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Der EuGH wird eine Frage beantworten müssen, ob einer Frau eine höhere Pension zusteht, weil ihre Kindererziehungszeiten im Ausland nicht berücksichtigt wurden.

15. Feber 2021 / 23:29 Uhr

Nur 1.079 Euro Pension – Klage gegen PVA nun beim EuGH

Eine Pensionistin ist mit der Höhe ihre Pension von 1.079,15 Euro nicht einverstanden und hat die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) bis dato erfolglos verklagt. Sie kritisiert, dass ihre Kindererziehungszeiten nicht zur Gänze angerechnet wurden. Der Haken: Die Frau hat durchaus zwei Kinder eine zeitlang erzogen. Allerdings die ersten Jahre nicht in Österreich. Erzogen wurden die Kinder fünf Jahre in Belgien, nicht ganz einen Monat in Ungarn und etwas mehr als einen Monat im Vereinigten Königreich. Neben den österreichischen Kindererziehungszeiten hat die PVA nur den Zeitraum im Vereinigten Königreich zur Pension angerechnet, nicht aber den Zeitraum in Belgien und Ungarn.

Droht der EU eine Blamage?

Die Streitsache ist nun beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelandet (Aktenzahl C-576/20), da im Wesentlichen die wirren EU-Verordnungen 883/2004, 987/2009 sowie die Vorgängerverordnung 1408/71 betroffen sind. Es wird sogar die Frage in den Raum geworfen, ob die aktuell geltenden EU-Gesetze gegen die EU-Verträge verstoßen, was eine Blamage für die EU wäre. Als die Mutter ihre Kinder erzog, galt die EU-Verordnung 1408/71. Ihren Pensionsantrag stellte sie, als die neuen Verordnungen galten, die anders formuliert sind und anscheinend zu einer Verschlechterung führen dürften.

Der Streit geht bis Dezember 2017 zurück, als die Frau ihren Bescheid zur Pensionshöhe von der PVA erhalten hatte. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien lehnte das Begehren der Klägerin ab, das Oberlandesgericht Wien gab ihrer Berufung nicht Recht, und der Oberste Gerichtshof, bei dem die Klägerin ihre Revision einbrachte, hat nun mit einem Vorab-Entscheidungsersuchen den EuGH um Beantwortung ersucht.

Die Chronologie:

Leser, die den Sachverhalt genauer kennen wollen, haben anbei die Zusammenfassung aus dem öffentlichen Akt. Die Klägerin wurde im Jahr 1957 geboren. Sie erwarb von 4. 10. 1976 bis 28. 8. 1977 elf Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Lehrling in Österreich. Nach ihrem Studium erwarb sie von 1. 1. 1982 bis 30. 9. 1986 weitere 57 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich.

Danach war die nunmehrige Pensionistin sehr reisefreudig. Gleich im Oktober 1986 begab sich die Frau in das Vereinigte Königreich und absolvierte dort ein Studium. Damals Studentin, wurde sie schwanger und übersiedelte Anfang November 1987 nach Belgien, wo sie am 5. 12. 1987 einen Sohn gebar. Und wenige Jahre später, am 23. 2. 1990, kam der weitere Sohn zur Welt. Offensichtlich war der Vater der Kinder ein belgischer Staatsangehöriger.

Und jetzt wird es etwas kurios. Die Mutter hat im Zeitraum Dezember 1987 bis Dezember 1992 Kindererziehungszeiten in Belgien gehabt. Allerdings war sie mit den Kindern vom 5. 12. 1991 bis 31. 12. 1991 in Ungarn und schließlich vom 1. 1. 1993 bis zum 8. 2. 1993 im Vereinigten Königreich. Sie ging keiner Erwerbstätigkeit nach und erwarb weder im Vereinigten Königreich, noch in Belgien, noch in Ungarn Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung. Die Mutter erhielt in diesem Zeitraum auch keine Leistung aufgrund Kindererziehung oder -betreuung.

Am 8. 2. 1993 kehrte die Frau nach Österreich zurück, wo sie in weiterer Folge unselbständig und selbständig erwerbstätig war und bis Oktober 2017 Versicherungszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit in der Pensionsversicherung erwarb.

Am 11. 10. 2017 beantragte sie die Zuerkennung einer Alterspension bei der PVA , die ihr 1.079,15 Euro monatlich ab dem 1. 11. 2017 zusprach. Die PVA legte der Berechnung der Pension 366 in Österreich erworbene Versicherungsmonate zugrunde, darunter 14 Monate an Ersatzzeiten für Kindererziehung von Jänner 1993 bis Februar 1994.

Die Frau klagte auf die Zuerkennung einer höheren Alterspension. Für die Berechnung dieser Pension seien auch die Zeiten der Kindererziehung in den Mitgliedstaaten Vereinigtes Königreich, Belgien und Ungarn von 5. 12. 1987 bis 31. 1. 1993 (62 Monate) als Ersatzzeiten zugrunde zu legen. Die PVA hat aber nur jenen Zeitraum, den die Mutter im Vereinigten Königreich verbachte, als Kindererziehungszeit angerechnet sowie 13 restliche Monate für die Erziehungszeit in Österreich.

Der OGH stellt die Frage nach einem möglichen Verstoß gegen das Primärrecht, als auch einen möglichen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes in den Raum. Da die VO 1408/71 keine dem Art 44 VO 883/2004 vergleichbare Regelung enthielt und die Klägerin die Kindererziehungszeiten im zeitlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung zurücklegte, sprechen – ausgehend von der bereits dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs – bei einer ersten Prüfung auch im vorliegenden Fall beachtliche Gründe dafür, belgische und ungarische Kindererziehungszeiten als nach österreichischem Recht zu prüfende Kindererziehungszeiten zu qualifizieren, weil im Anwendungsbereich der VO 1408/71 von einer hinreichenden Verbindung von der Klägerin zum österreichischen Sozialversicherungssystem auszugehen wäre. Insofern hätte sich die Situation der Frau nach Inkrafttreten der EU-Verordnung 987/2009 mit 1. 5. 2010, daher lange nach Absolvierung der Kindererziehungszeiten, verschlechtert.

In Pflegegeld-Sache EuGH nicht befragt

Übrigens: Zwei der Richter waren 2016 bei einem anderen Verfahren beteiligt, in dem der EuGH nicht um Vorab-Entscheidung ersucht wurde. Österreichische Grenzgänger, die ausschließlich von der Schweiz eine Rente beziehen, erhalten von Österreich kein Pflegegeld. Auch dann nicht, wenn sie in Österreich versichert sind. Die Schweiz, die zuständig wäre, hat aber kein Pflegegeld. Die Richter trafen – ohne den EuGH zu befragen – faktisch ein Fehlurteil. Viele österreichische Pflegebedürfte stehen vor einem Scherbenhaufen.

Alles in allem zeigt sich, dass die EU diverse Gesetze beschlossen hat, die nicht durchdacht sind und sowohl zu Lasten der Personenfreizügigkeit, als auch der Arbeitnehmerfreizügigkeit gehen. Ungleiches lässt sich eben nicht gleich regeln.

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