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29. Juni 2010 / 16:12 Uhr

Stunde der Wahrheit: Gauck gegen die schwarz-gelbe Parteidisziplin

Morgen wählt die deutsche Bundesversammlung ein neues Staatsoberhaupt. Mit Joachim Gauck haben SPD und Grüne einen Überraschungskandidaten für die Bundespräsidentenwahl in der BRD am 30. Juni aus dem Hut gezaubert. Ist der 70jährige ehemalige Pastor und Leiter der Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen eine Alternative zum Kandidaten von CDU/CSU und FDP, Christian Wulff? Rein rechnerisch scheinen seine Chancen gering: Anders als in Österreich wird der deutsche Bundespräsident nicht vom Volk, sondern von der Bundesversammlung, einer Institution die aus den Bundestagsabgeordneten und Vertretern der Länder besteht, gewählt. Dort haben die Regierungsparteien die absolute Mehrheit. Dennoch scheint es, als ob Gauck nicht ganz chancenlos ist. Seine Popularität ist hoch, und es mehren sich die Stimmen, die fordern, die Parteien sollten ihren Wahlmännern freistellen, wen sie wählen. Vor allem einige FDP-Wahlmänner liebäugeln mit Gauck.

Politprofi gegen DDR-Dissident

Die Karrieren von Joachim Gauck und Christian Wulff könnten unterschiedlicher nicht sein, ihre Persönlichkeiten ebenfalls nicht.

BildDer politische Werdegang Christian Wulff liest sichwie die Bilderbuchkarriere eines Parteikaders: Vom Vorsitzenden der CDU-Schülerunion wurde der katholische Wulff zum Landesvorsitzenden der Jungen Union in seinem Heimatland Niedersachsen. Nachdem der Rechtsanwalt von 1984 an im Landesvorstand der CDU Niedersachsen vertreten war, wurde er 1994 zum Landesvorsitzenden. Nach zweimaligem erfolglosem Antreten, konnte er 2003 das Amt des Ministerpräsidenten erreichen. 2008 wurde Wulff wiedergewählt. Innerhalb der CDU wird er eher dem konservativen Flügel zugerechnet, Hessens Roland Koch galt als sein wichtigster innerparteilicher Verbündeter. Wulff wurde immer wieder nachgesagt, selbst Ambitionen auf das Kanzleramt zu haben. Manche Kommentatoren sehen in der Nominierung Wulffs den Versuch Angela Merkels, so den wichtigsten innerparteilichen Konkurrenten auf das eher einflusslose Amt des Bundespräsidenten abzuschieben.

Wulff wird oft als zurückhaltender Taktiker beschrieben, der sich nicht besonders hervorhebt, sondern seine Chance abwartet. Kritiker sehen in ihm das Idealbild eines aalglatten Berufspolitikers.

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BildJoachim Gauck wuchs in Rostock auf. Während sein Vater wegen „antisowjetischer Hetze“ in Sibirien im Arbeitslager war, erlebte der 13jährige Gauck den Volksaufstand in der DDR mit. Da ihm sein Berufswunsch Journalist wegen der politischen Unzuverlässigkeit der Familie verwehrt wurde, studierte er evangelische Theologie und wurde Pastor. 1989 engagierte er sich beim Neuen Forum und organisierte als dessen Sprecher in Rostock Demonstrationen gegen das Regime. In der einzigen frei gewählten Volkskammer der DDR war Gauck Abgeordneter des Neuen Forums. Dort begann er auch mit der Tätigkeit, für die er später berühmt werden sollte: mit der Aufarbeitung der Geschichte der Staatssicherheit und ihrer umfangreichen Akten. Die nach der Wiedervereinigung neu geschaffene Bundesbehörde für Stasiunterlagen wurde meist nur als „Gauck-Behörde“ bezeichnet.

Das Eintreten für Freiheit als fundamentalen Grundwert zieht sich wie ein roter Faden durch das Wirken Joachim Gaucks. In seinen Erinnerungen „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ setzt er sich intensiv mit dem Freiheitsbegriff auseinander und definiert das Streben nach Freiheit zu seinem wichtigsten Motiv: „Ich werde die Freiheit wohl ebenso lange in hohen Tönen loben, wie ich die Spätfolgen der Unfreiheit in mir spüre.“

Gauck im Konflikt mit der „Linke“

Mit totalitären Regimes geht er dabei hart ins Gericht: Wer heute wieder an kommunistische und sozialistische Ideologien glaubt, ist für ihn „denkfaul und erfahrungsresistent“. Er wirft auch linksliberalen Kreisen eine Verharmlosung des Kommunismus vor, indem sie „den repressiv-totalitären Charakter des realen Sozialismus meist als links und nicht als totalitär rezipiert“ hätten. Ansichten wie diese oder seine Aussage „Wer Freiheit will, muss sie auch in der Wirtschaft wollen.“ stoßen bei den Postkommunisten von PDS bzw. „Die Linke“ nicht gerade auf Begeisterung. So ist Gauck für den Linke-Fraktionschef von Thüringen, Bodo Ramelow, „nur eingeschränkt demokratiefähig“, da Gauck die Linke auf Bundesebene als „nicht regierungsfähig“ bezeichnet hat und sich keine rot-rot-grüne Bundesregierung wünscht. Außerdem hatte Gauck bereits mehrfach betont, sich nicht an die Linke anbiedern zu wollen, um so deren Stimmen zu bekommen. Die Schriftstellerin Daniela Dahn – sie war kurzfristig als Kandidatin der Linken für das Präsidentschaftsamt im Gespräch – kritisierte Gauck ebenfalls, da er im Schwarzbuch des Kommunismus diesen als ebenso als totalitär eingestuft hat wie den Nationalsozialismus. Die nunmehrige Kandidatin der Linken, Luc Jochimsen, die der Ansicht ist, dass die DDR kein Unrechtsstaat war, hält Gauck gar für unversöhnlich. Oscar Lafontaine setzte sogar noch eins drauf, indem er Gaucks Familie vorwarf, in der DDR zu den Begünstigten gehört zu haben, was aber angesichts der Familiengeschichte schwer zu untermauern ist.

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Haben Mühe, ihren Kandidaten Christian Wulff durchzubringen: Kanzlerin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle.

Beliebter Gauck als Angebot an CDU und Liberale

Gauck als Kandidaten aufzustellen war für SPD und Grüne trotz oder vielleicht gerade wegen der Verweigerung der Linken in mehrfacher Hinsicht ein geschickter Schachzug. Nachdem der SPD in der jüngsten Vergangenheit immer wieder vorgeworfen worden war, auch auf Bundesebene eine Koalition mit den Postkommunisten einzugehen, sollte dies mandatsmäßig eine Option sein, nimmt die Kandidatur Gaucks diesem Vorwurf ein wenig den Wind aus den Segeln. Bei der absoluten Mehrheit der Regierungsparteien in der Bundesversammlung wäre außerdem ein rot-grüner Parteigänger von vorneherein chancenlos gewesen. Gauck ist aber ein klares Angebot auch an bürgerliche Wahlmänner. Ursprünglich hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel Gauck in einem SMS an Angela Merkel als gemeinsamen überparteilichen Kandidaten vorgeschlagen. Auch wenn Merkel dieses Angebot ablehnte, so bleibt Gauck doch der Ruf der Überparteilichkeit.

Inzwischen meldeten sich auch namhafte Persönlichkeiten aus dem schwarz-gelben Umfeld wie Alt-Präsident Richard von Weizsäcker und Sachsens ehemaliger CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf zu Wort und forderten Merkel auf, ihren Wahlmännern freie Hand zu lassen; Alt-Präsident Roman Herzog (CSU) erklärte demonstrativ, dass die Wahl von Rechts wegen sowieso frei sei. Allgemein genießt Gauck hohes Ansehen bei vielen Politikern von CDU/CSU und FDP. Um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen, haben Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle mehrmals ihre Wahlmänner auf die Wahl Wulffs eingeschworen.

Doch nicht nur bei Politikern, auch bei der Bevölkerung scheint Gauck sehr beliebt zu sein. Für viele verkörpert er den Typ des „Nicht-Politikers“: Er sagt was er sich denkt, ist nicht so berechnend und abgehoben wie Wulff. Einer Umfrage der Frankfurter Allgemeinen zufolge liegt Gauck mit 42 Prozent Zustimmung bei den Bürgern klar vor seinem Gegner mit 32 Prozent.

Auch wenn Christian Wulff die größeren Chancen auf das Präsidentenamt hat, so ist das Rennen noch nicht gelaufen. Joachim Gauck ist ein interessanter Herausforderer, der als Präsident sicherlich eine Bereicherung für die politische Landschaft Deutschlands darstellen würde.

Fotos: Tohma / AxelHH / Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik

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