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23. November 2012 / 15:03 Uhr

Kolumbien: Leben in unterschiedlichen Welten

Anfang 2012 unternahm die kolumbianische Regierung des Präsidenten Juan Manuel Santos den Versuch einer Annäherung an die FARC-Rebellen. Über eine von der Öffentlichkeit abgeschirmte Kontaktanbahnung in Kuba einigten sich die Kontrahenten auf die Mitte Oktober 2012 in Oslo zu verhandelnden Punkte einer Agenda mit dem Ziel des inneren Friedens.

Gastbeitrag von Michael Johnschwager

Was vor mehr als 60 Jahren als Auflehnung einer primitiv bewaffneten Bauern-Miliz in den östlich der Hauptstadt Bogotá gelegenen Llanos Orientales begann, sollte in eine folgenschwere blutige Auseinandersetzung gegen die Oligarchie des Landes münden. 1990 befanden sich die FARC mit einer ca. 15.000 Mann starken Kampftruppe, ausgerüstet mit modernster Waffentechnologie, auf dem Höhepunkt ihrer militärischen Kampfkraft. Zu diesem Zeitpunkt war die älteste Guerillabewegung Lateinamerikas – so die Analyse eines hohen kolumbianischen Militärs – in die Lage versetzt, sich 20 Jahre andauernden Kampfhandlungen gegenüber den Streitkräften der Regierung zu stellen. Erst durch das unerbittliche Vorgehen von Präsident Alvaro Uribe (2002 – 2010 infolge zweiter Amtsperiode) konnten die Aufständischen zurückgedrängt werden. Die Truppenstärke der heutigen FARC- Anführer wird mit ca. 9.200 beziffert.

Dies hingegen bedeutet keineswegs, dass die FARC-Guerilla weniger selbstbewusst auftritt. Die Vertreter auf Regierungsseite zeigten sich davon unbeeindruckt und deren Verhandlungsführer, Humberto de La Calle, ehemaliger Innenminister, antwortete mit einem kurzangebundenen „No“ auf die Frage, ob der herausfordernde Ton, den der FARC-Sprecher Iván Márquez bei den Friedensverhandlungen in der norwegischen Hauptstadt anschlug, ihn verwundere. De la Calle sprach die Guerilleros mit ihrem selbstgewählten Namen an: FARC-EP  Fuerzas Armadas Revolucionarios de Colombia – Ejército Popular (Bewaffnete Streitkräfte Kolumbiens – Volksheer). Er erwies sich als zielorientierter Pragmatiker, als er vorausschickte, dass die FARC ihre bis dato zugesagten Verpflichtungen eingehalten hätten. Ohne Umschweife brachte er die in Kolumbien vorherrschende soziale Ungerechtigkeit bzw. Ungleichheit zur Sprache und signalisierte die Bereitschaft der Regierung zu einer gesellschaftlichen Umgestaltung. Praktiken und Institutionen, die sich als ineffizient erwiesen haben, wolle man einer gründlichen Revision unterziehen.

FARC werfen Kolumbien „Staatsterrorismus“ vor

Iván Márquez – ein ideologisch, sowie militärisch versierter Hardliner – nahm sich für seine Ausführungen die doppelte Zeit und sprach zunächst von einer erforderlich gewordenen tiefgreifenden Entmilitarisierung des Landes. Gern erinnern sich die FARC des Zeitraumes von 1998 – 2001, als ihnen von der Regierung Andrés Pastrana die entmilitarisierte Caguán-Zone (von der Größe der Schweiz) überlassen wurde. Man muss einem während Jahrzehnten im Dschungel agierenden Guerillero auch im Internet-Zeitalter nachsehen, Vorstellungen nachzuhängen, die nicht mehr mit der Welt einer globalisierten Wirtschaft in Einklang stehen. Ausländische Investitionen und Freihandelsabkommen zu geißeln, schreckt hingegen auch geneigte internationale Friedensbefürworter ab, die durchaus mehr soziale Gerechtigkeit und politische Teilhabe aller Bevölkerungsschichten für überfällig erachten. Im selben Atemzug hält Márquez nicht mit der Benennung von Ross und Reiter hinterm Berg, indem er die Namen von Kolumbiens bekanntesten Wirtschaftsführern anführt und parallel dazu den Vorwurf des „Staatsterrorismus“ erhebt. Nicht die Rebellen gehörten auf die Anklagebank, sondern die Kriminellen des Finanzkapitals. Darüber hinaus verlangte er eine Partizipation des Volkes am Verhandlungstisch. Der von ihm vorgetragene Forderungskatalog sieht radikale sozioökonomische Einschnitte vor und umfasst folgende Punkte:

  1. die Wirtschaftsordnung
  2. ausländische Investoren
  3. die Militärdoktrin
  4. die Freihandelsabkommen
  5. den Bergbau- und Energiesektor
  6. das Eigentum an Grund und Boden

Besonders beim letztgenannten Punkt liegen auf beiden Seiten die Nerven blank. Norwegen gilt als diskrete Adresse für lösungsorientierte Verhandlungen, ausgestattet mit feinnervigen Mediatoren zur Beilegung heikler Missionen. Im Unterschied zu früheren Friedensinitiativen setzen sich die kolumbianischen Konfliktparteien an den Verhandlungstisch mit einer wenige Punkte umfassenden Agenda, in der man sich u.a. darauf verständigt hat, über drei Etappen dem Ziel näher zu kommen, und zwar im Ausland, fernab der kriegerischen Auseinandersetzung.

Selbst Fidel Castro hält FARC für Gangster

Nicht nur in den USA und Europa bestehende Sympathisantengruppen sind zuletzt auf Distanz zur FARC-Guerilla gegangen. Kubas Senior-Revoluzzer Fidel Castro kanzelte bereits vor vielen Jahren die kolumbianischen Gesinnungskombattanten als „Gangster“ ab, als deren Verwicklung in Drogen- und Waffenschmuggel ruchbar wurden. Entführungen waren an der Tagesordnung und der Begriff der „Entführungsindustrie“ machte die Runde. Dessen ungeachtet haben sich Márquez und Genossen unverhohlen in der Opferrolle eingerichtet. Dies manifestiert sich in einer Verweigerungshaltung gegenüber einem sogenannten Rechtsprechungsrahmen temporärer Justiz (marco jurídico de justicia transicional), wohl wissend, dass ihnen mit den Entführungsopfern und deren Familien ein Widersacher in der Gesellschaft erwachsen ist, der späte Gerechtigkeit einfordert. Unermüdlich strecken die FARC-Unterhändler unterdessen ihre politischen Fühler insbesondere in Richtung Europäische Union aus, wobei ihr Agieren von der Anerkennung als politische Kraft bestimmt ist.

Die Skepsis, mit der man in Kolumbien den angeschobenen Friedensprozess beobachtet, lässt sich auch mit kühlen Ziffern begründen: Zu groß ist die Anzahl der Akteure, die einen Nutzen aus der bestehenden Situation ziehen. Das im Ausland angelegte Vermögen der FARC-Anführer wird auf ca. 40 Mrd. US-Dollar taxiert. Angesichts dieser Größenordnung erscheint es nur schwer nachvollziehbar, dass die revolutionären Multimillionäre freiwillig diesen Geldern entsagen. Solange der Konflikt ausgetragen wird, erhalten kolumbianische Militärs zudem doppelten Sold.

Unklarheit über Machtverhältnisse bei Rebellen

Und noch etwas wurde in Oslo offenkundig, nämlich dass die FARC nicht nur mit einer Stimme sprechen, sondern dass es zwischen den einzelnen Fraktionen bis zuletzt unterschiedliche Strömungen gegeben hat. Die in Havanna festgeschriebene Agenda wurde noch unter Mitwirkung von Mauricio Jaramillo, dem FARC-Kommandant des Östlichen Verbandes (Bloque Oriental) und Mitglied des Secretariado genannten Führungszirkels, festgeschrieben. In Oslo erschien an seiner Stelle Iván Márquez auf dem Podium. In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage: Wollte die FARC-Führung  die Bühne in Oslo politisch-propagandistisch nutzen oder handelt es sich um einen strategisch ausgerichteten Wechsel, um Forderungen geltend zu machen, die in der Vorbereitungsphase nicht gegenständlich waren?

Michael Johnschwager, 1949 in Hamburg geboren, war als Außenhandelskaufmann von 1980 bis 1990 in Kolumbien, Venezuela und Honduras privatwirtschaftlich, sowie in Entwicklungsprojekten in Costa Rica in beratender Funktion im Einsatz. Seit 2004 ist Johnschwager als fremdsprachlicher Dozent und Autor mit Schwerpunkt Lateinamerika freiberuflich tätig. Für Unzensuriert.at schrieb er außerdem:

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