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24. Juli 2010 / 09:21 Uhr

Christen im Orient: Die bedrohte Urkirche

Als der katholische Bischof Luigi Padovese Anfang Juni im türkischen Iskenderun ermordet wurde, beeilten sich die zuständigen Behörden, den Täter als verrückten Einzeltäter darzustellen. Dabei handelt es sich bei der Bluttat keineswegs um einen Einzelfall. Nicht nur in der Türkei, im ganzen Nahen Osten ist die Lage der christlichen Gemeinden prekär.

Dabei blickt das Christentum im Orient auf uralte Traditionen zurück. Bereits um 40 nach Christus, etwa 15 Jahre nach der Kreuzigung Jesu, finden sich im Raum um Damaskus erste christliche Gemeinden abseits des damaligen jüdischen Siedlungsraums. Das Gebiet der südlichen Türkei und Syriens wurde zur Keimzelle der heidnischen Christen. Das Christentum entstand damit als eigene Religion und begann sich vom Judentum zu emanzipieren. Auch die Geburtsstadt des Apostel Paulus Tarsus befindet sich in der südlichen Türkei. Lange bevor das Christentum im Westen des römischen Imperiums heimisch wurde, gab es in allen Teilen des hellenistisch-römischen Ostens christliche Gemeinden.

Verwirrende Vielfalt christlicher Kirchen

In keinem anderen Teil der Erde gibt es eine derartige Vielzahl an unterschiedlichen christlichen Kirchen wie im Orient. Die größte Gruppe bilden verschiedene orthodoxe Gemeinden, die auf das byzantinische Kaiserreich zurückgehen. Zu diesen zählen die Kopten in Ägypten, die dort etwa zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen, und armenische Christen. Daneben existieren verschiedene sogenannte „Unierte Kirchen“, die zwar den orthodoxen Ritus pflegen, sich aber dem Papst unterstellt haben, wie die Maroniten im Libanon.

Michel Aflaq - Gründer der Baath-ParteiHinwendung zum Nationalismus

Nach verschiedenen Phasen der Duldung und Unterdrückung, die der Ausbreitung des Islam ab dem 7. Jahrhundert folgten, wandten sich viele orientalische Christen im 20. Jahrhundert dem Nationalismus zu. Mit dem Konzept einer über den Religionen stehenden Nation hofften die Christen ihre Außenseiterrolle überwinden zu können. Der Begründer der nationalistischen Baath-Partei, Michel Aflaq (Bild links), war ebenso Christ wie der radikale Palästinenserführer George Habash. Insbesondere in den beiden baathistisch regierten Staaten Syrien und Irak verbesserte sich die Situation, sodass Christen selbst in höchste Regierungsämter aufsteigen konnten, wie der ehemalige irakische Außenminister Tariq Aziz.

Verfolgungen in der Gegenwart

Nach einer Phase relativer Toleranz hat sich die Lage der orientalischen Christen inzwischen radikal verschlechtert. Insbesondere die Gemeinden in der Türkei, dem Irak und in Ägypten stehen unter starkem Druck, sodass die Zahl der dortigen Christen durch Auswanderung und Konversion rapide abnimmt.

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Den stärksten Aderlass muss derzeit die chaldäische Kirche im Irak hinnehmen. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs nach der amerikanischen Invasion sind Anschläge auf Priester und Gotteshäuser an der Tagesordnung. 2008 wurde der Bischof von Mosul ermordet, von ehemals 80.000 Christen in der Stadt ist die überwiegende Mehrheit geflohen. Islamische Milizen heben von Christen außerdem Sondersteuern ein oder zwingen christliche Mädchen zur Heirat mit Muslimen, was nach islamischem Recht einer Konversion gleichkommt. Insgesamt hat sich die Zahl der Christen im Irak seit 2003 halbiert.

BildDie Kopten stellen ungefähr zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung, wobei auch hier die Zahl im Sinken begriffen ist. Angriffe auf christliche Kirchen häufen sich. Der Staat versucht immer wieder, die Vorfälle zu vertuschen. Auch sonst werden Christen von staatlicher Seite regelmäßig Steine in den Weg gelegt, wenn es zum Beispiel um Baubewilligungen geht.

Ähnlich ist die Lage in der Türkei, wo es wie beim jüngsten Bischofsmord immer wieder zu Übergriffen vor allem auf Priester kommt. Ein Beispiel für die verdeckten staatlichen Repressionen ist das Kloster Mor Gabriel (Bild rechts) im Südosten der Türkei. Obwohl des 397 gegründete Kloster zum UNESCO-Welterbe zählt, ist inzwischen seine Existenz durch eine Reihe von Prozessen bedroht.

Selbst in Bethlehem, der Geburtsstadt, Jesu sind die Christen auf dem Rückzug. Waren 1990 noch knapp zwei Drittel der Einwohner Christen, so sind es jetzt gerade noch 15 Prozent. Die Stimmung unter den Palästinensern hat sich stark verändert. Während Jassir Arafat noch an der Weihnachtsmesse teilnahm, gewinnen auch dort inzwischen christenfeindliche Kreise die Oberhand.

Auch in Jerusalem wurden Christen attackiert, in diesem Fall allerdings nicht von Muslimen sondern von orthodoxen Juden. Priester wurden bespuckt, Klöster mit Steinen angegriffen. Ähnlich wie in muslimischen Ländern hielt sich auch hier die Polizei auffallend zurück.

Es gibt auch Ausnahmen

Zwei Ausnahmen stechen allerdings positiv hervor: die kurdische Autonomiezone im Irak und Syrien. Die syrische Führung gehört selbst der Minderheit der Alawiten an, Christen sind im Staatsapparat stark vertreten. In letzter Zeit flohen vor allem Christen aus dem Irak nach Syrien.
Auch das kurdische Autonomiegebiet gilt als Rückzugsgebiet für verfolgte Christen. Islamistische Gruppen fanden unter sunnitischen Kurden bisher kaum Rückhalt. Die Verbindung zwischen Kultur und Religion ist weniger ausgeprägt als unter den arabischen Muslimen.
Trotz dieser erfreulichen Beispiele steht das traditionsreiche Christentum im Orient vor seiner wahrscheinlich schlimmsten Krise, die dazu führen könnte, dass diese Kultur für immer verschwindet.
 

Fotos: AlBaath-Online / Gerry Lynch

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