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27. Juni 2010 / 17:04 Uhr

Tadschikistan – Das Armenhaus Zentralasiens

Tadschikistan - FlaggeMit einem Bruttoinlandsprodukt von 140 Euro pro Kopf ist Tadschikistan der ärmste Nachfolgestaat der UdSSR. Nahrungsmittel müssen importiert werden. Ein blutiger Bürgerkrieg in den 1990er Jahren forderte hunderttausende Opfer unter nur etwas mehr als 7 Millionen Einwohnern. Der Konflikt schwelt trotz offiziellen Friedensschlusses weiter. Der größte Teil des Landes ist Hochgebirge, das sich nicht oder kaum zur Landwirtschaft eignet, Rohstoffe sind rar. Der Afghanistankrieg wirft seinen Schatten auf das gebeutelte Land – ein Staat ohne Zukunft?

Das Land der Tadschiken – eine Schöpfung der UdSSR

Aus den riesigen Gebieten Zentralasiens, die im 19. Jahrhundert von Russland erobert und als Turkestan bezeichnet werden, formten die Kommunisten 1918 die Sowjetrepublik Turkestan. Ein derartiges staatliches Gebilde hatte es davor nicht gegeben. Neben anderen Sowjetrepubliken ging auch Tadschikistan im Jahr 1929 daraus hervor, nachdem es zuvor Teil der Usbekischen Sowjetrepublik gewesen war.

Als Tadschiken wird die iranische Volksgruppe Zentralasiens bezeichnet, die neben den Turkvölkern, zu denen die Kasachen, Usbeken, Kirgisen und Turkmenen gerechnet werden, die größte Bevölkerungsgruppe dieser Region darstellen. Die Siedlungsgebiete dieser beiden Gruppen sind allerdings nicht scharf trennbar, die Schaffung einzelner Sowjetrepubliken nach ethnischen Kriterien erfolgte vielfach willkürlich. Keiner dieser heutigen „Stan-Staaten“ (nach der Endung wie Tadschiki“stan“) hatte vor der kommunistischen Ära existiert.

Tadschiken oder Irani?

Der Begriff Tadschiken stammt aus den Turksprachen und bezeichnet die iranische Bevölkerung Zentralasiens mit persischer Sprache. Dieser Ursprung weist bereits darauf hin, dass es schwierig ist, die Tadschiken als einheitliches Volk zu bezeichnen. Tadschiken bezeichnen sich selbst oft auch als Irani (zu Deutsch: Arier) oder nach dem Gebiet, aus dem sie stammen.
Die persische Sprache war lange Zeit die Kultursprache weiter Teile Zentralasiens, und auch heute sprechen noch viele nicht Tadschiken Persisch. Dazu kommen Völker wie die Hazara in Afghanistan, die zwar Persisch sprechen, deren ethnischer Ursprung aber in einer Vermischung mongolisch-türkischer mit iranischen Elementen liegen dürfte.

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Besonders in Usbekistan ist die Trennung zwischen Tadschiken und Usbeken oftmals schwierig. Obwohl die offizielle Zahl der Tadschiken in Usbekistan mit fünf Prozent angegeben wird, dürfte die wirkliche tadschikische Bevölkerung wesentlich größer sein. In Afghanistan bilden die Tadschiken die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe nach den Paschtunen, die ebenfalls zu den iranische Volksgruppen gezählt werden.

Prekärer Friede nach dem Bürgerkrieg

Tadschikistan - Präsident Emomali RahmonBereits ein Jahr nach der Unabhängigkeit brach in Tadschikistan ein blutiger Bürgerkrieg aus, der knapp eine halbe Million Opfer forderte. Die Fronten in diesem Konflikt sind sehr unübersichtlich und wechselten mehrmals. Offiziell standen den herrschenden Kommunisten die Volksfront sowie die Vereinigte Tadschikische Opposition VTO gegenüber, wobei die VTO aus der Partei der Islamischen Wiedergeburt (sunnitische Islamisten), der Demokratischen Partei (Gemäßigte) und ismailitischen (schiitischen) Separatisten aus Berg-Badachschan bestand. Im Ferghanatal bildeten außerdem Usbeken, die ca zwanzig Prozent der Bevölkerung Tadschikistans ausmachen, eigene Milizen, dazu kamen Interventionstruppen aus Russland und Usbekistan. Jede dieser Gruppen konnte sich auf regionale Klans stützen, deren Einfluss in Tadschikistan – ähnlich wie in Afghanistan – sehr hoch ist. Aus den Wirren ging der amtierende Präsident Emomali Rahmon (Bild links) als Sieger hervor, musste aber seine Gegner an der Regierung beteiligen. Die schwer zugängliche Bergregion Berg-Badachschan im Osten des Landes, die bei etwa vier Prozent der Bevölkerung vierzig Prozent des Staatsgebietes umfasst, genießt Autonomie.

1999 und 2000 nutzten radikale Islamisten Tadschikistan, um von dort nach Usbekistan vorzudringen und bedrohten nur ein Jahr nach Bürgerkriegsende das fragile Gleichgewicht im Land. Danach konnte sich die Regierung unter Rahmon allerdings stabilisieren, obwohl es immer wieder zu kleineren Scharmützeln unter den verschiedenen Gruppen kommt.

Aluminium und Schattenwirtschaft

Tadschiksitan - BaumwollfeldAuch die wirtschaftliche Lage Tadschikistans ist schwierig. Das Land ist in hohem Maße von Aluminiumexporten abhängig, größter Abnehmer sind die Niederlande. Der zweitgrößte Wirtschaftszweig ist die Energieproduktion, wobei hier vor allem Wasserkraft genutzt wird. Ähnlich Kirgisistan haben mehrere für die Region wichtige Flüsse ihren Ursprung in Tadschikistan. Vor allem mit Usbekistan kommt es immer wieder zu Differenzen über die Nutzung der Wasserreserven. Tadschikistan nutzt sein Vorkommen für die äußerst wasserintensive Baumwollanpflanzung (Bild oben), was zu beträchtlichen Umweltschäden führt.
Besondere Bedeutung hat Tadschikistan als Transitland für Drogen aus Afghanistan. Auf Grund der hohen Korruption und des schwachen Staates werden Rauschgifthändler kaum bei ihren Aktivitäten gestört. Der Anteil illegaler Geschäfte, zu denen neben Rauschgift- auch Waffenhandel zählt, wird auf 15 bis 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes geschätzt.
Daneben sind die Rücküberweisungen tadschikischer Wanderarbeiter vital für das Land, Schätzungen des deutschen auswärtigen Amtes nach machen sie bis zu 50 Prozent des BIP aus.

Russland – Iran – Tadschikistan

Tadschikistan - Präsidentenpalast in DuschanbeDie Außenpolitik ist von enger Anlehnung an Russland geprägt. Knapp 25.000 russische Soldaten sind im Land stationiert und stützen das säkulare Regime in der Hauptstadt Duschanbe (im Bild der Präsidentenpalast) gegen die Bedrohung durch Islamisten. In jüngster Zeit haben sich auch die Beziehungen zum Iran, der Tadschikistan kulturell und ethnisch sehr nahe steht, stark verbessert, wobei Teheran große Rücksicht auf die Interessen Moskaus nimmt. Russland und der Iran haben aber mehrere gemeinsame Interessen in Tadschikistan: Eine Wiederkehr der Taliban in Afghanistan ist keinesfalls im Interesse Russlands, das im radikalen Islam sunnitischer Prägung eine Gefährdung für ganz Zentralasien und den Kaukasus sieht. Auch der schiitische Iran ist mit den Taliban verfeindet und bemüht sich momentan in Afghanistan, dem dritten von iranischen Völkern dominierten Land, Fuß zu fassen. Weiters wird die Präsenz der NATO in Zentralasien von beiden Ländern als Bedrohung aufgefasst. Bereits bei den Friedensverhandlungen im tadschikischen Bürgerkrieg spielten beide Mächte eine große Rolle und arbeiteten eng zusammen.

Zukunft mit vielen Fragezeichen

Die Zukunftsaussichten Tadschikistans sind völlig ungewiss: Sowohl die Machtübernahme islamistischer Kräfte in einem Nachbarland als auch eine Intensivierung der Konflikte mit Usbekistan könnten den zerbrechlichen Frieden im Land stören. Fraglich ist auch, wie sich ein Abzug der russischen Truppen auf die Stabilität im Land auswirken würde.

20 Jahre nach dem Kommunismus

Unzensuriert.at beleuchtet jedes Wochenende ein Land, das bis vor 20 Jahren unter kommunistischer Herrschaft stand. Bisher veröffentlicht:

Kirgisistan – Jurten im Himmelgebirge

Weißrussland – Europas Stiefkind

Usbekistan – Das stolze Erbe Tamerlans

Turkmenistan – Das Reich des "Turkmenbashi"

Die Ukraine – zerrissenes Land zwischen Ost und West

Kasachstan: Von Stalins Völkerkerker zum begehrten Handelspartner

20 Jahre danach: Russland am Scheideweg

Fotos: US Department of DefenseBrian Harrington Spier / VargA

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