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5. August 2012 / 09:17 Uhr

Revolutionäre Zellen: Der lange Schatten des linken Terrors

Nachdem Anfang Juli der Prozess gegen die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker zu Ende gegangen ist, soll im Herbst ein weiteres Kapitel des deutschen Linksterrorismus vor Gericht aufgearbeitet werden. Am 21. September stehen die mutmaßlichen ehemaligen Mitglieder der Revolutionären Zellen Sonja Suder und Christian Gauger in Frankfurt vor Gericht; Suder soll auch in den Anschlag auf die OPEC-Zentrale in Wien 1975 verwickelt gewesen sein.

Revolutionäre Zellen – die Freizeitterroristen

Die Revolutionären Zellen (RZ) haben ebenso wie die Rote Armee Fraktion (RAF) und die anarchistische Bewegung 2. Juni ihre Wurzeln in der linksextremen Szene der 1970er Jahre. Im Gegensatz zur straff und hierarchisch organisierten RAF setzten sich die die RZ aus vielen Einzelgruppen zusammen, die zueinander nur in sehr loser Beziehung standen. Sie wollten ihren Kampf auch nicht aus dem Untergrund führen, sondern weiterhin legal leben, arbeiten und politisch agieren. Diese Taktik, die die RZ auf Grund der Erfahrungen der Zerschlagung der ersten Generation der RAF 1972/73 gewählt hatte, führte zu ihrem Spitznamen als „Freizeitterroristen“. Dementsprechend agierten sie aus der Anonymität heraus und nahmen vor allem in den 1980er Jahren auch an nicht-terroristischen linksextremen Aktionen teil. Gleichzeitig waren auch die politischen Zielsetzungen der einzelnen Zellen innerhalb des Linksextremismus unterschiedlich. Neben sich als „antiimperialistisch“ oder „sozialrevolutionär“ definierenden Teilen der RZ existierte mit der Roten Zora auch eine Frauengruppe mit militant feministischer Orientierung.

Von Wien nach Entebbe und zurück in die BRD

International bekannt wurden die Revolutionären Zellen durch die Teilnahme ihres Mitgliedes Hans Joachim Klein am Überfall des internationalen Terroristen Illich Ramirez Sanchez, besser bekannt als Carlos der Schakal, auf die Zentrale der OPEC in Wien 1975. Drei Personen wurden von den Terroristen ermordet, Klein schwer verletzt und im Wiener AKH behandelt, wodurch seine Identität und damit die internationalen Verstrickungen der Täter bekannt wurden. Die Terroristen inklusive Klein sowie die 33 Geiseln, unter ihnen elf OPEC Minister, wurde nach Libyen ausgeflogen. Auch die langjährige rechte Hand von Sanchez, Johannes Weinrich, stammte aus den RZ.

Bereits ein Jahr nach dem OPEC-Attentat machten die Revolutionären Zellen erneut Schlagzeilen. Gemeinsam mit Mitgliedern der Volksfront zur Befreiung Palästinas entführten die RZ-Terroristen Wilfried Bose und Brigitte Kuhlmann ein Air-France-Flugzeug nach Entebbe, Uganda. Bose sonderte dort die jüdischen Geiseln aus, die anderen Passagiere und die Bordmannschaft wurden freigelassen. Ziel war die Freipressung 53 inhaftierter Terroristen in Deutschland, Israel und anderen Staaten. Ein Sonderkommando der israelischen Armee stürmte den Flughafen und befreite die restlichen Geiseln.

Nach diesem Fehlschlag konzentrierten sich die RZ in ihren Aktionen auf Deutschland. Obwohl „gezielte Tötungen“ offiziell abgelehnt wurde, ermordeten RZ-Terroristen 1981 den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry. Bis 1995 verübten RZ und Rote Zora gemäß Generalbundesanwalt 186 terroristische Akte, darunter vor allem Sprengstoffanschläge und Schussattentate.

Fehlende Spuren bis 1998

Die Taktik der Revolutionären Zellen erwies sich als sehr erfolgreich, um der Verfolgung durch staatliche Behörden bis Ende der 1990er weitestgehend zu entgehen. 1998 wurde Hans Joachim Klein in Frankreich verhaftet und an die BRD ausgeliefert. Klein, der bereits in den 1970er Jahren die RZ verlassen hatte, stellte sich als Kronzeuge zur Verfügung. So erhielten die Behörden erstmals detaillierten Einblick in die RZ der 1970er Jahre. Im darauffolgenden OPEC-Prozess mussten auch Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit als Zeugen aussagen. 1999 wurde außerdem der Libanese Tarek Mousli von seiner Freundin als RZ-Mitglied enttarnt; Mousli wurde nach seiner Verhaftung ebenfalls zum Kronzeugen. In dem folgenden Prozess wurden vier ehemalige RZ-Terroristen, unter ihnen zwei Aktivisten eines autonomen Zentrums, verurteilt.

Neue Erkenntnisse im OPEC-Fall?

Die jetzigen Angeklagten Suder und Gauger wurden bereits 2000 in Frankreich entdeckt, wo sie mit gefälschten Identitäten gelebt hatten. Nach kurzer Haft wurden sie freigelassen; die ihnen zur Last gelegten Straftaten waren in Frankreich verjährt. 2007 beantragte die Staatsanwaltschaft Frankfurt auf der Rechtsgrundlage des neuen europäischen Haftbefehls die Auslieferung, die schließlich im September 2011 vollzogen wurde. Beiden werden Sprengstoffattentate in den 1970er Jahren zur Last gelegt. Suder soll außerdem logistische Hilfe für den OPEC-Überfall geleistet haben. Noch immer sind viele Fragen in dieser Causa offen. So ist die Identität des Auftraggebers noch immer unklar; ebenso wurden bisher nicht alle Attentäter identifiziert. Dass Suder allerdings zur Aufklärung beitragen kann und vor allem will, ist jedoch kaum zu erwarten.

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