Jahrzehnte nach der Entkolonialisierung hat sich auf dem "Schwarzen Kontinent" kaum etwas gebessert. Despotische Regierungen plündern ihre Länder und tun genau das, was man früher den Weißen vorgeworfen hatte. Davon liest man ziemlich wenig, wenn von den Ursachen der Migration die Rede ist. Afrika wird hier von Europa völlig aus seiner Eigenverantwortung entlassen.

Der Arabische Frühling ist gewissermaßen ein Teilaspekt davon: In Europa medial wie politisch beklatscht und für einige Zeit gehypt, schließlich in Sonntagsreden und Leitartikeln wieder in der Versenkung verschwunden, als sich herausstellte, dass viele der naiv-optimistischen Analysen, die das Aufblühen von Demokratie als unvermeidlichen Entwicklungsschritt sahen, nicht einmal ansatzweise zutrafen.

Das Ergebnis: "Failed states" wie Libyen, autoritäre Militärregierungen wie Ägypten oder Bürgerkrieg wie in Syrien. Die Folge daraus: Das Schlepper-Business findet vor allem in Libyen, das seit dem Sturz Gaddafis bar jeder staatlichen Ordnung ist, eine solide Geschäftsgrundlage für die gefährliche Reise nach Italien. Ein hervorragendes Beispiel für eine auf voller Länge gescheiterte Außenpolitik der EU.

3. Wo die Besten weglaufen, wird nichts besser.

Jetzt werden allerorts wieder Lösungen in der "Flüchtlingsfrage" (die überwiegend eine Migrationsfrage ist) eingefordert. Offen bleibt, was eigentlich gelöst werden soll:

Geht es um die Rettung von Menschenleben? Dann wäre aufsammeln, aber an den Ausgangspunkt der Reise nach Nordafrika zurückbringen, ein adäquater Ansatz.

Geht es um die Gewährung von Asy
l? Dann kann man Überprüfungen, ob ein Asylgrund vorliegt, auch in Nordafrika vornehmen (Stichwort: Aufnahmezentren). Und dann muss man zügig auch jene ausfiltern, die keinen Asylgrund haben, aber den Apparat zu Lasten der wirklich Bedürftigen beanspruchen.

Oder geht es in Wirklichkeit um mehr Zuwanderung von außerhalb Europas in die EU? Jeder, der das will, soll es klar sagen. Und soll aufhören, sich hinter einem Potemkinschen Dorf aus vorgeblicher Moral zu verstecken. Das wäre eine klare Position. Nicht die unsere natürlich, aber immerhin eine, die man im öffentlichen Diskurs einer Demokratie auf ihre Mehrheitsfähigkeit abtesten könnte.

Das Problem daran ist nur folgendes: Ein paar mehr hereinzulassen, löst gar nichts. Alle, die wollen, hereinzulassen, würde schlicht und einfach den Zusammenbruch unseres gesamten Systems bedeuten. Und würde lediglich dazu führen, die massiven Probleme Afrikas erfolgreich auch in Europa zu etablieren: ein programmierter Absturz in so ziemlich allen Parametern für uns, kein besonderer Aufstieg für die Einwanderer. Manch europäische "Borderliner", die für offene Grenzen plädieren, wünschen sich genau so etwas. Mehrheitsfähig ist das aber definitiv nicht.

Und das heißt letztlich: Es gibt keine Lösung. Zumindest dann nicht, wenn man unter Lösung die schnelle und massive Verbesserung der Lebensbedingungen von Abermillionen Menschen in vorwiegend afrikanischen Entwicklungsländern meint. Um die müssen sie sich vor allem einmal vor Ort selber kümmern. Wenn die Jungen, Tüchtigen, Intelligenten und Fitten weglaufen, werden ihre Chancen nicht besser. Das mag  schlimm sein, können aber wir nicht lösen, sondern bestenfalls helfend unterstützen.

Die Frage, wieviele Menschen wir aufnehmen können, bleibt letztlich akademisch. Sie hängt nämlich davon ab, wieviele wir aufnehmen wollen. Und welche Einschränkungen wir bereit sind, dafür in Kauf zu nehmen, was wir hergeben wollen.

Wir als FPÖ haben hier stets klar Position bezogen:

  • Asyl: Verfolgten helfen, ja. Missbrauch nein.
  • Zuwanderung: nur soweit, als sie notwendig und verkraftbar ist.
  • Offene Außengrenzen: Nein.

Klar für mich ist: Eine unter dem Deckmantel der Flüchtlingspolitik geführte Massenzuwanderung als Fortsetzung des Moralisierens mit anderen Mitteln kann nur scheitern. Daran ändern auch Unglücke wie das jüngste nichts – so tragisch sie tatsächlich auch sein mögen.

Harald Vilimsky ist Delegationsleiter der FPÖ im Europäischen Parlament und Generalsekretär der FPÖ. Dieser Artikel ist auf der Webseite www.fpoe.eu erschienen.

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