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23. November 2010 / 16:17 Uhr

NATO-Gipfel in Lissabon wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet

Scharfschütze der deutschen Bundeswehr im Afghanistan-Einsatz

Als am Samstag der zweitägige NATO-Gipfel in Lissabon zu Ende ging, sprach der deutsche Außenminister Guido Westerwelle von einem historischen Treffen, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sah danach den Kalten Krieg als endgültig beendet an. Erstmals sei eine echte Zusammenarbeit mit Russland auf dem Verteidigungssektor vereinbart worden, die NATO würde sich eher defensiv orientieren und auch der Afghanistankrieg solle bis 2014 beendet sein. Das Bündnis wolle sich strategisch neu aufstellen, um für die Bedrohungen der Zukunft gewappnet zu sein. Bereits vor dem Gipfel war das Wort “historisch” in aller Munde. Die Realität sieht anders aus und offenbart die Konzeptlosigkeit des Bündnisses.

Neues Verhältnis zu Russland?

Die Ankündigung von Russlands Präsident Dimitrij Medwedew, mit der NATO bei dem geplanten Raketenabwehrschild kooperieren zu wollen, sieht auf den ersten Blick wie eine Trendwende in der russischen Außenpolitik aus. Heftig hatte sich noch sein Amtsvorgänger Wladimir Putin dagegen gesträubt. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber viele Fragezeichen. Bisher existiert der Abwehrschirm nur auf dem Papier, seine Realisierung wird viel Geld kosten, seine Wirksamkeit ist umstritten. Das Projekt erinnert an Ronald Reagans SDI-Raketenabwehr im Weltraum. Wann und ob überhaupt ein wirksamer Schutz bestehen wird, ist fraglich. Dazu hat der Kreml offensichtlich festgestellt, dass er den Abwehrschirm so oder so nicht verhindern könnte, allen Drohgebärden zum Trotz.

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Sein Mitwirken am Aufbau des Raketenabwehrschirms verknüpfte Medwedew allerdings mit weitreichenden Forderungen: Volle Transparenz und Informationsweitergabe sei für die Zusammenarbeit erforderlich. Die NATO müsste dementsprechend ihre technischen und strategischen Geheimnisse zumindest teilweise mit dem Kreml teilen, will sie die Russen wirklich mit an Bord haben. Außerdem stellte der russische Präsident der NATO gleichzeitig die Rute ins Fenster. Sollte es zu keiner Zusammenarbeit kommen, wolle Russland seine Nuklearstreitkräfte ausbauen. Angesichts der angespannten Wirtschafts- und Finanzlage Russland könnte eine derartige – extrem kostspielige – Aufrüstung nur zu Lasten der konventionellen russischen Streitkräfte gehen. Angesichts der Militäreinsätze im Kaukasus und Zentralasien eine schwierige Entscheidung für den russischen Bären. Russland hat aber noch einen Trumpf im Ärmel: Afghanistan.

Rückzug aus Afghanistan bis 2014

Scharfschütze der deutschen Bundeswehr im Afghanistan-EinsatzBis 2014 will sich die NATO aus Afghanistan zurückziehen. Der Krieg verursacht nicht nur immense Kosten, er wird auch zunehmend unpopulärer. Deswegen sollen in den nächsten vier Jahren die Taliban-Rebellen besiegt und die afghanischen Streitkräfte auf eine solide Basis gestellt werden, um selbst für Sicherheit im Land zu sorgen. Russische Hilfe wäre dabei von höchstem Nutzen. Die Russen sichern mit ihren Truppen im unruhigen Tadschikistan schon jetzt die Nordflanke der NATO in diesem Konflikt. Ein Einsatz russischer Einheiten im Land selbst könnte die NATO – Soldaten erheblich entlasten.

Ob allerdings die Rebellen in vier Jahren wirklich besiegt sind, darf ebenso bezweifelt werden wie die Einsatzfähigkeit des afghanischen Militärs in diesem Zeitraum. Das Vorgehen erinnert frappierend an die “Vietnamisierung” des Vietnamkrieges Anfang der 1970er Jahre. Die südvietnamesichen Einheiten hielten nach Abzug der Amerikaner gerade noch drei Jahre gegen ihren Feind aus Nordvietnam aus – genauso lange wie der kommunistische Staatschef Afghanistans Mohammed Nadschibullah nach dem Abzug der Sowjets. Angesichts des atomar bewaffneten Nachbarstaates Pakistan, der mit Afghanistan eng verbunden ist, könnte sich eine weitere Destabilisierung in der Region verheerend auswirken.

Absichterklärungen statt Konzepten

Auch in den Bereichen Terrorismus und Cyberkrieg blieb es bei Absichtserklärungen; einig wurden sich die Bündnispartner hingegen bei der Reduzierung ihrer Hauptquartiere. Außerdem bekräftigte das Bündnis einmal mehr seinen Zusammenhalt – eine Erklärung, die wohl auch an die Adresse Russlands ging. Bereits mehrmals hatte der Kreml versucht, die NATO zu spalten, wobei Deutschland und Frankreich diesbezüglich seine bevorzugten Ziele waren. Ein wichtiges Thema blieb auf dem Gipfel größtenteils ausgespart: der Irak. Wie es im Nahen Osten nach dem beschlossenen Abzug der US-Streitkräfte aus dem Land weitergehen soll, scheint ungewiss.

Österreich zieht Abwesenheit vor

Im Gegensatz zu den ebenfalls neutralen Staaten Schweden und Finnland glänzte Österreichs Staatsspitze auf dem Gipfel durch Abwesenheit – ein Umstand, der der Opposition sauer aufstieß. Der freiheitliche Abgeordnete Elmar Podgorschek kritisierte die “Ignoranz und Planlosigkeit” der Bundesregierung in Angelegenheiten der Sicherheitspolitik. Trotz Neutralität hätten die in Lissabon getroffenen Entscheidungen massive Auswirkungen auf Österreich, eine sicherheitspolitische “Vogel-Strauß-Politik” sei verheerend, merkte der Abgeordnete an.

Die Strategie der NATO ist weiterhin ungewiss

Das mächtigste Militärbündnis der Welt scheint in einer Sackgasse. Das Verhältnis zu Russland ist – trotz aller freundlichen Worte – ungeklärt, die langfristige Strategie in Afghanistan und im Irak ebenso. Auf Grund finanzieller Probleme wird in allen Mitgliedsstaaten der Wehretat gekürzt. Die Absicht, zusammenhalten zu wollen, wird für die Zukunft nicht ausreichen.

Foto: PO 2nd Class Walter Wayman / Wikimedia

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