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USA

15. Juni 2011 / 11:10 Uhr

Libyen: NATO Seite an Seite mit Terroristen und Kriegsverbrechern?

BengasiSeit März 2011 bombardieren NATO-Kampfflugzeuge Stellungen und Einheiten der libyschen Armee. Offiziell sollen damit Menschenrechtsverletzung durch Libyens Diktator Gaddafi und seine Getreuen unterbunden werden. Gleichzeitig verhinderte das Eingreifen des Westens aber auch die drohende Niederlage der libyschen Rebellen, die Gaddafis Streitkräften zu unterliegen drohten. Während Vertreter der Rebellen angeben, sich im Kampf für ein freies und demokratisches Libyen zu befinden, mehren sich Anzeichen, dass dschihadistische Gruppen in ihren Reihen stehen und sie vom islamistischen Regime im Sudan unterstützt werden. Erinnerungen an die Unterstützung radikaler Islamisten im afghanischen Krieg gegen die Sowjets durch die USA werden wach. Außerdem scheinen die orientalischen Verwicklungen im Maghreb kaum mehr durchschaubar.

Libysche Islamisten gegen Gaddafi

Senussi-Flagge

Senussi-Flagge

Die Flagge der Cyrenaika.

Der wichtigste Träger des libyschen Widerstandes gegen die italienische Kolonialmacht, der religiöse Orden der Senussi, hatte seine Machtbasis in jenen Gebieten, von denen auch derzeit der Kampf gegen die Herrschaft Muamar Gaddafis Regime ausgeht. Die Cyrenaika gilt seit jeher als besonders religiös geprägter Teil des Landes und ist seit den 1990er Jahren die Basis der „Libyschen Islamischen Kampfgruppe“ (Libyan Islamic Fighting Group, LIFG). Die LIFG beruft sich auf die wahabitische Tradition der Senussi und unterhält enge Beziehungen zu anderen islamistischen Organisationen weltweit. Da Gadaffi bis zum 11. September 2001 als Feind des Westens galt, fanden Angehörige der LIFG Unterschlupf im Westen, vor allem in Großbritannien, das wegen des Lockerbie Anschlages dem libyschen Regime besonders feindselig gegenüberstand. Der brtische Auslandsgeheimdienst soll die LIFG bei einem Attentatsversuch auf Gaddafi untertsützt haben. Kämpfer des LIFG wurde in diesem Zeitraum in Afghanistan ausgebildet und mit Waffen versorgt.

Die Anschläge des 11. Septembers änderte die Situation für das Verhältnis zwischen Libyen und dem Westen. Nachdem Gaddafi die Lockerbie Attentäter ausgeliefert und dem Erwerb von Massenvernichtungswaffen abgeschworen hatte, wurde er zum wertvollen Verbündeten im Kampf gegen den Terror. Insbesondere die Erfahrungen der libyschen Sicherheitskräfte kamen westlichen Nachrichtendiensten zu Gute. US amerikanische Teilnehmer einer Beratung mit hochrangigen libyschen Geheimdienstmitarbeitern und Diplomaten nannten die gewonnen Informationen, die besten, die der Westen bis dahin über Al Qaida und ihr Netzwerk bekommen hatte. Für die USA war dies von besonderem Interesse, als sich herausstellte, dass besonders viele Libyer unter den Dschihadisten im Irak waren; sie stellten die zweitgrößte Gruppe nach Saudi Arabern. Bis Ende der 2000er Jahre war die LIFG durch die libyschen Streitkräfte zerschlagen, der Westen hatte dabei tatkräftig mitgeholfen.

Die Wiedergeburt der Libyschen Islamischen Kampfgruppe

Bengasi

Bengasi

Aufständische in Bengasi, wo der Kampf gegen Gaddafi begann.
Foto: Maher 27777 / Wikimedia

Inzwischen ist die LIFG wieder da und kämpft – wie bereits in den 1990er und 200er Jahren – für den Sturz Gaddafis. Unter den Rebellen bilden sie besonders kampfstarke Verbände, da sie im Gegensatz zu anderen Teilen der Rebellenkräfte über militärische Ausbildung und Kampferfahrung verfügen. Die Ausbildung genossen sie in Camps der Taliban und Al Qaida, die Kampferfahrung sammelten sie in Afghanistan und im Irak. Zentrum der Islamisten in Libyen ist die Stadt Darnah im Osten, woher, einer Erhebung der US Militärakademie West Point aus dem Jahr 2008 zu Folge, die meisten ausländischen Aufständischen im Irak kamen. Der Kommandant der „Darnah Brigade“, Abu Sufian Ibrahim Ahmed Hamuda Bin Qumu hatte zuerst in Afghanistan gekämpft, war danach in Pakistan verhaftet und im US-Militärgefängnis Guantanamo inhaftiert worden. Der am 15. April 2011 getötete Kommandant der Omar-Mukhtar-Brigade, Abdul Monem Mouktar Mohammed, kämpfte ebenfalls in Afghanistan und hatte dort enge Kontakte zu Osama bin Laden. Der Islamist mit dem höchsten Rang in den Reihen der Rebellen dürfte Abdel Hakim als Hasidi sein, der nach 2002 in Peschawar im Nordwesten Pakistans verhaftet worden war. Danach war er vermutlich auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan inhaftiert und wurde schließlich nach Libyen ausgeliefert. Im Zuge eines Amnestieprogrammes wurde er 2008 vom libyschen Regime entlassen. Bevor er sich der Rebellenarmee anschloss, soll er in Darnah ein islamisches Emirat ausgerufen haben. Alle gehörten der LIFG an, die sich auf der UN-Liste für Organisationen und Personen, die Al Qaida oder den Taliban nahestehen und mit diversen Sanktionen belegt sind, findet.

Verbindungen der Rebellen zum Sudan

Baschir

Baschir

Sudans geächteter Präsident al-Baschir unterstützt die libyschen Rebellen.
Foto: US Navy / WIkimedia

Wie inzwischen bekannt wurde, unterhalten die libyschen Rebellen auch Verbindungen zur sudanesischen Regierung in Khartum. Die Kontakte der LIFG zur islamistischen sudanesischen Regierung gehen bis in die 1990er Jahre zurück, als auch Osama bin Laden kurzzeitig Zuflucht im Sudan suchte. Abu Sufian Ibrahim Ahmed Hamuda Bin Qumu arbeitete dort für eine der zahlreichen Unternehmen Bin Ladens, auch andere LIFG Mitglieder flohen in den Sudan. Khartum und Tripolis sind dazu seit längerem verfeindet, der Sudan schloss 2008 seine Grenzen zu Libyen, da er Gaddafi die Unterstützung der Rebellen im ostsudanesischen Darfur vorwarf. Wegen groben Menschenrechtsverletzungen in Darfur liegt gegen den sudanesischen Präsidenten Umar Hasan Ahmad al-Baschir ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes vor. Erst mit Ausbruch der Rebellion in Libyen öffnete der Sudan seine Grenzen zum Nachbarland wieder, offiziell, um eigene Staatsbürger evakuieren zu können. Das Regime in Khartum macht aus seiner Sympathie für die Rebellen allerdings kein Hehl. Der Sudan unterstützt die Flugverbotszone über Teilen Libyens und soll westlichen Kampfflugzeugen Überfluggenehmigungen erteilt haben. Im Mai besuchten Vertreter der Rebellen offiziell den Sudan und gaben bekannt, Anhänger in den Sudan zu nicht näher bestimmten Trainings entsenden zu wollen. Gleichzeitig gaben die Rebellen bekannt, in Kämpfe mit sudanesischen Söldnern, die auf Seiten Gaddafis stünden, verwickelt zu sein. Es soll sich dabei um Angehörige der von Gaddafi unterstützten sudanesischen Rebellengruppe „Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit“ handeln.

Westliche Politiker hofieren die Rebellen

Der Westen hat sich inzwischen klar auf die Seite der Rebellen und gegen den noch vor kurzem hofierten Gaddafi gestellt, wie auch der Besuch des deutschen Außenministers Guido Westerwelle am 13. Juni 2011 zeigte. Die Europäische Union aber auch arabische Länder wie Jordanien und Kuwait, haben den Nationalen Übergangsrat mit Sitz in Bengasi als „einzig legitime Vertretung des libyschen Volkes“ anerkannt; die USA, die Türkei und Ägypten entsandten diplomatische Vertreter. Dass der Kriegsverbrecher al Baschir und die Terroristen der LIFG so direkt oder indirekt zu Partnern des Westens werden, stört dabei anscheinend nicht.
Neben den Luftschlägen sollen Spezialeinheiten aus den USA und Ägypten die Ausbildung der Rebellen vorantreiben, Waffen und Nachschubgüter für sie kommen ebenfalls über Ägypten ins Land. In Katar, einem arabischen Staat, der sich besonders für die Rebellen einsetzt, soll demnächst ein Fernsehsender des Übergangsrates auf Sendung gehen. Ende April besuchte der republikanische US-Senator John McCain Bengasi, nannte die Aufständischen „meine Helden“ und sprach sich für ein verstärktes Engagement der USA inklusive Waffenlieferungen aus. Obwohl er sich zur Tatsache, dass Islamisten einflussreiche Stellungen innerhalb der Rebellenarmee innehaben, nicht äußern wollte, zog er doch einen aufschlussreichen Vergleich. Wie einst in Afghanistan sollten die USA den Rebellen mit Waffenlieferungen einen fairen Kampf ermöglichen.

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Die bisherige Zurückhaltung der USA deutet darauf hin, dass diese Ansicht dort nicht von allen Verantwortlichen geteilt wird. Auch die Gegner von weiteren Waffenlieferungen erinnern sich möglicherweise an Afghanistan und daran, dass die Waffen letztendlich gegen die Lieferanten gerichtet wurden. Vielleicht kommt aber einfach so mancher bei den rasanten Paradigmenwechseln internationaler Politik ins Strudeln. Vom begehrten Handelspartner zum Staatsverbrecher, vom Terroristen zum Helden, beides binnen Monaten – diese Wandlungen sind nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen.

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