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Europa muss in Bezug auf seine Russlandpolitik umdenken.

25. September 2018 / 15:00 Uhr

Der russische Bär ist zahmer als man ihn immer darstellt

Spätestens unter den beiden Zaren Iwan III. (1440-1505) und IV. (1530-1584) endete der Winterschlaf des russischen Bären und mit seinen Bärenkräften erkämpfte sich Russland ein großes Reich. Eineinhalb Jahrhunderte später setzte das Zarenreich zu einem weiteren Aufstieg unter Peter dem Großen (1698-1725) an. Die Russen sahen sich danach als slawisch-christliche Großmacht und Beschützer und auch Befreier aller Slawen, welche unter Fremdherrschaft standen.

Gastbeitrag von Harald Pöcher

Ihr erster Gegner bei der Befreiung aller Slawen, welche unter fremden Joch standen, war das islamisch-osmanische Reich. Mit russischer Hilfe gelang es in einigen Kriegen den Einfluss des osmanischen Reiches am Balkan zurückzudrängen und dadurch das Wirken des Islam am Balkan in Grenzen zu halten. Eine Re-Christianisierung hatte die Russen aber nicht betrieben, sodass eine Restgröße islamisch orientierter Bevölkerung am Balkan verblieb.

Europa war dankbar

Die Bärenstärke der Großmacht Russland ersparte Europa eine längere Regierungszeit des Usurpators Napoleon und schließlich bewahrte das Zarenreich um die Mitte des 19. Jahrhunderts den österreichischen Kaiser vor einer verheerenden Niederlage im ungarischen Freiheitskampf 1848/49. Die Habsburger dankten dies den Russen nicht und griffen nicht auf Seiten Russlands in den Krimkrieg (1853-1856) ein. Nach Ansicht des Autors war diese passive Haltung Österreichs mit Schuld an den für Österreich negativen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit Österreich als Bündnispartner hätte der Krimkrieg einen anderen Verlauf genommen und hätte Frankreich und das Osmanische Reich von weiteren Machtgelüsten ferngehalten. Österreich wäre daher bei einer Niederlage Frankreichs im Krimkrieg die folgenschweren Niederlagen in Italien erspart geblieben, als Frankreich auf Seiten des Königreiches Sardinien gegen Österreich in den Krieg zog.

Der zweite Weltkrieg

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts  kämpfte Russland um die Erhaltung seiner territorialen Integrität und konnte vor allem im Zweiten Weltkrieg unter großen Entbehrungen  seinen und den Einflussbereich des Kommunismus wesentlich erweitern. Dadurch kam Russland in Konkurrenz zum demokratisch orientierten Westen und wurde für die freie Welt zum Feindbild Nummer Eins.

Während des Kalten Krieges zwischen 1945 und 1990 war Russland als Teil des autoritär geführten kommunistischen Machtblockes der erklärte Gegner des demokratischen freien Westen, welchem unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika jedes Mittel recht war um den kommunistischen Osten als feindselig und aggressiv darzustellen. Erinnern wir uns zurück in die Zeit des Kalten Krieges, als ein eiserner Vorhang sich quer durch Europa von Norden nach Süden zog und nur wenige Kontakte zwischen Menschen aus West- und Osteuropa zuließ. Vielmehr wurde geschickt ein Feindbild vermittelt, welches immer die aggressive Sowjetunion in den Mittelpunkt stellte und den Westeuropäern einzureden versuchte, dass die Streitkräfte der Warschauer Paktmitglieder nur ein Ziel verfolgen, nämlich den überraschenden Angriff gegen Westeuropa. Im Warschauer Pakt wiederum hatte man die aggressive NATO zum Feindbild stilisiert und man bereitete sich mit enormen Kosten, welche zu Lasten der Konsumgüterindustrie und sozialen Wohlfahrt gingen, zur Vorwärtsverteidigung vor, welche im Schwergewicht die Aufstellung von starken Streitkräften in Grenznähe über die gesamte Länge des Eisernen Vorhanges vorsah. So standen sich fast 55 Jahre Hunderttausende  von Soldaten, bewaffnet mit Atomwaffen, zigtausenden Kampfpanzern, Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern nahezu Aug in Aug gegenüber und warteten ständig in hohe Kampfbereitschaft versetzt auf den Angriff des Gegners.

Die NATO und ihre Pläne

Der Autor meint, ohne dafür die Beweise vorlegen zu können, dass die damals vom Westen kolportierten Feindbilder durch unverantwortlich agierende geschäftsgierige Manager der Rüstungskonzerne in den großen Mitgliedsstaaten der NATO ausgedacht und geschickt über Sicherheitspolitiker und Politiker bewusst falsch ausgestreut wurden. Für den Absatz der Rüstungsgüter und die steuerfinanzierten Forschungsmilliarden im Rüstungsbereich war es nämlich notwendig, dass der Bedarf an Rüstungsgütern durch eine künstlich gesteuerte Nachfrage abgesichert und die Steuerzahler im Glauben gelassen werden mussten, dass ihre Steuergelder bestmöglich in militärische Überlegenheit gegen einen Feind, der jederzeit angreifen könnte, investiert werden sollten, damit sie in Freiheit und Wohlstand leben können. Im Osten wiederum war es den Mitgliedern des Politbüros bewusst, dass der Kommunismus nicht über Nacht die Weltherrschaft erringen wird können und man sich zunächst zufrieden geben sollte, das Erreichte und auch die eigenen persönlichen Vorteile mit starken Streitkräften zu verteidigen. An einen tatsächlich Angriff gegen den Westen – höchsten als Planspiel – dachten die Herren im Politbüro im Kreml sicher nicht, da ihnen bewusst war, dass der Westen auch mit einem Überraschungsangriff nicht binnen einiger weniger Tage zu besiegen sein werde, sondern vielmehr ein Gegenschlag unter einem möglichen Einsatz von Atomwaffen die Jahrzehnte lange Aufbauarbeit des Kommunismus in der Welt jäh beenden könnte.

Um den Status Quo zu behaupten, waren aber dennoch starke Streitkräfte notwendig und auch der Aufbau einer innovativen Rüstungsindustrie, welche die notwendigen Rüstungsgüter entwickeln und zeitgerecht liefern konnte. Im Zusammenhang mit der obigen Analyse warnt der Autor auch vor zu schnellen Vorverurteilungen des damaligen sozialistischen Systems in der Sowjetunion und ihrer Bruderstaaten, denn es war nicht alles schlecht im damaligen Sozialismus, beispielsweise wurden im Vergleich zu anderen Berufen die Soldaten sehr gut bezahlt und hatten einen hohen Stellenwert als Beschützer des Systems, und ganz aktuell: es  gab auch keine offenen Grenzen, welche als Einladung für Menschen mit unterschiedlicher Motivation ins Land kommen zu wollen, leicht überquert werden konnten.

Zustand in der Gegenwart

Heute, mehr als 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, wird Russland wieder als aggressiver Bär angesehen, was aber nach Ansicht des Autors nicht den realen Gegebenheiten entspricht. Russland als der größte Nachfolgestaat der ehemaligen Sowjetunion verlor nicht nur seinen Einfluss in Osteuropa, sondern musste auch die Osterweiterung der NATO tatenlos zur Kenntnis nehmen und sich darüber hinaus mit den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, beispielsweise mit der Ukraine, über die Rechte der russischen Minderheiten in all diesen Staaten arrangieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Mutternation als Schutzmacht alles für seine Landsleute, welche in anderen Staaten leben müssen, unternimmt, um die Rechte der Minderheit zu schützen. Österreich gelang dies ganz gut mit seinen Landsleuten in Südtirol durch das Ausverhandeln des Südtirol-Paktes mit Italien und auch zwischen Österreich und Slowenien gibt es konstruktive Initiativen, welche darauf abzielen, der slowenischen Minderheit in Österreich das Ausleben der zugestandenen Rechte zu ermöglichen.

In Bezug auf den Nachfolgestaaten der Sowjetunion misslang am Verhandlungstisch vieles; Russland war daher gezwungen, die Rechte seiner Landsleute durch militärische Maßnahmen gebührend abzusichern, was wiederum den Westen zu umfassenden Maßnahmen gegen die russische Wirtschaft veranlasste. In der öffentlichen Meinung im Westen wird daher zur Untermauerung der Richtigkeit all dieser Gegenmaßnahmen Russland als aggressiver Bär dargestellt und die Ukraine als das Opferlamm, welchem man mit Milliarden von Steuergelder aus der EU helfen muss, aber welches vielfach in dubiose Kanäle der Oligarchen in der Ukraine versickert. Es entspricht auch nicht voll den Tatsachen, dass das heutige Russland militärisch stark aufrüstet und dadurch einen großen Angriff auf Nachbarstaaten provoziert. Die Aufrüstung Russland ist nichts anderes als ein Gleichziehen mit den anderen Großmächten der Welt. Wie schon zu Zeiten des Kalten Krieges wird Russland ein militärisches Potential und auch eine aggressive Haltung angedichtet, das es schlichtweg nicht besitzt.

Nach all dem gesagten, zieht der Autor für sich den Schluss, dass Europa in Bezug auf seine Russlandpolitik umdenken und Russland konstruktiv in seine Überlegungen zu einer Euro-Asiatischen Wohlstandszone einbeziehen sollte. Die Entwicklung einer solchen Wohlstandszone mit der Achse Paris-Berlin- Moskau bedeutet nicht per se das Ende der NATO und der guten Beziehungen zwischen den USA und dem westlich orientierten Europa, sondern ist sollte als Ergänzung zum bestehenden Wirtschafts- und Sicherheitssystem in der Welt angesehen werden. Es wäre wahrscheinlich auch eine der letzten Möglichkeit, Europa wieder an ehemalige Glanzzeiten heranzuführen.

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