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USA

13. Juni 2010 / 09:45 Uhr

Weißrussland – Europas Stiefkind

Weißrussland - FlaggeAls „letzte Diktatur Europas“ bezeichnete die ehemalige US-Außenministerin Condoleezza Rice Weißrussland (offizieller Staatsname Belarus), Alexander Lukaschenko war von 1997 bis 2009 mit einem Einreiseverbot in die EU belegt, Auslandskonten führender Politiker des Landes wurden eingefroren. Bei den Präsidentschaftswahlen 2006 ließ Lukaschenko eigenen Angaben zufolge das Wahlergebnis nach unten korrigieren – 93 Prozent der Bevölkerung hätten ihn gewählt, aus psychologischen Gründen ordnete er eine Korrektur auf 80 Prozent an, da das Ergebnis sonst niemand geglaubt hätte. Ist Weißrussland also der Schurkenstaat Europas?

Enges Bündnis mit Russland

In mancherlei Hinsicht ging Weißrussland unter Lukaschenkos Herrschaft andere Wege als andere Nachfolgestaaten der UdSSR. Während die Ukraine auf Konfrontationskurs zu Russland ging, schmiedete Weißrussland ein enges Bündnis mit dem großen Nachbarn, die Russisch-Weißrussische Union, deren Endziel ein enger Staatenbund ist. Seit 2007 kühlten die Beziehungen aber merklich ab, sodass seither bei der Integration in einen gemeinsamen Staatenbund keine weiteren Fortschritte erzielt wurden. 2009 trat Weißrussland der von der Europäischen Union ins Leben gerufenen „Östlichen Partnerschaft“ bei; diese Partnerschaft wird allerdings von Russland abgelehnt. Auch in anderer Hinsicht hat sich das Verhältnis zu Russland verschlechtert: Die weißrussische Wirtschaft ist in sehr hohem Ausmaß von russischen Energielieferungen abhängig, die bisher zu besonders günstigen Konditionen erfolgten. Zuletzt hat Russland die Preise für seine Lieferungen deutlich erhöht, bis 2013 sollen sie auf Weltmarktniveau steigen. Weißrussland will nun auf Atomenergie setzen, um diese Abhängigkeit zu verringern.

Außerdem bestehen sehr gute Kontakte zu Venezuela, das ebenfalls zu günstigen Konditionen Erdöl im Austausch für Militärtechnologie liefert. Auch zum Iran, zu China und zu Kuba werden freundschaftliche Beziehungen gepflegt. All diese Staaten haben das gemeinsame Anliegen, die weltpolitische Dominanz der USA zu verringern und arbeiten so gemeinsam auf eine multipolare Welt hin.

Der undurchsichtige Autokrat Lukaschenko

Alexander Lukaschenko - Dimitrj MedwedewDie politische Karriere des Alexander Lukaschenko (im Bild links mit Russlands Präsident Medwedew) begann noch zu Sowjetzeiten, 1991 unterstützte er den Juliputsch gegen Gorbatschow, der das Ende der UdSSR besiegelte. Galt Lukaschenko zunächst als russischer Nationalist, der Weißrussland wieder mit Russland vereinigen wollte, so entwickelte er sich immer mehr zu einem Verfechter der weißrussischen Unabhängigkeit. Seit 1994 regiert er Weißrussland bisher, sein Regierungsstil gilt als autokratisch. Versuche, seiner Herrschaft durch ähnliche Proteste wie in der Ukraine und Serbien ein Ende zu setzen, erstickte er im Keim. Um Einflussnahme von Seiten der USA zu unterbinden verwies Lukaschenko verschiedenste nicht staatliche US–Organisationen, denen er die logistische und finanzielle Unterstützung regierungsfeindlicher Kreise vorwarf, des Landes. Innerhalb Weißrusslands ist eine Opposition zu Lukaschenko kaum mehr existent. Inzwischen versucht der Präsident allerdings, sein Land wieder an die EU anzunähern und die Abhängigkeit zu Russland zu verhindern.

Planwirtschaft statt freiem Markt

Nicht nur Lukaschenkos politischer Stil sorgt immer wieder für Kritik, auch seine Wirtschaftspolitik ist Ziel der Angriffe. Im Gegensatz zu den meisten Nachfolgestaaten der UdSSR erfolgte in Weißrussland nach der Unabhängigkeit kein massiver Privatisierungsschub, der Großteil der Unternehmen verblieb in Staatshand, im letzten Jahrzehnt wurden Unternehmen auch wieder verstaatlicht. Erst seit 2009 bahnt sich wieder eine Kurswende an, als erster Schritt zu einer teilweisen Privatisierung wurden knapp 150 staatliche Betriebe in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die weißrussischen Pläne sehen bisher eine Teilprivatisierung vor, der Staat soll weiterhin die hauptsächliche Kontrolle behalten. Trotz hoher Inflation konnte Weißrussland einen erstaunlichen Wirtschaftsaufschwung innerhalb der letzten 15 Jahre vorweisen; der Lebensstandard ist im Vergleich mit andere Nachfolgestaaten der UdSSR sehr hoch. Es wirkte sich positiv für die Wirtschaft aus, dass Weißrussland bereits zu Sowjetzeiten hoch entwickelt war und zu sehr vorteilhaften Konditionen Rohstoffe aus Russland bezog. Letzteres ändert sich allerdings zurzeit und führte mit der Wirtschaftskrise zu einer Rezession in Weißrussland. Die Führung in Minsk versucht entgegenzusteuern, indem gezielt versucht wird, westliche Firmen zu Investitionen zu bewegen; die Rahmenbedingungen dafür wurden wesentlich verbessert. Vor allem deutsche Unternehmen sind inzwischen in Weißrussland vertreten, aber auch die Raiffeisen Zentralbank und die Telekom Austria engagieren sich dort.

Strahlendes Erbe

Verstrahlung nach Reaktorunglück in TschernobylDie Sowjetunion hat ein schweres ökologisches Erbe hinterlassen. Die schlimmste ökologische Katastrophe war sicherlich der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl. Obwohl Tschernobyl in der Ukraine liegt, ist Weißrussland am stärksten von den Nachwirkungen des Atomgaus betroffen. Knapp ein Viertel des Landes ist radioaktiv verseucht. Die Zahl der Krebserkrankungen – vor allem durch radioaktives Iod verursachter Schilddrüsenkrebs – liegt in Weißrussland deutlich über dem weltweiten Durchschnitt. Die Langzeitfolgen sind bei weitem noch nicht abschätzbar, Weißrussland wird noch viele Jahrzehnte unter den Auswirkungen des Unfalls zu leiden haben.

Lukaschenko weiter fest im Sattel

Aller Kritik aus dem Ausland zum trotz sitzt Alexander Lukaschenko als Staatschef Weißrusslands weiter fest im Sattel. Auf Grund des guten Lebensstandards ist er auch in weiten Kreisen der Bevölkerung beliebt, eine schlagkräftige Opposition existiert nicht. Ob sich Weißrussland weiter an die EU annähern wird, wie dies erste Schritte der letzten Jahre andeuten, oder erneut sein Bündnis mit Russland festigen wird – Präsident Medwedew kündigte kurz nach seinem Amtsantritt an, die Beziehungen zu Weißrussland wieder vertiefen zu wollen – bleibt abzuwarten. Der undurchsichtige Herrscher in Minsk lässt sich ungern in seine Karten blicken.

20 Jahre nach dem Kommunismus

Unzensuriert.at beleuchtet jedes Wochenende ein Land, das bis vor 20 Jahren unter kommunistischer Herrschaft stand. Bisher veröffentlicht:

Usbekistan – Das stolze Erbe Tamerlans

Turkmenistan – Das Reich des "Turkmenbashi"

Die Ukraine – zerrissenes Land zwischen Ost und West

Kasachstan: Von Stalins Völkerkerker zum begehrten Handelspartner

20 Jahre danach: Russland am Scheideweg

Fotos: www.kremlin.ru / Sting

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