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8. Dezember 2010 / 14:57 Uhr

USA und Türkei: Partnerschaft im Wandel

Barack Obama und Abdullah GülFür Europäer oftmals unverständlich, engagieren sich die USA besonders stark für einen EU-Beitritt der Türkei. Bereits in der Vergangenheit waren die USA immer ein großer Fürsprecher Ankaras, wie das Zustandekommen des Arbeitskräftanwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland beweist. Auch die nun von Wikileaks veröffentlichten abschätzigen Kommentare der Amerikaner über türkische Politiker werden das Verhältnis nicht nachhaltig beschädigen können. Warum aber liegt gerade die Türkei den USA so am Herzen? Wie steht es um das Verhältnis der beiden NATO Partner zueinander?

Gespanntes Verhältnis vor dem Zweiten Weltkrieg

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als Mustafa Kemal Atatürk

 

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Kemal Atatürk, Gründer der modernen Türkei
Foto: Wikimedia

 die neue Türkei schuf, deutete vorerst nichts auf ein gutes Verhältnis zu den USA hin. Neutralismus wurde schon zu Beginn der 1920er Jahre zu einem der Kernpunkte der als “Kemalismus” bezeichneten neu geschaffenen Staatsideologie. Gleichzeitig suchte die Türkei den Ausgleich mit dem jungen Sowjetregime und legte alte Streitigkeiten über den Grenzverlauf der türkischen Provinz Kars, die vor dem Ersten Weltkrieg kurz Teil des Zarenreiches war, bei. Diese diplomatische Annäherung, die in einem Nichtangriffspakt gipfelte, machte die junge türkische Republik in den Augen der USA verdächtig, eine Vorhut des Kommunismus zu sein.

Im Zweiten Weltkrieg blieb die Türkei zunächst neutral, obwohl sie von beiden Seiten stark umworben wurde. Vor allem das Deutsche Reich erhoffte sich von einem Bündnis mit den Türken – wegen deren wichtiger geostrategischer Lage angrenzend an den Kaukasus und die anglo-französischen Kolonialgebiete des Nahen Ostens – eine signifikante Verbesserung seiner Position.
Erst 1945 trat die Türkei auf Seiten der Allierten in den Krieg ein; dies war Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der neu gegründeten UNO.

Frontstaat des Kalten Krieges

Die nach dem Weltkrieg enorm erstarkte Sowjetunion begann ab 1946, Druck auf die Türkei auszuüben, um sie in ihr neu entstandenes Bündnis zu integrieren. Mit einer Ausdehnung der sowjetischen Machtsphäre auf die Türkei wäre außerdem ein alter russischer Traum in Erfüllung gegangen: der Zugang zum Mittelmeer über den Bosporus. Da die Türkei diesem Druck allein nicht Stand halten konnte, rückte sie von ihrer neutralistischen Haltung ab und fand in den USA einen starken Partner, der die sowjetischen Ansprüche wirksam begrenzen konnte. Die USA erkannten den hohen strategischen Wert der Türkei sehr schnell und unterstützen das Regime in Ankara mit großzügiger Waffen- und Wirtschaftshilfe. Die 1947 formulierte Truman Doktrin der “Containment Policy” (Eindämmung des kommunistischen Vordringens) erstreckte sich ausdrücklich auch auf die Türkei, die auch in den Genuss von Marshall-Plan-Hilfsgütern kam.

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1952 trat die Türkei gemeinsam mit Griechenland der 1949 gegründeten NATO bei. Bereits ab 1950 kämpften türkische Soldaten an der Seite der USA im Koreakrieg. Das Scheitern der US-Politik im Nahen Osten ab Mitte der 1950er Jahre – Ägypten, Syrien und der Irak wandten sich vom Westen ab und nährten sich dem Ostblock an – verstärkte das Gewicht der Türkei innerhalb des Bündnisses. Neben Israel wurde sie der wichtigste Verbündete in der Region. Dazu war die Türkei der einzige NATO Staat außer Norwegen, der eine direkte Grenze mit der UdSSR hatte. Dies wurde besonders bedeutsam, als die USA 1959 Mittelstreckenraketen in der Türkei stationierten. Als Gegenleistung für den Abzug russischer Raketen aus Kuba mussten die USA ihre Flugkörper aber bereits 1962 wieder abziehen.

Krisen in der Partnerschaft

Die 1950er Jahre waren Zeiten großer Veränderungen innerhalb der Türkei. Wirtschaftliche Liberalisierung führte zu Wachstum aber auch hohen Inflationsraten und sozialen Spannungen, die sich immer mehr in gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsextremisten entluden. Um der zunehmenden Instabilität des wichtigen Verbündeten entgegenzuwirken, drängten die USA Deutschland 1961 zum Abschluss eines Anwerbeabkommens für türkische Arbeitskräfte, 1963 folgte ein Assoziierungsabkommen mit der EWG. Die inneren Unruhen setzten sich dennoch weiter fort und nahmen bis Anfang der 1980er Jahre bürgerkriegsähnliche Zustände an.

 

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Grenzübergang in Nikosia, Zypern, das seit 1974 geteilt ist
Foto: Kükedi Tamás / Wikimedia

Besonders großen Belastungen war das amerikanisch-türkische Verhältnis während der Zypernkrise ausgesetzt, als 1974 türkische Truppen den Nordteil der Insel besetzten und die NATO-Partner Griechenland und Türkei knapp vor einem Krieg standen. Die USA verhängten ein Waffenembargo über die Türkei, das aber 1978 wieder aufgehoben wurde. Für beide Seiten stand zu viel auf dem Spiel, um einen Bruch des Bündnisses zu riskieren. Die islamische Revolution im Iran, durch die die USA einen wertvollen Partner verloren, verdeutlichte dies einmal mehr.

Der Zerfall der Sowjetunion ändert die Lage

Der Zerfall der Sowjetunion führte fast über Nacht zu einer gänzlich veränderten Lage. Die Rolle der Türkei als östlicher Flankenpfeiler der NATO verlor an Gewicht. Im ersten Irak-Krieg 1991 stand die Türkei zwar als verlässlicher Verbündeter auf der Seite der USA, verfolgte aber teilweise andere Interessen. Während die USA die Kurden im Nordirak als Opposition zu Saddam Hussein unterstützten, sah die Türkei sie mehr als Bedrohung. Zwischen der türkischen Zentralregierung und der kurdischen Untergrundorganisation PKK

 

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PKK – Guerilla Kämpfer
Foto: James Gordon / Wikimedia

 tobte im Osten Anatoliens ein Kleinkrieg; Ankara fürchtete, dass die PKK Unterstützung aus einem autonomen kurdischen Nordirak erhalten könnte.

Die Türkei beginnt sich zu emanzipieren

Mit dem Aufstieg der religiös-islamischen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) zu Beginn des neuen Jahrtausends mussten sich die US-Amerikaner mit einer neuen selbstbewussten Kraft auseinandersetzen, die mehr und mehr die türkische Eigenständigkeit betont. 2003 verweigerte die Türkei den USA die Unterstützung im zweiten Irak-Krieg. Im Gegenzug nahmen US-Streitkräfte nach Abschluss des Krieges mehrere Angehörige eines türkischen Spezialkommandos im kurdische verwalteten Nordirak fest, verhörte sie drei Tage lang und schoben sie dann ab. Diese “Sackaffäre” (nach den Säcken, die den verhafteten Türken übergestülpt wurden) führte zu ernsthaften Verstimmungen zwischen den beiden Staaten. Das kurdische Autonomiegebiet ist seither ein Zankapfel geblieben. Während die Kurden im Irak die einzigen verlässlichen Verbündeten der USA sind, werden sie von der Türkei weiterhin als Bedrohung betrachtet. 2007 startete die Türkei eine begrenzte Invasion des Nordirak, um Rückzugsbasen der PKK anzugreifen und ihre Macht in dem Gebiet zu demonstrieren.

Zwischen Europa, Zentralasien und der islamischen Welt

 

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Barack Obama spricht vor dem türkischen Parlament, 6. April 2009
Foto: Chuck Kennedy / Wikimedia

Bis zum Ende des letzten Jahrtausends galt die Vollmitgliedschaft in der EU als vorrangiges Ziel türkischer Außenpolitik. Während immer mehr EU-Mitglieder diesem Anliegen skeptisch gegenüberstehen, unterstützen die USA die Türkei dabei weiterhin. Erst 2009 bekräftigte Barack Obama bei seiner Rede vor dem türkischem Parlament diese Unterstützung. Auch auf dem jüngsten NATO-Gipfel in Lissabon versuchten die USA ihre europäischen NATO-Verbündeten dahingehend zu beeinflussen. Durch das mannigfaltige Engagement der USA in verschiedenen Teilen des Nahen und Mittleren Osten hat die Türkei wieder massiv an Bedeutung gewonnen.

Für die türkische Außenpolitik rücken in den letzten Jahren aber immer mehr Zentralasien und die islamische Welt in den Vordergrund. Zu den Turkvölkern, die vom Irak bis zur chinesischen Grenze verstreut leben, bestehen auf Grund der ethnischen und kulturellen Verwandtschaft gute Beziehungen. Als besonders enger Verbündeter gilt Aserbaidschan. Bereits nach dem ersten Weltkrieg kämpften türkische Freiwillige in Zentralasien gegen die Rote Armee. Diese jungen Turkstaaten bilden riesige Absatzmärkte und verfügen dazu über reiche Rohstoffverkommen. Auch wichtige Verkehrswege aus Zentralasien und dem Kaukasus führen über die Türkei. 
Obwohl die Türkei ein offiziell laizistischer Staat ist, betonen türkische Politiker gerade in jüngster Zeit immer mehr ihre Rolle als Vertreter eines islamischen Staates. Damit einhergehend haben sich auch die traditionell guten Beziehungen zu Israel verschlechtert.

Partnerschaft für die Zukunft?

Abseits aller jetzt bekannt gewordenen kritischen Einschätzungen der Türkei durch das US-Außenamt, ist es sicher nicht angebracht von einem bevorstehenden Bündnisbruch zu sprechen. Die inzwischen von der Mannschaftsstärke zweitgrößte NATO-Armee ist noch immer ein bedeutender Partner der USA. Auch die Türkei selbst könnte es sich – aller starken Sprüche zum Trotz – nicht leisten, ihren stärksten Partner zu verlieren. Die USA werden aber in Zukunft mit einer eigenständigeren türkischen Außenpolitik rechnen müssen. Welche Auswirkungen dies auf Europa haben wird, muss sich erst noch zeigen.

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