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Schredder-Affäre / Buch

Der Social-Media-Chef von Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz ließ Festplatten aus dem Bundeskanzleramt schreddern. Was war auf diesen Festplatten, dass sie unbedingt vernichtet werden mussten?

8. Dezember 2021 / 11:56 Uhr

Eine unbezahlte Rechnung brachte die “Schredder-Affäre” ins Rollen

Im Buch von Christian Hafenecker mit dem Titel „So sind wir“ wird auch die sogenannte “Schredder-Affäre” beleuchtet. Ein zentraler Punkt: Die womöglich von manchen nicht ganz ungewollten Ermittlungspannen.
Fünf Festplatten unter falschem Namen vernichtet
Das dubiose Schreddern von Festplatten aus dem Bundeskanzleramt im Juli 2019 hat der linke Falter als eine „mutmaßlich kriminelle Geheimaktion“ bezeichnet. Im Mittelpunkt der Affäre: Der Fotograf und ehemalige Social-Media-Chef von Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, Arno M.. Er ließ unter dem falschen Namen Walter Maisinger noch vor der Abwahl seines Mentors durch das Parlament (anschließend wurde bekanntlich die “Experten-Regierung” eingesetzt) insgesamt fünf Festplatten aus dem Kanzleramt restlos vernichten. Wer der Auftraggeber dieser Aktion war, konnte bis heute nicht wirklich aufgeklärt werden. Vor dem „Ibiza“-Untersuchungsausschuss sagte M., er habe seinem Gruppenleiter – ebenfalls ein Mitglied des politischen Kabinetts im Kanzleramt – angeboten, das Schreddern zu übernehmen.
Stümperhafter Lapsus
Durch den stümperhaften Lapsus, die Rechnung nicht zu bezahlen (in Summe: 76 Euro und 45 Cent), flog M. auf und nährt seither die Gerüchteküche: Aus welchen Geräten stammen die Festplatten, welche Daten waren darauf abgespeichert und warum mussten sie sogar mehrfach beinahe zu Staub geschreddert werden, den der Mitarbeiter dann sogar noch mitgenommen hat?
Arno M. war während des Schredderns nervös
Der Falter zitiert den Geschäftsführer der Firma Reisswolf, Siegfried Schmedler, der den Fall publik machte:

Er hat sich bei der Anmeldung schon sehr nervös verhalten und auch bei dem ganzen Prozess war er die ganze Zeit nervös. Er wollte auf keinen Fall die Festplatten aus der Hand geben.

Reisswolf musste die Schredder-Durchgänge dreimal wiederholen – darauf bestand der Kunde. Normalerweise reicht ein Vorgang, um eine normgerechte Vernichtung sicherzustellen.
Ein stämmiger Mann mit Vollbart im Fernsehen
Nur wenige Tage nach der Schredder-Aktion wurde Kanzler Kurz in einem Misstrauensantrag des Nationalrats abgewählt. Seine Abschiedsrede übertrug das Fernsehen – und auch einige Mitarbeiter des Wiener Aktenvernichtungs-Unternehmens Reisswolf sahen zu. Zu dieser Zeit rätselten sie noch, wer wohl der geheimnisvolle Kunde gewesen sein mag. Dann erkannten sie hinter Kurz den stämmigen jungen Mann mit Vollbart: Walter Maisinger alias Arno M., der Mann, der höchst konspirativ zum mehrmaligen Schreddern vorbeigekommen war und der sie am Ende auch noch auf der Rechnung sitzen ließ.
Arno M. konnte überführt werden
Alles wäre wohl eine ÖVP-Geheimaktion geblieben, wäre M. nicht ein gravierender Anfängerfehler unterlaufen. Sein Name war zwar erfunden, aber er hinterlegte eine tatsächliche Rufnummer. So konnte die Firma Reisswolf ihn letztlich überführen. Sie erstattete wegen der nicht bezahlten Rechnung in Höhe von 76,45 Euro Anzeige gegen ihn.
Hatte ÖVP etwas mit dem „Ibiza-Video“ zu tun?
Unmittelbar nach der Schredderei kam ans Tageslicht, dass die ÖVP mit dem kriminell hergestellten „Ibiza-Video“ etwas zu tun haben könnte. Es ging um E-Mails zwischen dem damaligen Medienminister und Kurz-Vertrauten Gernot Blümel und dem Kanzler selbst, in denen von belastendem Videomaterial die Rede sein soll. Dass die E-Mails über die Festplatten im Bundeskanzleramt liefen, schien zumindest möglich. Warum sonst sollte so ein Aufheben um die Vernichtung von angeblichen Druckerfestplatten einer Behörde gemacht werden?
Datenspeicher von Blümels Laptop zu Staub zermahlt?
Jan Krainer, SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, wies im Zuge der Befragung nach, dass nur drei von fünf Festplatten standardmäßig in Ricoh-Druckern, wie sie im Kanzleramt stehen, verbaut werden; die zwei anderen sind Hitachi-Festplatten, die – mit der exakt gleichen Spezifikation wie die geschredderten Datenträger – in „Elite-Notebook“-Laptops von HP eingesetzt werden. Mit einem solchen Laptop hatte das Bundeskanzleramt damals den Kanzleramtsminister Gernot Blümel ausgestattet.
Krainer legte zugleich Fotos aus der Zeit von Türkis-Blau vor, die den damaligen Kanzleramtsminister Blümel beim Arbeiten an seinem HP EliteBook zeigen. Es lässt sich also zumindest vermuten, dass der treue Mitarbeiter von Kurz und Blümel neben drei Druckerfestplatten auch den Datenspeicher von Blümels Laptop zu Staub zermahlen ließ.
Korruptionsermittler auf Weisung gestoppt
Nach der Anzeige der Firma Reisswolf übernahm nun die im Bundeskriminalamt gebildete Sonderkommission „Tape“ – in der Öffentlichkeit besser als „Soko Ibiza“ bekannt – den Fall. Sie vermutete, dass bei der Schredder-Aktion Beweismaterial vernichtet worden sein könnte. Die Korruptionstaatsanwaltschaft wollte Mobiltelefon und Laptop von M. beschlagnahmen lassen, dazu kam es aber nicht. Die Korruptionsermittler mussten das Verfahren auf Weisung der Oberstaatsanwaltschaft abtreten. Dies geht aus dem Bericht des Online-Mediums zackzack.at des früheren Grün-Abgeordneten Peter Pilz hervor.
Verfahren gegen Kurz-Mitarbeiter eingestellt
Die Staatsanwaltschaft Wien stellte das Verfahren gegen den betreffenden Kurz-Mitarbeiter ein. Die ÖVP ließ triumphierend verlauten, dass „das Kartenhaus des Skandalisierens in sich zusammengebrochen“ sei. M. tauchte, nachdem er wochenlang von der Bildfläche verschwunden war, wieder auf – und wurde kurzum zum Referatsleiter im Bundeskanzleramt des wiedergewählten Kanzlers Kurz befördert.
Der Betrachtung der WKStA-Staatsanwältin Christine Jilek, die im U-Ausschuss sinngemäß meinte, noch nie so ein Vorgehen wie das der „Soko Tape“ rund um die Schredder-Causa erlebt zu haben, kann man sich nur anschließen.
Fortsetzung folgt: Lesen Sie am Freitag über den “Maulkorberlass” im Finanzministerium: Keiner durfte mit FPÖ-Staatssekretär Hubert Fuchs reden!
Das Buch von Christian Hafenecker ist im Verlag Frank&Frei erschienen, und zum Preis von 19,90 Euro  im Frank und Frei Verlag zu bestellen.

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