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22. Juli 2012 / 13:36 Uhr

Saudi-Arabien: Chaos im Königshaus

Das Königreich Saudi-Arabien sorgte in Österreich zuletzt für Diskussionen mit seinem „Zentrum für interreligiösen Dialog“. Viele nehmen der wahhabitischen Saudi-Führung die Bemühungen um ein Zusammenrücken der Religionen nicht ab, steht doch in dem konservativsten aller Islam-Länder immer noch die Todesstrafe für Beleidigung der Religion und ähnliche Delikte an der Tagesordnung. Aktuell sorgt Saudi-Arabien für Aufsehen, weil es alle Ausländer, die sich nicht an den Ramadan halten, des Landes verweisen will.

Wie ist die aktuelle Verfasstheit des saudischen Königreichs? Unzensuriert.at veröffentlicht in mehreren teilen die Übersetzung einer aktuellen Analyse des in Washington ansässigen „Zentrum für Demokratie und Menschenrechte in Saudi-Arabien“.

Saudi-arabische Führung in Aufruhr

Das Fehlen einer regierungsfähigen Führung war noch nie in der Geschichte des saudischen Königreiches so auffällig wie heute. Dies hängt weitgehend mit den jüngsten Todesfällen zusammen: Zwei der mächtigsten und erfahrensten Vertreter der alten Garde, nämlich der ehemalige Verteidigungsminister Sultan und der Innenminister Naif waren hintereinander innerhalb weniger Monate verstorben. König Abdullah ist aufgrund seines Alters und einer schweren Rückenkrankheit ebenfalls sehr gebrechlich, einige behaupten sogar, dass er nicht mehr regierungsfähig sei. Darüber hinaus befindet sich der Außenminister Saud al-Faisal seit Jahren in einem schlechten Gesundheitszustand und auch der neugewählte Kronprinz Salman, der vermutlich auch der nächste König sein wird, wird zunehmend älter und laboriert schon seit Jahren an Herzproblemen sowie einem Rückenleiden.

Dementsprechend besteht heute ein echtes Vakuum in Saudi-Arabien, einem Land, dessen Stabilität von großer Bedeutung für die internationale Gemeinschaft ist, da es über große Mengen an Ölreserven verfügt und mehr Erdöl raffinieren und exportieren kann als jedes andere Land der Welt, abgesehen von Russland. Angesichts dieser Tatsachen und infolge des hinter den Kulissen geheim geführten Machtkampfs der Herrscherfamilie ist es schwierig zu sagen, wer in Saudi-Arabien derzeit eigentlich die Staatsgeschäfte führt.

Erste Prinzengeneration steht vor der Machtablöse

Man kann allerdings spekulieren, was hinter den vergoldeten Panzertüren des Palastes vor sich geht. Denn mit Ausnahme von Prinz Migrin und Prinz Achmed, den beiden Verantwortlichen für den Saudi-Geheimdienst, die im Juni die Position von Prinz Naif (Innenministerium) übernommen hatten, steht die erste Generation von herrschenden Saudi-Prinzen vor einer baldigen Machtablöse. Sie haben natürlich Vorsorge getroffen, um ihren männlichen Nachkommen die Übernahme der Machtpositionen zu ermöglichen. König Abdullahs Sohn Mitib ist Staatsminister und Leiter der mächtigen Nationalgarde, deren Stärke auf 60.000 bis 80.000 gut bewaffnete, religiös indoktrinierte und loyale Soldaten geschätzt wird. Prinz Khalid Bin Sultan, der Sohn des ehemaligen Verteidigungsministers und Kronprinzen Sultan, ist stellvertretender Kommandant der Streitkräfte. Prinz Mohammed Bin Naif, der Sohn des ehemaligen Innenministers und Kronprinzen Naif, hat den zweithöchsten Rang im Ministerium seines Vaters inne und ist sozusagen das Rückgrat der Herrscherfamilie und der inneren Sicherheit des Staates.

Diese beiden Söhne werden in einer zukünftigen Regierung voraussichtlich mächtige Positionen einnehmen. Doch auch andere könnten bei der Thronfolge noch eine Rolle spielen. So etwa der ehemalige Direktor des Geheimdienstes und Botschafter in Großbritannien und den USA, Prinz Turki Al-Faisal, ein mürrischer, aggressiver, aber erfahrener Mann, der als Sohn des ehemaligen Königs Faisal, einem der mächtigsten und temperamentvollsten Herrscher des saudischen Königshauses (König Faisal wurde von einem Neffen im März 1975 ermordet) und aufgrund seiner Erfahrung, seines Charakters und seiner Zähigkeit bei einer künftigen Regierung wahrscheinlich eine wichtige Rolle spielen wird; es wäre auch keinesfalls überraschend, wenn er der erste König der zweiten Generation würde. Sein Bruder Khalid, Gouverneur von Mekka, verfügt ebenfalls über eine beträchtliche Machtposition, mit der in Hinkunft zu rechnen sein wird. Khalid ist ein gebildeter, poetisch begabter und erfahrener Enthusiast, der jedoch nicht religiösem Eifer nachhängt, sondern sich vielmehr für den Ausbau und die Modernisierung des Bildungssystems außerhalb der Kontrolle durch ein religiöses Establishment einsetzt. Khalid gehört auch die liberalste Tageszeitung Saudi-Arabiens, Al-Watan.

Reformen sind unvermeidlich

Unabhängig davon, wer letztlich an die Macht gelangt, sind konkretere Reformen und eine Einbeziehung des Volkes unvermeidlich, wenn die regierende Herrscherfamilie die bereits aufkeimende Revolte der Straße überleben möchte. Bei der saudischen Bevölkerung handelt es sich meist um junge Menschen, die nicht mit der Vergangenheit verkettet und mehr an modernen Dingen als an Religion, Tradition und Koranstudien interessiert sind. So wie ihre Zeitgenossen in anderen arabischen wie auch in nichtarabischen Gesellschaften strebt diese jüngere Generation eine größere Freiheit gegenüber den staatlichen Behörden an. Sie wollen besser bezahlte Arbeitsplätze, gesellschaftlichen Status, eine angenehme Lebensführung und – insbesondere was Frauen und religiöse Minderheiten anbelangt – Gleichheit vor dem Gesetz.

Die Vereinigten Staaten als wichtigster Verbündeter der saudischen Herrscherfamilie können eine positive Rolle dabei spielen, den regierenden saudischen Prinzen dabei behilflich zu sein, die unruhige Bevölkerung in die Entscheidungsprozesse und die Staatsführung miteinzubeziehen. Beispielsweise sollten – anders als dies jetzt der Fall ist – sich die Gouverneure nicht mehr nur aus Angehörigen des Herrscherhauses rekrutieren. Wenn sowohl männliche wie auch weibliche Abgeordnete in freien kommunalen und nationalen Wahlen gewählt werden, könnten diese zu einer Aufteilung der Macht, zur Vermeidung einer gewaltsamen Revolte und zur Stabilisierung des Landes wesentlich beitragen.

Lesen Sie morgen: Wie die Zensurbemühungen immer mehr im Sand verlaufen

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