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16. April 2012 / 08:45 Uhr

Ägypten: Zwischen Gottesstaat und Militärherrschaft

Das neue, islamisch dominierte Parlament Ägyptens hat einen Weg eingeschlagen, der radikal-islamistischen Staaten in nichts nachsteht. Die bei weitem größte Partei, die Muslimbruderschaft, hat für die kommenden Präsidentschaftswahlen Khairat al-Shater nominiert, der bereits als "Iron Man" der Bruderschaft bekannt ist und den Großteil der letzten zwanzig Jahre wegen Extremismus im Gefängnis verbracht hat. Dies könnte nun aber auch zum Stolperstein für seine Kandidatur werden. Die Wahlkommission hat ihn wie auch neun andere Bewerber nicht zugelassen. Die abgelehten Kandidaten haben zwei Tage Zeit, gegen die Entscheidung zu berufen.

 

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Khairat al-Shater ist einer der wichtigsten Fundamentalisten Ägyptens.
Foto: Screenshot Youtube / mehwartvadline

Al-Shater gilt unter der Führung der Muslimbruderschaft als Top-Favorit für jegliches politisches Amt. Nach außen hin gibt er sich bescheiden, doch die Ziele des Multimillionärs sind klar: Ägypten soll die Scharia einführen – und die Grenzen Ägyptens engen seine Visionen nicht ein, denn: Langfristig soll sich der Islam global zu einem einheitlichen Reich zusammenschließen.

Zunächst hatte die Muslimbruderschaft angekündigt, keinen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen zu schicken, doch angesichts der Weigerung des aus dem Mubarak-Regime übriggebliebenen Militärrates, die Macht im Lande an das gewählte Parlament abzugeben, wurden die Karten neu gemischt. Andere vielversprechende Kandidaten, wie beispielsweise der ehemalige IAEO-Chef El Baradei, zogen ihre Kandidatur mittlerweile zurück – Al-Shater hatte bis gestern beste Aussichten auf den Sieg. Die Muslimbruderschaft hatte jedoch mit der Möglichkeit eines Wahlausschlusses gerechnet und mit Mohammed Morsi einen Alternativkandidaten aufgestellt.

Al-Shater: Der Mensch muss sich Gott unterwerfen

Erst im März 2011 aus dem Gefängnis entlassen, hielt Al-Shater bereits im April eine der bisher wichtigsten Reden, die nicht nur seine eigenen, sondern auch die Ansichten und Pläne der ganzen Muslimbruderschaft für die Region erläutern. Nun wurde der Vortrag mit dem Titel "Eigenschaften der Nahda: Ergebnisse der Revolution und Horizonte für die Entwicklung" vollständig ins Englische übersetzt. Das Wort "Nahda", wörtlich etwa "Auferstehung", steht hierbei für eine Reaktivierung eines islamischen Reiches unter den strengen Regeln des Korans. Hier einige Zitate aus der Rede Al-Shaters:

Die Bruderschaft arbeitet überall dafür, den Islam in seiner allumfassenden Idee im Leben der Menschen wiederherzustellen. […] Sie glaubt, dass dies nur durch die starke Gesellschaft geschehen kann. Die Mission ist also klar: Den Islam in seiner allumfassenden Idee wiederherstellen, die Menschen Gott unterwerfen, die Religion Gottes etablieren, die Islamisierung des Lebens, Ermächtigung der Religion Gottes, die Erstarkung der islamischen Gemeinschaft auf Basis des Islams ermöglichen.

In weiterer Folge beklagt Al-Shater die Zerstörung und Zersetzung des historischen islamischen Weltreiches und erklärt, wie eine scharia-konforme islamische Gesellschaft auszusehen hat:

Jedes Individuum soll ein Islam sein, ein wandelnder Koran, seine Pflichten sollen der Koran sein, sein Glauben, seine Verehrung, Gebräuche, Beziehungen und alles, was mit seinen Gedanken, seinem Verhalten und seinen Gefühlen zu tun hat, sollen identisch mit dem Islam sein, den Mohammed von Allah erhalten hat.

Unzensuriert-Magazin: Zwischen Gottesstaat und MIlitärherrschaft

Freiheit und Toleranz haben in diesem Bild wenig Platz, geschweige denn die zuvor so bejubelte Demokratie. Der Ausschluss Al-Shaters und auch andere, teils islamistischer Kandidaten, weist auf die Spannung zwischen der Übergangsregierung des Militärs und dem neu gewählten Parlament hin, in dem die Muslimbrüder dominieren. Mit dieser Spannung beschäftigt sich das aktuelle Unzensuriert-Magazin unter dem Titel "Zwischen Gottesstaat und Militärherrschaft". Hier ein Ausschnitt aus dem Artikel zu den Entwicklungen nach dem Sturz des Präsidenten Hosni Mubarak

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Militär

Militär

Das Militär verhinderte Gewalt des Regimes gegen die Bürger Ägyptens,
versucht jedoch die Machtübergabe an die gewählten Parteien zu verzögern.
Foto: Sherif9282 / Wikimedia

Die versprochene Sicherheit schlug in den Augen vieler Demonstranten in Unterdrückung um, als weitere Demonstrationen postwendend von Soldaten aufgelöst wurden. Das harte Durchgreifen sollte die Dominanz des Militärs sicherstellen, die zuvor viele Jahrzehnte selbstverständlich war, ohne von der Ägyptern hinterfragt zu werden. Es wird sogar vermutet, dass das Militär sich am Sturz Mubaraks entscheidend beteiligt haben soll, da dieser in der Vorbereitung seines Sohnes Gamal Mubarak auf das Präsidentenamt Pläne geschmiedet habe, einige staatliche Einrichtungen zu privatisieren, und somit der Armee ihre politische und wirtschaftliche Macht genommen hätte. Besonders fraglich ist das Militärbudget, dessen Größe nicht genau bekannt ist, sich aber in astronomischen Höhen zu bewegen scheint.

Deshalb sind sich auch nahezu alle Parteien des neugewählten Parlaments in zumindest einem Punkt einig: Das Budget des Militärs – und damit natürlich auch seine Macht – muss gekürzt werden.

Das erste Mal seit dem Sturz des Königs wird die Position der Armee nun in Frage gestellt. Natürlich provozierte diese Entscheidung Reaktionen: Der Militärrat versuchte, als Bedingung einer neuen Verfassung zu erzwingen, dass das Militär nicht unter zivile Entscheidungsgewalt fallen dürfe und somit auch das Budget unangetastet bleibt.

Islamisten gewinnen Wahlen

Trotz all der Proteste, die vor den Wahlen noch am Tahrir-Platz stattfanden und weiterhin zahlreiche Menschen das Leben kosteten, verlief die erste freie Wahl relativ sicher und verhalf den Islamisten zu fast zwei Dritteln der zu vergebenden Parlamentssitze. Alleine die Muslimbruderschaft kratzte an der 50-Prozent-Marke; die Wiedereingliederung in die politische Landschaft war ein voller Erfolg, und die starke soziale Verflechtung der Organisation in der Bevölkerung wurde überdeutlich. Umso lauter sind nun die Stimmen, die einen raschen Rückzug des Militärs von der Übergangsregierung und der immer verzweifelteren Ausübung ihrer Macht fordern.

Doch die Armee hat weitere Trümpfe in der Hand: Durch ihre immense Finanzierung kontrolliert sie laut unterschiedlichen Schätzungen zwischen acht Prozent und einem Drittel der gesamten ägyptischen Wirtschaft. Sie konnte sogar die Krise der ägyptischen Zentralbank durch eine Unterstützung in der Höhe von einer Milliarde Dollar lindern. Weiters wird das ägyptische Militär durch „Entwicklungshilfen“ aus den USA massiv gefördert, wodurch westliche Mächte ein gewisses Maß an Kontrolle auf das Land ausüben können. Besonders für den Frieden mit Israel, der für den Westen die Stabilität im Nahen Osten sichert, ist dies von großer Bedeutung.

Parteien für Entmachtung der Armee

Die nun führende Kraft im Lande, die Muslimbruderschaft, spricht sich hingegen offen für eine Entmachtung des Militärs aus. Das Versprechen von Sicherheit sei angesichts der vielen Toten in den Protesten nicht gehalten worden, nun solle die Übergangsregierung aufgelöst und stattdessen ein Premierminister aus der Muslimbruderschaft eingesetzt werden. Eine vom Volk unterstützte Regierung würde sich keinem Druck von außen beugen.

Stattdessen ist nun die zunehmende Stärkung einer islamischen Gemeinschaft absehbar: Spirituelle Führer, die sich zwar nicht der politischen Partei anschließen wollen, diese durch ihre Position jedoch entscheidend beeinflussen, sprechen sich für eine Implementierung des Scharia-Rechtes aus, immerhin mit einer Übergangsphase, um die Bürger an die neue Situation zu gewöhnen.

USA üben finanziellen Druck aus

Auch die internationalen Verbindungen werden auf eine Probe gestellt: Die USA haben ihre Wirtschaftshilfe für Ägypten seit Mubaraks Sturz um zwei Drittel auf 250 Millionen Dollar reduziert und drohen mit der kompletten Einstellung, weil Ägypten einige amerikanische Aktivisten vor Gericht gestellt hat. Auch die wesentlich umfangreichere Finanzhilfe für das Militär in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar floss erst nach zähen Verhandlungen. Von den Generälen wird eine Übergabe der Macht an einen gewählten Präsidenten gefordert, von der Politik die Einhaltung des Friedensabkommens mit Israel, an dem wiederum die Muslimbrüder massiv rütteln. So schnell der Westen die Revolution gegen Mubarak unterstützt hat, so sehr hat er jetzt mit seinen widerstreitenden Nachfolgern an der Macht zu kämpfen.

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