Demokratisch, kritisch, polemisch und selbstverständlich parteilich

Rechtsansicht - Susanne Fürst

Susanne Fürsts persönliche und rechtliche Betrachtungen des Ibiza-Skandals und seiner Auswirkungen.

31. Dezember 2019 / 20:15 Uhr

Meine persönliche Abrechnung mit Ibiza

Ich möchte das Jahresende zum Anlass nehmen, um einige Aspekte freiheitlicher Parteigeschichte, die 2019 geschrieben wurde, aus meiner höchstpersönlichen Sicht zu schildern; also aus der Sicht einer Abgeordneten, die 2017 quer aus dem Anwaltsleben in den blauen Parlamentsklub einzog. Die Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ gehört wohl für viele von uns zu dieser Art von Ereignissen, bei denen wir auch noch nach Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten wissen, was wir gerade getan haben, als wir davon erfuhren.

Kommentar von Dr. Susanne Fürst

Ich fuhr am Freitag, dem 17. Mai, am Vormittag sehr gut gelaunt von Wien nach Oberösterreich. Am Tag davor hatten wir im Parlament beschlossen, dass die Asylwerberbetreuung von den profitgeleiteten NGOs wieder in staatliche Hände gelegt wird – eines der wichtigsten Gesetze der vergangenen Regierung.

Um 18 Uhr empfing ich die ersten Bilder aus der Ferienvilla aus Ibiza. Ich saß gerade am Beifahrersitz des Autos und war am Weg zu einem Abendessen, als auf dem Handy Gudenus mit seiner mittlerweile berühmten (und berüchtigten) „Wildwest“-Geste am Display auftauchte.

Kurze Zeit später schrieb ich einer Kollegin aus dem Nationalrat eine Nachricht mit dem Wortlaut „ALLES VORBEI“.

Die drei Dimensionen des Ibiza-Videos

Wir sind alle nicht nur freiheitliche Parteimitglieder; und ich bin nicht nur FPÖ-Abgeordnete. Ich bin auch österreichische Staatsbürgerin, habe eine Familie und arbeite seit vielen Jahren als Anwältin. Ich versuche stets, Geschehnisse möglichst objektiv zu betrachten, die Fakten zu erheben und dann eine Wertung inklusive meiner persönlichen emotionalen Bewertung vorzunehmen. Mehr als sieben Monate nach dem Inferno – wie ich es für mich nenne – habe ich meine individuelle Bewertung weitgehend abgeschlossen und möchte diese folgendermaßen skizzieren:

IBIZA hat für mich drei Dimensionen.

Die erste Dimension bildet das Verhalten der beiden unfreiwilligen Darsteller Strache und Gudenus. Wir alle geben mit Sicherheit in vielen privaten Situationen eine lächerliche Figur ab und tätigen unreife, bisweilen vielleicht dumme und beleidigende Äußerungen (viele von uns würden wohl ihren Job und Ruf verlieren, wenn sämtliche Bemerkungen umgehend öffentlich verkündet würden), doch hier ist zu beachten:

  • dass sich zwei Spitzenpolitiker auf eine solche dubiose Begegnung überhaupt einlassen;
  • dass sie Wildfremden gegenüber stundenlang (mit zunehmender Alkoholisierung) hemmungslos frei sprechen, ohne diese Personen überprüft zu haben;
  • dass sie solche Inhalte von sich gaben, von denen wie wussten, dass dieses „moralische Sittenbild“, das sie hier zeichneten, von der restlichen Führung der FPÖ, den Funktionären und Abgeordneten und genauso von der Parteibasis nicht mitgetragen bzw. entschieden abgelehnt wurde und wird.

Mit dem Rücktritt war alles gesagt

Dieses Verhalten bedeutet summarisch, dass die beiden Rücktritte unausweichlich waren und eine weitere Tätigkeit der beiden in politischer Position nicht mehr in Frage kommt. Mit der Rücktrittserklärung des Vizekanzlers war alles gesagt, was Heinz-Christian Strache in der Öffentlichkeit respektablerweise dazu sagen konnte. Alles was nachher an Äußerungen von ihm getätigt wurde, schadete ihm selbst und der Freiheitlichen Partei, der er fast fünfzehn Jahre mit großem Einsatz und Erfolg vorstand.

Politik – im Zusammenwirken mit der medialen Berichterstattung – ist gnadenlos. Besonders eng wird es, wenn man sich als Politiker lächerlich macht. Die Älteren von uns haben immer noch das Bild von Alois Mock in kurzen Hosen bei einem Staatsbesuch in Jordanien (ja, es war sicher sehr heiß!) im Kopf; die mediale Häme war grenzenlos und seine Autorität zertrümmert. Christian Kern als Pizzaausträger mit roter Jacke, der sich heuchlerisch für die Interessen seiner kleinen Leute interessiert, ist uns wohl allen noch gut in Erinnerung. Der vermeintliche PR-Coup sollte in Schulungen als Paradebeispiel angeführt werden, wie man Auftritte von Politikern „überinszenieren“ kann. Kern tat sich mit diesem Auftritt keinen Gefallen und wirkte so an seinem Abgang kräftig mit. Gudenus und Strache trifft dieses Schicksal von Bildern, die einen unerbittlich verfolgen, nun auch; wir alle denken auf Jahre hinaus beim Stichwort „Gudenus“ an die vorgetäuschte Glock und bei Strache an den horizontal am Sofa schwadronierenden Parteichef.

Die Falle wurde von Verbrechern gestellt

Die zweite Dimension ist die FALLE, in die die beiden freiheitlichen Politiker gelockt wurden. Langfristig und aufwendig vorbereitet, mit vielen Mitwissern und Beteiligten, hochkriminell. Es ging um Macht, Geld, Drogen, Frauen, Erpressung, Beeinflussung von Wahlen und das Auslösen einer Regierungskrise. Ob alle Hintergründe der Herstellung des Videos jemals ganz aufgeklärt werden, wissen wir nicht. Aber jetzt steht schon fest: Es handelt sich um Verbrecher, die aus politischen und persönlichen Motiven am Werk waren; und die Falle war ein dreckiges Machwerk. Dass zu Beginn mehrmals von einem „zivilgesellschaftlichen Engagement“ die Rede war, welches so ein Verhalten rechtfertigen würde, ist angesichts der Fakten eine dieser heutzutage häufigen völlig dekadenten moralischen Relativierungen.

Mehrere Tabubrüche durch mediale Veröffentlichung

Die dritte Dimension besteht für mich aus dem DANACH: die Verwertung der kriminellen Falle. Angeblich kam es mehrfach zu einem erfolglosen Anbieten des Videos seitens der Produzenten bzw. Mittelsmänner an Persönlichkeiten aus anderen Parteien, die sich jedoch nicht interessiert gezeigt hatten. Hätten diese Personen abgewunken (trotz der Verlockung, Strache und der FPÖ zu schaden), weil sie mit den Verbrechern nichts zu tun haben wollten, wäre dies wohl als Zeichen von Anstand zu werten. Letztlich fanden die Hersteller doch noch willige Abnehmer und die Dinge nahmen ihren Lauf. Dabei kam es zu mehreren Tabubrüchen, die meines Erachtens in der bisherigen Diskussion viel zu kurz kamen. Das meine ich nicht im wehleidigen Sinn, um vom Fehlverhalten der beiden freiheitlichen Politiker abzulenken. Sowohl die beiden als auch die FPÖ mussten ohnehin bereits büßen und werden noch lange an dieser Geschichte zu tragen haben. Aber eine noch größere Dimension für die Zukunft, für die Gesellschaft und die Politik haben für mich folgende Fragen:

  • Ist es fair und rechtens, dass Journalisten einerseits einen siebenstündigen Film aus einer hochkriminellen Quelle beziehen, ihn auf ein paar Minuten zusammenschneiden (und dadurch dem Material einen gänzlich anderen dramaturgischen Drall geben) und in dieser Form veröffentlichen? Und dass andererseits die Betroffenen, denen die Aufnahmen die berufliche Existenz nahmen, die medial einem Dauerfeuer ausgesetzt wurden und die sich strafrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen, das Material nicht bekommen?
  • Ist es fair und rechtens, dass sich der Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis auf solch kriminell hergestelltes Material beziehen? Sind diese Einrichtungen wirklich für solche Fälle gedacht?
  • Ist es in Ordnung, dass sich der Spiegel und die Süddeutsche zum Werkzeug einer Erpresserbande machen lassen; dass sie nicht recherchieren müssen, wie die Quelle entstand? Beziehungsweise wenn sie es wussten, dürfen sie solches Material verwenden?
  • Ist es in Ordnung, wenn der Bundespräsident die Journalisten der beiden deutschen Medien ausdrücklich öffentlich lobt und in diesem Zusammenhang wortwörtlich davon spricht, wie wichtig „unabhängiger Journalismus“ sei? Die Verwendung und Veröffentlichung von Material, welches von Berufsverbrechern und Erpressern hergestellt wurde, gilt als vorbildlicher Journalismus? Noch dazu, wenn wenige Tage vor der EU-Wahl der Vorwurf einer Beeinflussung von Wahlen aus dem Ausland im Raum steht? Müsste nicht gerade ein Staatsoberhaupt besonders sensibel bei einer solchen Verdachtslage reagieren, auch wenn ihm das Erpressungsmaterial ideologisch recht hervorragend ins Konzept passt?

Diese dritte Dimension sollte zunehmend in den Mittelpunkt rücken, da dies Fragen von großer gesamtgesellschaftlicher und auch rechtlicher Bedeutung sind. Haben Politiker gar kein Recht auf Privatsphäre? Würde diese Diskussion der dritten Dimension auch dann entfallen, wenn es sich um siebenstündige Aufnahmen von Bundeskanzler Kurz oder Oppositionschefin Rendi-Wagner handeln würde? Die SPÖ wurde in dieser Hinsicht erst hellhörig, als sie selbst von einem Tonbandmitschnitt einer brisanten Betriebsversammlung und der anschließenden Konfrontation im ORF mit der Aufnahme betroffen war. Plötzlich ist empört von rechtlichen Schritten gegen die Journalisten, die solches rechtswidrig entstandene Material verwenden, die Rede.

Kettenreaktion des Fehlverhaltens

Abschließend löste IBIZA nach der Veröffentlichung eine Kettenreaktion von eklatantem Fehlverhalten anderer Staatsorgane aus wie etwa die Forderung der Entlassung von Innenminister Herbert Kickl durch Bundeskanzler Kurz, obwohl Kickl nicht beteiligt war, die Befolgung dieser Forderung durch den Bundespräsidenten und der Einsatz einer Bundesregierung, welche das Vertrauen des Nationalrates nicht hatte. Rechtsstaatlich ungeheuerlich ist zudem die laufende mediale Wiedergabe von Informationen aus Justizakten, die eine unbeeinflusste Ermittlung und richterliche Beurteilung mehr als fraglich erscheinen lässt. Abgesehen vom wehrlosen Ausgeliefertsein unzähliger Betroffener einer politischen Bewegung, für die die Unschuldsvermutung nur mehr ein leeres Wort darstellt.

Freiheitliche Idee wieder in den Vordergrund rücken!

­Fazit: Das verantwortungslose Verhalten zweier Personen löste ein innenpolitisches Erdbeben aus, welches uns mit komplexen Fragestellungen hinterlässt. Für die FPÖ bedeutete IBIZA den faktischen Rauswurf aus der Regierung, erhebliche Verluste bei den nachfolgenden Wahlen und einen schmerzhaften Glaubwürdigkeitsverlust. Nicht zuletzt wurden die Arbeit, das Engagement und das Vertrauen von unzähligen Menschen zertrümmert. Das Jahr 2020 muss dem Wiederaufbau gewidmet werden.

Es ist auch als Chance für die Partei zu sehen, um Missstände, die sich in sehr langen und erfolgreichen Obmannschaften gerne einschleichen, zu beseitigen und die freiheitliche Idee wieder in den Vordergrund zu rücken.

Dr. Susanne Fürst ist Rechtsanwältin und seit 2017 Nationalratsabgeordnete der FPÖ. Im Freiheitlichen Parlamentsklub ist sie Obmannstellvertreterin und für die Bereiche Verfassung, Menschenrechte und Geschäftsordnung verantwortlich. Fürst schreibt für unzensuriert.at regelmäßig die Kolumne „Rechtsansicht“.

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