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26. Mai 2012 / 12:59 Uhr

Solidarität mit Griechenland in konkreten Zahlen

Mehr als 66.000 Euro erhielt jeder Grieche bisher und das ist noch nicht alles. Die neueste Entwicklung ist der permanente Euro-Rettungsschirm, um ihnen noch mehr zu helfen. Und dazu muss auch die Slowakei beitragen, das ärmste Land in der Eurozone! Wann werden wir endlich mit diesem Wahnsinn aufhören?

Gastkommentar von Richard Sulik

Ja, ich weiß, wir müssen mit Griechenland Solidarität üben. Wir müssen ihnen helfen, schwierige Zeiten zu überwinden. Aber dennoch können wir es nicht soweit kommen lassen, dass wir uns dabei selber kaputtmachen. Wir müssen auf grundlegende Regeln achten wie Artikel 125 der Europäischen Verfassung, wonach jedes Land für seine eigenen Verpflichtungen selbst verantwortlich ist. Ich weiß auch, dass Strukturreformen nicht von heute auf morgen greifen (in Griechenland ist sogar nach Jahren noch nichts davon zu bemerken) und wir dürfen auch die Tatsache nicht vergessen, dass die Griechen nur durch Betrug in die Eurozone hereinkamen.

Ich höre oft, dass Politik nicht dasselbe ist wie wirtschaftliche Buchführung und dass es höhere Werte gibt als Geld (das sagen insbesondere diejenigen, die von finanzieller Hilfe aus dem Ausland leben), aber vielleicht darf ich doch einmal alle die Hilfeleistungen zusammenstellen und zusammenrechnen, die unsere griechischen Brüder seit dem EU-Beitritt im Jahre 1981 bereits erhalten haben? Es handelt sich immerhin nicht um völlig vernachlässigbare Beträge:

Eurofonds: 141 Milliarden Euro

Die Griechen sind Meister beim Bezug von EU-Mitteln aus den Eurofonds und erhalten weit mehr als etwa die Slowaken, konkret:

  • 52,0 Milliarden Euro aus den Strukturfonds in den Jahren 1981 bis 2006
  • 20,4 Milliarden Euro aus den Strukturfonds in den Jahren 2007 bis 2013
  • 8,6 Milliarden Euro für die ländliche Entwicklung ab dem Jahr 1981
  • 62,0 Milliarden Euro an Subventionen für die Landwirtschaft im Jahr 1981

Das erste "Darlehen" an Griechenland: 73 Milliarden Euro

Es zeigt sich dabei so nebenbei, dass je schlechter ein Land verwaltet wird, desto mehr Mittel bekommt es aus EU-Fonds. Doch Großzügige Strukturfonds waren anscheinend noch nicht genug, denn die Schulden schnellten weiter in die Höhe, sodass private Investoren nicht mehr bereit waren, Griechenland Geld zu leihen. Also beschlossen im Mai 2010 die anderen Länder des Euroraums, und zwar im klaren Gegensatz zu den geltenden Regeln, dass Griechenland mehr Hilfe bekommen solle – das war das sogenannte erste Paket, an dem sich die Slowakei wegen des Einspruchs meiner Partei, der SaS, nicht beteiligte. Dieses erste Darlehen belief sich ursprünglich auf 77,3 Milliarden Euro von Seiten der Mitgliedstaaten und 30 Milliarden Euro aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF), zusammen somit 107,3 Milliarden Euro. Daraus wurden bis zur Schaffung des befristeten "Eurorettungsschirms" (EFSF) 72,9 Milliarden abgeschöpft (davon 20 Milliarden Euro aus dem IWF), der Rest wurde in das nachfolgende Darlehen übertragen.

Ankauf griechischer Staatsanleihen durch die EZB: 45 Milliarden Euro

Die Situation in Griechenland war indes viel schlimmer, als die Politiker zuzugeben bereit waren, und so begann im Mai 2010 die Europäische Zentralbank (EZB), unter Verstoß gegen die eigenen Regeln griechische Staatsanleihen anzukaufen. Bis heute wurden in mehreren Wellen geschätzte 45 Milliarden an Staatsanleihen erworben. Geschätzt wohlgemerkt, denn die EZB hält die genauen Zahlen geheim.

Das zweite "Darlehen" an Griechenland: 173 Milliarden Euro

Da Griechenland ein Fass ohne Boden zu sein scheint und die großzügigen EU-Mittel, das erste Darlehen und der Ankauf von griechischen Staatsanleihen sich als nicht ausreichend erwiesen, gingen die Mitgliedstaaten daran, und zwar erneut unter Verletzung geltender Regeln, Griechenland mit zusätzlichem Geld zu "retten". Dies wird nun "das zweite Darlehen" genannt, ist aber natürlich ein Geschenk. Die Staaten des Euroraums zahlen 120,3 Milliarden Euro, davon 24,4 Milliarden Euro, die aus dem ersten Darlehen noch nicht abgeschöpft wurden. Der IWF zahlt 10 Milliarden Euro (die nicht aus dem ersten Kredit abegschöpft wurden) und 18 Milliarden Euro dazu, somit insgesamt 172,7 Milliarden Euro.

Schuldennachlass: 100 Milliarden Euro

Leider waren alle obengenannten Unterstützungszahlungen noch immer nicht ausreichend, und so sahen sich im Februar 2012 die Gläubigerbanken veranlasst, "freiwillig" auf die Hälfte ihrer Ansprüche gegen den griechischen Staat zu verzichten. Natürlich ist auch dieser Betrag nicht einmal annähernd genug und es ist so gut wie sicher, dass die privaten Gläubiger auch um die zweite Hälfte ihrer Ansprüche umfallen werden. Aber auf der anderen Seite verstehe ich natürlich die griechische Sicht der Lebensführung eines bescheidenen Mannes: Das Leben ist hart, und auch 100 Milliarden Euro nimmt man gerne.

LTRO-Kredit von der EZB: 80 Milliarden Euro

Neben dem griechischen Staat sind natürlich auch die griechischen Banken in Schwierigkeiten und niemand will ihnen Geld leihen. Aber es fand sich dennoch ein großzügiger Spender, der ihnen zu neuem Geld verhalf: Das Zauberwort heißt longer-term refinancing operations (LTRO), auf Deutsch: längerfristige Refinanzierungsgeschäfte. So konnten die griechischen Banken sich in zwei Wellen, im Dezember 2011 und Ende Februar 2012, insgesamt 80 Milliarden Euro von der EZB ausleihen, welche wiederum an den griechischen Staat bzw. an griechische Unternehmen weitergeschoben wurden. Da die griechischen Banken jetzt bereits völlig darniederliegen, ist es auch lächerlich, in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Kredit zu reden. Es ist in Wirklichkeit ein dem griechischen Bankensektor gewährter nicht rückzahlbarer Zuschuss – ein Geschenk.

ELA-Kredit von der EZB: 109 Milliarden Euro

Die Emergency Liquidity Assistance (ELA), auf Deutsch etwa "Liquiditätshilfe im Notfall", ist sogar noch großzügiger dotiert als die LTROs. Es handelt sich um Geld, das direkt der Griechischen Nationalbank zur Verfügung gestellt wird, genauer gesagt, das von der Nationalbank selber gedruckt wird. Für das Geld sind noch lustigere Garantien erforderlich als für LTROs, im Klartext: ELA-Kredite werden nie zurückgezahlt. Übrigens wurden bereits im August 2011 ELA-Kredite im Wert von zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, Ende Februar waren es bereits 109 Milliarden Euro und man darf davon ausgehen, dass diese Beträge noch dramatischer ansteigen werden. Leider gibt es auch dazu keine aktuellen Daten.

Engagement gegenüber dem TARGET2-System: 104 Milliarden Euro

Irgendwie müssen unsere griechischen Freunde ja auch ihr Leistungsbilanzdefizit finanzieren, immerhin das größte in der Welt. Ich kann hier nicht ins Detail gehen, denn das TARGET2-System (steht für: Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System) ist eine äußerst komplizierte Struktur, von deren Mechanismen die meisten Ökonomen und Politiker keine Ahnung haben. TARGET funktioniert in etwa so, als ob ein Gast im Restaurant sagen würde: "Herr Ober, bitte bringen Sie mir etwas Geld, ich möchte bezahlen." Durch TARGET finanzieren die Griechen jedenfalls ihre Importe und vor allem die Deutschen freuen sich darüber, dass ihre Exporte auch weiterhin super laufen, sind sich aber dabei nicht bewusst, dass sie eigentlich alles selber bezahlen müssen.

Schon die ersten sieben Positionen (Eurofonds, erstes und zweites "Darlehen" an Griechenland, Ankauf griechischer Staatanleihen durch die EZB, "freiwilliger" Schuldennachlass durch die Gläubigerbanken, sowie LTRO- und ELA-Kredite von der EZB) ergeben die stolze Summe von 721 Milliarden Euro. Die letzte Position (Engagement gegenüber dem TARGET2-System) lassen wir bei dieser "vorläufigen Zwischensumme" vorerst unberücksichtigt, um uns nicht dem Vorwurf unkorrekter Addition auszusetzen, da von mancher Seite der formelle Einwand erhoben werden könnte, es handle sich bei TARGET2 nicht um eigenständige Kredite.

Dreieinhalb Mal eigene BIP erhalten und noch immer Schulden ohne Ende

721 Milliarden Euro – das ist das Dreieinhalbfache des griechischen BIP und, zum Vergleich, mehr als das Zehnfache des slowakischen BIP. Und wem das nichts sagt, in etwas vereinfachter Form: Griechenland erhielt von den Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft (EU, EZB und Euro-Ländern) und von internationalen Einrichtungen (IWF, IIF) bisher so viel Geld, dass auf jeden Griechen davon mehr als 66.000 Euro entfallen. Es ist so, als ob jeder einzelne Bürger von Griechenland – egal ob Kind, erwerbstätig oder bereits im Ruhestand – über 9 Jahre hinweg den slowakischen Netto-Durchschnittslohn von 610 Euro erhalten würde.

Um es zusammenzufassen. Die Griechen bekamen ein Geschenk von mehr als 66.000 Euro pro Kopf, aber damit nicht genug, haben sie nach wie vor den höchsten Schuldenstand in der EU. Die Griechen sind viel reicher als die Slowaken, und dennoch müssen wir unseren Beitrag zu weiteren Spenden an sie leisten und wir nennen dies Solidarität. Die Griechen haben Milliarden für Infrastruktur erhalten, während wir noch nicht einmal eine Autobahn bis nach Košice (Kaschau) haben; dennoch diskutieren wir aber über noch weitere Investitionsbeihilfen für die Griechen. Die Griechen haben in den letzten 200 Jahren bereits fünfmal Pleite gemacht, haben immer über ihre Verhältnisse gelebt, sich nie bemüht zu sparen und kommen nun dennoch in den Genuss eines permanenten Eurorettungsschirms, aus dem sie weiterhin laufend Hilfe beziehen können. Die Brüsseler Politiker haben alle ihre eigenen Regeln verletzt und das Geld ihrer Steuerzahler verschwendet. Wie lange sollen wir noch mit den Griechen Solidarität üben und sie "retten"? Wenn sich aber einmal jemand dagegen ausspricht, dann wird er für verrückt erklärt, ist er kein guter Europäer beziehungsweise wird er auf primitive Weise von seinen Koalitionspartnern erpresst.

Richard Sulík war von Juli 2010 bis Oktober 2011 slowakischer Parlamentspräsident. Er sprach sich mit seiner liberalen Partei SaS (Freiheit und Solidarität) vehement gegen eine Zustimmung der Slowakei zum Euro-Rettungsschirm EFSF aus. Nach der anschließenden Regierungskrise führte er seine Partei bei den Neuwahlen 2012 erneut ins Parlament, sieht sich nun jedoch gemeinsam mit den anderen bürgerlichen und rechten Parteien einer absoluten Mehrheit der Sozialisten gegenüber.

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