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Das jüngste Urteil des EuGH könnte so ausgelegt werden, dass Österreich zu Unrecht Millionensummen an Familienbeihilfe ins Ausland überwiesen hat.

8. Feber 2019 / 09:14 Uhr

Familienbeihilfe: EuGH-Urteil bricht EU-Gesetz das Genick

Der Europäische Gerichtshof hat einem EU-Gesetz und seiner Idee dahinter das Genick gebrochen. Warum das so ist, soll nun möglichst vereinfacht erklärt werden. Unzensuriert.at hat sich erstmals im September 2018 mit dem Gesetzesdschungel auf EU-Ebene beschäftigt und entsprechende Widersprüche erkannt. Und unzensuriert.at kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass Österreich über viele Jahre rechtswidrig Familienbeihilfen ins Ausland bezahlt hat. Es geht um Summen, die eine Milliardenhöhe erreichen könnten, die Österreich nicht zahlen musste.

Grundgedanke der EU vom Tisch

Konkret will die EU mit ihrer Verordnung 883/2004, die anscheinend seit 1. Mai 2010 gilt, sämtliche Leistungen, die EU-Staaten gewähren und die alle unterschiedlich sind, koordinieren. So auch die Familienleistungen. Der Grundgedanke, der auf dem freien Personen- und Dienstleistungsverkehr beruht, lautet: “Du hast ein Kind in einem Staat, gehst aber in einem anderen Staat arbeiten. Deswegen zahlst du dort ins System ein und hast auch entsprechend Leistungen zu erwarten – auch dann, wenn Du arbeitslos wirst.”

Das klingt zwar gut und wurde auch von EU-Kommissarin Marianne Thyssen stets getrommelt. Die Sache hat aber – vor allem wenn es um Familienleistungen geht – zwei Haken. 1. Der Grundgedanke steht so nicht in der EU-Verordnung 883/2004 (Konkret Kapitel 8). 2. Was aber noch viel schlimmer ist: Sämtliche europäische Staaten gewähren ihre Familienleistungen nicht aufgrund einer Erwerbstätigkeit. Es stellt sich die Frage, wieso jemand eine Leistung erhalten kann und dafür nicht arbeiten muss, während jemand anderer, der die Leistungen haben will, arbeiten MUSS. Eine klare Ungleichbehandlung – eine Diskriminierung.

EuGH legt EU-Verordnung wörtlich aus

Der EuGH hat gestern. Donnerstag, eine Entscheidung getroffen, die gravierende Auswirkungen auf ganz Europa haben dürfte. Er legt die EU-Verordnung 883/2004 nicht so aus, wie es der Gesetzgeber haben wollte, sondern wörtlich. Und wörtlich besagt der Artikel 67, dass ein Elternteil gemäß den Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedsstaates (wo er sich aufhält) Anspruch auf Familienleistungen haben kann als ob auch sein Kind dort lebt. Der Artikel 67 besagt nicht, dass ein Elternteil arbeiten muss, und der EuGH stellt auch fest, dass die Verordnung im Gegensatz zu seiner vorherigen Gesetzgebung nun auch Personen umfassen soll, die nicht arbeiten.

Keine Familienbeihilfe bei Erwerbstätigkeit

Gemäß den österreichischen Rechtsvorschriften wird die Familienbeihilfe nicht aufgrund einer Erwerbstätigkeit bezahlt. Österreich hat aber in den letzten Jahren eben aufgrund einer Erwerbstätigkeit die volle Familienbeihilfe ins Ausland überwiesen. Die volle Familienbeihilfe deswegen, weil der Elternteil in Österreich gearbeitet hat, während der andere Elternteil im Ausland mit dem Kind lebend, nicht arbeiten geht. Würde auch dieser Elternteil arbeiten, müsste Österreich eine Differenzzahlung überweisen. Das heißt, zuerst zahlt der Staat, wo das Kind lebt, gemäß den Rechtsvorschriften die Familienleistungen. Und Österreich zahlt einen Restbetrag, damit die Familie insgesamt auf die Höhe der österreichischen Familienbeihilfe kommt.

Der EuGH widerspricht dieser Praxis nun. Er besagt nämlich, dass eine Familienleistung eines Staates nur dann vorrangig mit einer Erwerbstätigkeit verknüpft wird, wenn der Staat gemäß seinen Rechtsvorschriften eine Familienleistung aufgrund einer Erwerbstätigkeit gewährt. Es gibt durchaus Staaten, in denen die Familienleistungen einkommensabhängig sind. Bei der österreichischen Familienbeihilfe ist das aber nicht der Fall.

EU-Verordnung hat bei Wohnortansprüchen einen Haken

Für Österreich müsste, wie bei den meisten anderen Staaten, gelten, dass die Familienbeihilfe aufgrund der Wohnzugehörigkeit eines Kindes bezahlt wird. Folglich können beide Elternteile in ihren wohnhaften Mitgliedsstaaten Familienleistungen aufgrund von Wohnortansprüchen geltend machen. ABER: Artikel 68 (2) besagt, dass bei einer solchen Konstellation nur der Mitgliedsstaat eine Leistung bezahlen muss, in dem das Kind lebt. Der andere Staat, wo der Elternteil wohnt, arbeitet oder einen Rentenanspruch hat, müsste nichts bezahlen.

Familienleistungen zu Unrecht bezahlt?

Das EuGH-Urteil muss so gesehen werden, dass Österreich zu Unrecht Unsummen an Familienbeihilfen ins Ausland überwiesen hat, obwohl die EU-Verordnung das so nicht besagt. Dies gilt auch für alle anderen Staaten. Nur Eltern in Staaten, die gemäß ihren Rechtsvorschriften aufgrund einer Erwerbstätigkeit eine Familienleistung gewähren, könnten mit Ansprüchen aus anderen Staaten rechnen. Wenn der EU das nicht passt, müsste sie alle EU-Staaten zwingen, ihre Rechtsvorschriften zu ändern, damit eine Erwerbstätigkeit für einen Bezug einer Beihilfe verpflichtend vorgesehen werden muss. Eine solche Idee würde aber eine Revolte auslösen.

Prüft Ministerium seit Monaten?

Vom Familienministerium hieß es, dass die Rechtsabteilung das Urteil analysiere. Nun, das dürfte wohl Monate dauern, wenn man bedenkt, dass das Familienministerium schon seit Monaten eine entsprechende Medienanfrage erhalten hat, die bis heute nicht beantwortet wurde. Es hieß lediglich, es werde geprüft .

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