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28. Juli 2013 / 22:00 Uhr

Der Kollaps des brasilianischen Gesundheitssystems

Nicht nur kurios, sondern auch tragisch ereignete  sich am 11. Juli 2013 in Brasilien ein außergewöhnlicher Unfall. Ein 45-Jähriger wurde, während er schlief, von einer Kuh beinahe erdrückt und schwer verletzt. Laut Angaben der Feuerwehr war das Tier von einer Weide auf das Blechdach des Hauses gestiegen, welches sich unterhalb der Fahrbahnebene befand, und das Dach habe das Gewicht der Kuh nicht ausgehalten. Es sei eingebrochen, wodurch das schwere Tier unmittelbar auf den darunter schlafenden Mann fiel.

Nach Angaben der Behörden war der Mann nach dem Unfall hellwach und orientiert. Knapp einen Tag später starb der 45-Jährige im Spital. Die Ursachen seines Ablebens sind bisher unklar. Seine Familienangehörigen berichteten, der Mann habe die ganze Nacht am Gang des Spitals auf eine Behandlung warten müssen, sei aber dann aufgrund innerer Blutungen verstorben. Das Krankenhaus hat sich bisher zum Vorfall noch nicht geäußert, eine Presseaussendung sei für demnächst geplant.

Wie es zu so einem Ende kommt:

Um nachvollziehen zu können, wie ein Mensch am Gang eines Krankenhauses ums Leben kommen kann, muss man zuerst das brasilianische Gesundheitssystem verstehen. Es ist auf zwei Säulen aufgebaut: Zum einen gibt es das Sistema Único de Saúde (SUS), zum anderen private Versicherungen.

SUS – wortwörtlich übersetzt: allgemeines oder öffentliches Gesundheitssystem  – ist ein öffentlicher Anbieter von medizinischen Dienstleistungen, Gesundheitszentren und Krankenhäusern, welcher die Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger sichern sollte. Die Privatversicherung wiederum umfasst private Dienstleistungen. Ein Großteil der Bevölkerung Brasiliens ist in das SUS integriert, da die materiellen Ressourcen für private medizinische Dienstleistungen nicht vorhanden sind. 

Der Kollaps des öffentlichen Gesundheitssystems:

Dramatisch wiederum ist die Tatsache, dass derzeit in Brasilien das SUS zusammenbricht. Einen Termin bei einem Kinderarzt, Allgemeinmediziner oder Gynäkologen zu bekommen, ist ein schwieriges Unterfangen. Meistens ist mit Wartezeiten von bis zu einem Monat oder mehr zu rechnen, da es einen frappanten Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wie Ärzten und Chirurgen gibt. In vielen Gesundheitszentren ist nur Pflegepersonal vorhanden. Selbst für jene, die schon im Spital aufgenommen wurden, werden die vorgesehenen Operationstermine nicht eingehalten. Noch gravierender ist die Situation derer, die einen Platz auf der Intensivstation benötigen, selbst das kann bis zur 10 oder mehr Tage dauern.

Ausweg: Das Familiengesundheitsprogramm

Die Gründe für diese katastrophale Situation sind hauptsächlich im Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und in der ungerechten Verteilung des Budgets des Staates zu suchen. Die Lösung könnte in den geplanten Erweiterungen des Familiengesundheitsprogramms liegen, eines Programms, das aber wegen des gravierenden Mangels an daran teilnehmenden Ärzten nicht so recht vom Fleck kommen will. Dieses Programm hat zum Ziel, den ärmsten Gesellschaftsschichten den Zugang zum Gesundheitssystem zu öffnen und gleichzeitig die Spitäler zu entlasten. Vorgesehen ist in diesem Programm die Bildung von sogenannten PSF-Teams. Jedes Team sollte im optimalen Fall die Verantwortung für bestimmte Stadtteile, für jeweils ca. 900 Familien übernehmen. Diese Teams setzen sich aus Allgemeinmedizinern, Krankenschwestern, Zahnärzten und Krankenpflegern zusammen. Aufgabe ist es, den Zugang der Menschen zum Gesundheitssystem zu steuern und die Grundversorgung zu gewährleisten sowie weitere spezifische Untersuchungen durch ein Überweisungssystem festzulegen. Leider scheitert dieses ambitionierte Vorhaben oft an finanziellen Engpässen.

Brasilianische Patienten als “Pingpongball” des Gesundheitssystems

Da viel zu wenige Ärzte vorhanden sind, werden viele Patienten vom Gesundheitszentrum ins Spital geschickt und dort werden sie wegen der allgemeinen Überlastung erneut zurück ans Gesundheitszentrum verwiesen. Wo immer sie auch hingeschickt werden, die Patienten bekommen keine Behandlung. 

Empfehlung für Touristen der WM-2014

Die Fußball-WM 2014 findet bald statt, es bleibt den Touristen, die das Land besuchen möchten, im Falle des Falles also nur die Hoffnung, dass sich diesbezüglich sehr bald etwas ändert. Wenn jedoch nicht einmal die brasilianische Bevölkerung eine Chance auf ausreichende medizinische Versorgung hat, ist fraglich, wie dann all die Massen an Touristen, die erwartet werden, im Krankheitsfall versorgt werden sollen. Wenn die jetzige Regierung es nicht schafft, sich um ihre Landsleute zu kümmern, wie soll sie dann das Wohlbefinden der ausländischen Gäste garantieren?

Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich bis zur WM 2014 und zu den Olympischen Sommerspielen 2016 einiges in diesem Land verbessert, zumindest was das Gesundheitssystem betrifft. Den Touristen bzw.  Gästen der Fußball-WM-2014 und der Spiele der XXXI. Olympiade 2016 kann man nur den Rat geben, sich während des Aufenthaltes gesund zu erhalten, um nicht das Gesundheitssystem Brasiliens in Anspruch zu nehmen müssen. Für den Notfall wäre eine gute Urlaubskrankenversicherung oder genügend Bargeld zu empfehlen, denn an guten privaten Ärzten herrscht auch in Brasilien kein Mangel. 

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