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20. Juni 2010 / 09:47 Uhr

Kirgisistan – Jurten im Himmelsgebirge

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Kirgisistan liegt eingebettet mitten im Tian Shan Gebirge (Himmelsgebirge; Bild oben), in einer der letzten unberührten Naturlandschaft der Welt. Das Land, das mit seinen schneebedeckten Gipfeln, seinen Hochwiesen und Steppen ein Paradies für naturverbundene Wanderer und Kletterer sein könnte, gerät leider immer wieder durch politische Wirren in die Schlagzeilen.

Kirgisistan Flagge1999 versuchten Islamisten, im Ferghanatal im Süden Kirgisistans fuß zu fassen, 2005 wurde Präsident Akajew in der so genannten Tulpenrevolution gestürzt, 2010 erlitt sein Nachfolger Bakijew dasselbe Schicksal und im Süden des Landes brachen heftige ethnische Konflikte aus, über deren Hintergrund wir berichtet haben. Ein unruhiges Land in einer unruhigen Region?

Zentralasiatische Ilias als Gründermythos der Kirgisen

Das frühmittelalterliche Manas-Epos beschreibt den mythologischen Kampf des Helden Manas, der gemeinsam mit seinen Mitstreitern erfolgreich gegen die benachbarten Uiguren kämpfte und so die Unabhängigkeit der Kirgisen verteidigte. Das fast eine halbe Million Verse zählende Werk existiert erst seit Ende des 19. Jahrhunderts in Schriftform und wurde bis dahin immer von „Manastschtis“ zu festlichen Anlässen mit musikalischer Begleitung vorgetragen.

Pferde, Jurten und die Jagd

Kirgisischer Jäger mit AdlerBildDie Kirgisen konnten, bis sie 1876 endgültig von den Russen unterworfen wurden, trotz nomineller Oberherrschaft zuerst der Mongolen und dann der Chinesen relative Unabhängigkeit bewahren, was auch an der Unzugänglichkeit ihres Landes liegt. Außerhalb der städtischen Zentren um Bischkek im nördlichen Tschüital und Osch im südlichen Ferenghatal erhielt sich die traditionell nomadische Lebensweise der Kirgisen, geprägt durch Pferdezucht – Pferde gelten als Statussymbol – und die Jurten, typisch asiatische Zelte. Auch die Jagd zu Pferd, mit dem Falken oder anderen Raubvögeln (im Bild links ein kirgisischer Jäger mit seinem Adler) und mit Windhunden als Jagdgehilfen hat eine große Tradition.

Vom hoffnungsvollen Beginn zur Tulpenrevolution

Erster Präsident Kirgisistans wurde 1991 Askar Akajew, der wie viele andere Staatsoberhäupter in Nachfolgestaaten der UdSSR auf eine Vergangenheit in der KPdSU zurückblickte. Obwohl das Land weder besonders hoch entwickelt war, noch über größere Rohstoffvorkommen verfügt, verliefen die ersten Jahre in der Unabhängigkeit positiv. Akajews Führungsanspruch war zwar unangefochten, dennoch gab es eine vielfältige Opposition, die von der Regierung kaum eingeschränkt wurde; auch die Medienlandschaft konnte sich frei entfalten.

1999 kam die erste große Herausforderung auf Kirgisistan zu: Im Ferghanatal, das von Kirgisistan über Usbekistan bis nach Tadschikistan reicht und in dem neben diesen drei Nationalitäten auch Angehörige verschiedenster anderer asiatischer Völker leben, starteten Rebellen der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU), unterstützt von den Taliban, mehrere Anschläge. Nach einem erneuten Aufflackern islamistischer Angriffe im Folgejahr gab es allerdings keine weiteren Aktionen derartiger Gruppen mehr.

Kirigisistan - Ex-Präsident BajijewNachdem Akajew im Jahr 2000 verfassungswidrig zum dritten Mal unter fragwürdigen Umständen zum Präsidenten gewählt worden war, warfen ihm Kritiker einen autokratischen Führungsstil vor. Auch bei den Präsidentschaftswahlen 2005 kam es wieder zu Unregelmäßigkeiten, die schließlich zur „Tulpenrevolution“ führten. Akajews Nachfolger wurde Kurmanbek Bakijew (Bild links). Wie auch bei der orangenen Revolution in der Ukraine wurden Stimmen laut, die auf Einflussnahme auf dem Ausland hinwiesen. Nach den jüngsten Unruhen musste auch Bakijew das Land verlassen, Rosa Otunbajewa ist jetzt interimistische Präsidentin Kirgisistans.

Lavieren zwischen Russland und den USA

In der Außenpolitik suchte die Regierung in Bischkek sowohl die Zusammenarbeit mit den USA als auch mit Russland. In Manas bei Bischkek betreibt die US Air Force einen großen Luftwaffenstützpunkt, über den die Nachschubversorgung der NATO-Truppen in Afghanistan gesichert wird. 2009 wollte Bakijew den Stützpunkt auflösen; durch großzügige Geldzuwendungen seitens der USA wurde dies aber verhindert. Doch auch Russland unterhält in Kant seit 2003 einen Stützpunkt, der unter anderem zur Versorgung der Truppen in Tadschikistan dient.

Wasser als wichtigster Rohstoff

Noch vor Gold und Uranvorkommen ist Wasser der wichtigste Rohstoff Kirgisistans. Das Wasser stammt aus mehreren zentralasiatischen Flüssen wie Taras, Naryn und Tschüi. Allerdings bieten diese Flüsse im sonst eher wasserarmen Zentralasien auch immer wieder Konfliktstoff mit den Nachbarn Kasachstan und Usbekistan. Während das Verhältnis zu Kasachstan sich immer weiter verbessert hat, kommt es mit Usbekistan vermehrt zu Unstimmigkeiten um die Nutzung des Wassers des Naryn.

Buntes Völkergemisch

Kirgisistan - FerghanatalDies ist nicht der einzige Konfliktpunkt zwischen den Nachbarn. Das Verhältnis zwischen den eher urbanen Usbeken, die mit ca 13 Prozent die größte Minderheit im Land stellen, und den nomadischen Kirgisen ist seit langem angespannt. Religiöse Differenzen heizen diese Spannungen noch an. Die Kirgisen hängen einem volkstümlichen, mit vielen regionalen Bräuchen durchsetzten Islam an. Außerdem gelten sie im Vergleich zu den Usbeken als weniger religiös. Die russische Minderheit, ca 10 Prozent der Bevölkerung, schrumpft seit dem Zerfall der Sowjetunion zusehends und auch die deutsche Minderheit – bis 1990 etwa 100.000 Mensche – ist auf ein Zehntel ihrer einstigen Größe zusammengeschmolzen. Daneben leben noch muslimische Chinesen, Tartaren, Tadschiken, Kasachen, Uiguren und unzählige weitere Minderheiten vor allem im Süden des Landes um das Ferghanatal (Foto oben).

Unklare Lage nach schweren Unruhen

Wie sich die bürgerkriegsähnlichen Unruhen im Süden weiter entwickeln werden, ist ebenso ungewiss wie die Frage, ob sich die neue Führung nach der überstürzten Flucht Bakijews etablieren kann. Die weitere Zukunft Kirgisistans steht auf des Messers Schneide. Vielleicht könnte ein neuer Manas dem Land helfen…

20 Jahre nach dem Kommunismus

Unzensuriert.at beleuchtet jedes Wochenende ein Land, das bis vor 20 Jahren unter kommunistischer Herrschaft stand. Bisher veröffentlicht:

Weißrussland – Europas Stiefkind

Usbekistan – Das stolze Erbe Tamerlans

Turkmenistan – Das Reich des "Turkmenbashi"

Die Ukraine – zerrissenes Land zwischen Ost und West

Kasachstan: Von Stalins Völkerkerker zum begehrten Handelspartner

20 Jahre danach: Russland am Scheideweg

Fotos: Andrzej Barabasz / SiGarb / Firespeaker / www.kremlin.ru / celichowster

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