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13. März 2012 / 01:12 Uhr

Libyen bricht auseinander und zerfällt in seine Stämme

Der überstürzte Eingriff des Westens in den Arabischen Frühling hat verheerende Folgen: Das ehemalige Territorium Lybiens ist mittlerweile in zwei Teile zerbrochen. Bereits vor einem Jahr hatter der Afrika-Experte Bernard Lugan die Entwicklung vorausgesehen, nun erklärt er die Folgen.

Das Auseinanderbrechen Libyens hatte ich bereits am 1. April 2011 angekündigt; am 6. März 2012 wurde es mit der Erklärung der Unabhängigkeit der Cyrenaika zur Tatsache. Mit jedem Tag, der vergeht, werden die Ergebnisse der Einmischung seitens Frankreichs und der NATO in den libyschen Bürgerkrieg katastrophaler, und das im Grunde nur deshalb, weil die Verantwortlichen für dieses unselige Unternehmen zwei Realitäten übersehen haben:

 

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Die Cyrenaika hat sich von Tripolis unabhängig erklärt.
Bild: Felitsata / wikimedia / public domain
  1. Einen historisch gewachsenen Staat Libyen gibt es gar nicht.
  2. Die beiden Hauptkomponenten dieses Staates, Tripolitanien und die Cyrenaika, lagen schon immer miteinander im Widerstreit.

Was Anfang 2011 stattfand, war kein "demokratischer" Aufstand, sondern nichts anderes als eine versuchte Abspaltung der Cyrenaika. Zu dieser Sezessionsbewegung stießen später die radikalen arabischen Islamisten hinzu, und erst in weiterer Folge die arabischsprechenden Berber von Zentan und ihre berberischsprechenden Stammesgenossen von Zouara und vom Jebel Nefusa, denen es darum ging, mit einem Regime abzurechnen, das ihnen bisher konsequent ihre Rechte verweigert hatte.

Übergangsrat voller innerer Widersprüche

In völliger Ignoranz dieser Tatsachen hatte die französische Staatsführung für die eine Konfliktpartei gegen die andere einseitig Partei ergriffen, wobei sie glaubte oder schlimmer noch, vorgab zu glauben, dass der sogenannte "Übergangsrat" der Ausfluss eines für seine demokratischen Rechten kämpfenden Volkes sei, während er in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein Konglomerat von widerprüchlichen Partikularinteressen.

Nach dem Massaker an Oberst Gaddafi waren seine "Besieger" ihrerseits daran, sich untereinander in Stücke zu zerreißen:

  • In Tripolitanien lavierte der schwache "Übergangsrat" zwischen der islamischen Mafia-Milizen von Misrata, den islamischen Milizen von Tripolis, den Berbern von Zentan und vom Jebel Nefusa sowie dem Stamm der Warfalla hin und her.
  • Die Stammesführer in der Cyrenaika hingegen sahen im "Übergangsrat" nichts anderes als ein Kontrollorgan Tripolitaniens und wollten diese Kontrolle abschütteln. Es handelte sich somit um ein lokales Problem, das ihre Entscheidung zur Verkündung der Autonomie auslöste. Die Stämme waren nicht mehr willens, das anarchische Klima zu tolerieren, das durch das unkontrollierte Handeln von bestimmten fundamentalistischen islamischen Milizen entstanden war, welche wiederum von einigen Vertretern des "Übergangsrates" unterstützt wurden, insbesondere als es seitens dieser Milizen zu Übergriffen auf ihr religiöses Brauchtum kam. Die eingeschleusten Wahhabiten und Salafisten unternahmen nämlich in dieser von traditionellen religiösen Bruderschaften gekennzeichneten Region den Versuch, die althergebrachte Verehrung der maghrebinischen Marabouts (quasi "Heilige") zu verbieten und gingen soweit, selbst deren Gräber zu zerstören.

Es kam also, wie es kommen musste: am 6. März 2012 erklärte die Versammlung der Stämme der Cyrenaika ihre Unabhängigkeit und ernannte Ahmed Zubair al-Sanussi zu ihrem obersten Führer; er entstammt dem Geschlecht von König Idris I, der im Jahr 1969 von Oberst Gaddafi gestürzt wurde, und ist ein prominentes Mitglied der Familie bzw. der Bruderschaft der Sanussi, welche in der Region schon seit der osmanischen Zeit geherrscht hatte.

Libyens Rückkehr in die Stammesgeschichte

Die Vorgänge in Libyen, deren Augenzeugen wir heute werden, sind somit nichts anderes als eine Rückkehr in seine lange Stammesgeschichte. Angesichts dieser mächtigen Hintergrundströmung kommen westlichen Ideen wie der individualistischen Demokratie oder den Menschenrechten bestenfalls eine transitorische Bedeutung zu, weil sie im Wesentlichen mit den lokalen Realitäten nicht zu vereinbaren sind. Es ist umso bedauerlicher, dass die französische Staatsführung sich auf trügerische Illusionen eingelassen und dadurch eine gravierende Störung der geopolitischen Gesamtlage im Spannungsbogen Sahara-Sahel ausgelöst hat.

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