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11. Mai 2010 / 11:07 Uhr

Die Großmacht-Phantasien des deutschen Alt-Kanzlers

Die Wucht, mit der die aktuelle Finanzkrise die europäische Union getroffen hat, veranlasst Experten verschiedenster Herkunft zur Sorge um Europa. Sprechen auch viele dieser Experten davon, Teile Europas in eine andere Währung zu überführen, um die Stabilität des Euros zu gewährleisten, so ist man in Deutschland anderer Ansicht bezüglich des Problems. Laut dem ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder braucht unser Europa Fremdmächte wie Russland und die Türkei, um sich selbst stabil zu halten, wie er in einem Kommentar in der "Welt" ausführt..

Die Argumente, mit denen Schröder für Russland wirbt, erinnern jedoch weniger an die neue deutsche Weltoffenheit als an schlecht kaschierte Angst ums blanke Überleben: Die "engstmögliche Partnerschaft" mit Russland soll einerseits dessen Vorräte an Rohstoffen verfügbar machen, andererseits die nötige Vorraussetzung für Stabilität und Sicherheit darstellen. Während erste Aussage noch wie stupides Anbiedern an die Stärken anderer Nationen wirkt, was mittlerweile offenbar zu einer Königsdisziplin der Bundesrepublik geworden ist, zeugt der zweite Teil der Botschaft von den Auswüchsen, die die deutsche Toleranzpolitik mit sich bringt: Die von Schröder erwähnten Grundbedürfnisse liegen offenbar überhaupt nicht mehr im Kompetenzbereich des Staates, und selbst Europa scheint in dieser Hinsicht schutzlos zu sein – Schröders Aussagen zeugen von andauernder und effektiver Unterdrückung dieser Werte in seinem eigenen Staat.

Doch neben dem größten Land der Welt möchte Schröder auch eine andere Bindung betonen, die für Deutschland offenbar von größtem Interesse ist: Laut dem Alt-Kanzler soll die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden. Schlagworte wie politische und kulturelle Erweiterung fallen – dass für sein Land ein Einheitsbrei der Kulturen als "Erweiterung" angesehen wird, ist ja bereits wohlbekannt. Politisch wird die Schnittstelle zum nahen und mittleren Osten erwähnt. Die Bezeichnung der "Europäischen" Union ignoriert Schröder gekonnt. Auch geht Schröder mit brennender Überzeugung seiner eigenen "Kultur" davon aus, dass die Türkei "unsere Wertvorstellungen und Rechtsvorschriften" übernehmen wird. Ähnliche Arroganz wurde auch bezüglich Russland an den Tag gelegt: Zu Erreichen gilt dort "eine Modernisierung in Russland, das sich an unser Werte- und Rechtssystem annähern wird". Schröder hat offenbar die amerikanische Außenpolitik der "Hilfe" und der "Befreiung" anderer Staaten von selbstbeurteilten unterlegenen Systemen angenommen.

Abschließend werden neben den bereits über den ganzen Text verteilten Wunschgedanken und Anerkennungen grandioser Heldentaten, die in der EU als selbstverständlich gelten, auch Appelle an das eigene Volk sowie die gesamte Union verkündet: Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen würde nicht nur die EU von der Türkei trennen (Überraschung!), sondern auch eine innenpolitische Radikalisierung nach sich ziehen. Ein weiteres Mal gibt ein deutscher Politiker die Angst zu, die die deutsche Politik schon so lange verleugnet, und lässt sich von Gewalt zur Weiterführung der Toleranzpolitik erpressen. Wörtlich führt er von dem Schlagwort der bereits erwähnten innerpolitische Radikalisierung (deren Inhalt ja vorher schon mehr als deutlich war) zu der Aussage, dies hätte "nicht nur verheerende politische und wirtschaftliche Konsequenzen, sondern wäre für Europa auch sicherheitspolitisch gefährlich". Der Zweispalt zwischen der deutschen Politik und den Gefühlen der Menschen war noch nie so deutlich.

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