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Rohingya auf der Flucht nach Bangladesch: Der Internationale Gerichtshof will die Verantwortlichen für Völkermord und Kriegsverbrechen in Myanmar zur Rechenschaft ziehen.

12. Dezember 2019 / 13:20 Uhr

Rohingya-Prozess vor dem IGH: Suu Kyi rechtfertigt Vorgehen des Militärs

Vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) im niederländischen Den Haag finden aktuell Anhörungen zu den Vorwürfen der UN-Ermittler und Gambias, stellvertretend für insgesamt 57 moslemische Länder, gegen Myanmar statt. In dem überwiegend buddhistischem Land kam es 2016 und 2017 zu einem harten Durchgreifen des nationalen Militärs gegen die moslemische Minderheit der Rohingya. Die Vorwürfe belaufen sich auf Genozid (Völkermord), Kriegsverbrechen und weitere Menschenrechtsverletzungen. Nun äußerte sich die de facto Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Myanmars dazu.

Vorwürfe gegen Myanmars Militär wegen schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Bereits im August dieses Jahres legten unabhängige Ermittler des UN-Menschenrechtsrats ihre Berichte zu den Ereignissen von 2016 und 2017 in Myanmar vor. Die drei Experten rieten darauf hin, dass Anklage gegen den Militärchef des asiatischen Landes, Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing, und fünf weitere, hochrangige Militärmitglieder vor dem IGH erhoben werden solle. “Die grausamen Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen, die in den Gliedstaaten Kachin, Rakhine und Shan begangen wurden, schockieren wegen ihrer grauenerregenden Art und Allgegenwärtigkeit. Viele dieser Menschenrechtsverletzungen entsprechen zweifellos den schwersten Verbrechen nach internationalem Gesetz.”

Das sind schwere Vorwürfe gegen den Oberbefehlshaber der Streitkräfte Myanmars wie auch dessen Generäle. Vorwürfe, die mitunter Massenmorde, Massenvergewaltigungen, Gewalt gegen Kinder und das Niederbrennen ganzer Dörfer beinhalten. Sie machten aber auch die Friedensnobelpreisträgerin von 1991, Aung San Suu Kyi, die als Regierungschefin Myanmars fungiert, aus rein rechtlichen Gründen diesen Titel aber nicht besitzt, mitverantwortlich. Sie hätte ihre Autorität nicht ausreichend genutzt, um die Verbrechen an den Rohingya zu verhindern. Der Generalsekretär von Amnesty International, Kumi Naidoo, unterstrich dies in einem Brief an Suu Kyi bereits 2018. Demnach hätte die ehemalige Trägerin des Ehrentitels “Botschafter des Gewissens” von Amnesty International “Gräueltaten des Militärs” geduldet und “die Meinungsfreiheit nicht ausreichend” geschützt.

Gambia und 57 weitere moslemische Länder setzen sich für Menschenrechte ein

Treibende Kraft hinter den jetzigen Anhörungen ist das westafrikanische Gambia – stellvertretend für insgesamt 57 moslemische Länder. Warum sich Gambia für die Vorgänge in Myanmar interessiert, ist eine berechtigte Frage an dieser Stelle. Die Antwort findet sich beim Justizminister und Generalstaatsanwalt des Landes selbst: Abu Tambadou. Er war jahrelanger Ankläger beim Ruanda-Tribunal und kennt schwerste Verbrechen gegen die Menschenrechte nur zu gut. Er kennt aber auch das Gefühl für Überlebende bzw. Hinterbliebene solcher Geschehnisse, wenn diese grausamen Verbrechen ungestraft bleiben. Und Tambadou scheute keine Mühen im Fall Myanmar: Er und Mitglieder einer Delegation moslemischer Länder besuchten Flüchtlingslager der Rohingya in Bangladesch, wo mindestens 700.000 Menschen hin vertrieben wurden.

Tambadou hörte sich Augenzeugenberichte an. Und er kam zu dem Entschluss, dass Völkermorde aufhören müssen und nichts eine solche Maßnahme auch nur im Ansatz rechtfertigt. Er finde es, so sagte er in seiner Eröffnungsrede, “traurig für unsere heutige Generation”, dass sich erneut ein “Völkermord vor unseren Augen” abspielte und keiner etwas “dagegen tut”. Er wirft Myanmar und damit auch der de facto Regierungschefin Suu Kyi zudem vor, dass sie die Gräueltaten und Morde an den Rohingya nicht gestoppt hätten. “Alles, worum Gambia bittet, ist: Sagen Sie Myanmar, es soll mit diesen Morden aufhören, mit diesen Taten der Barbarei und Brutalität, die unser kollektives Bewusstsein bis heute schockieren.”

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi rechtfertigt Vorgehen gegen die Rohingya

Nun, der IGH beschäftigt sich mit der Frage des Völkermordes und den weiteren Vorwürfen zu Verbrechen gegen die internationalen Menschenrechte. Und dazu gehört, wie in jedem ordentlichen Gerichtsprozess, die Aussage von Zeugen. Am gestrigen Tag wurde so auch Suu Kyi gehört. Sie wollte sich persönlich vor dem IGH zu Wort melden und Stellung nehmen zu den Ereignissen um die Rohingya der vergangenen Jahre. Dazu sollte man wissen, dass Myanmar noch immer zum Teil vom Militär selbst regiert wird. Zudem darf man nicht außer Acht lassen, dass dieses Militär die Politikerin erst am 13. November 2010 aus einem 15 Jahre anhaltenden Hausarrest entlassen hatte. Dasselbe Militär, dem nun schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden. Dasselbe Militär, das von Suu Kyi – man höre und staune – nun vor dem IGH verteidigt wurde!

Ihre Botschaft war dabei klar: Myanmar ist das Opfer, nicht etwa die Rohingya. Denn die Rohingya hätten immer wieder Sicherheitskräfte Myanmars angegriffen. Erst durch diese Provokationen wäre es zu den benannten Ereignissen der letzten Jahre gekommen. “Wir haben es hier mit einem internen bewaffneten Konflikt zu tun – ausgelöst durch wohl koordinierte Angriffe der Arakan-Truppen, auf die Myanmars Armee lediglich reagiert hat. Tragischerweise hat dieser Konflikt zum Exodus von mehreren hunderttausend Moslems aus ihren Townships in der Provinz Rakhine nach Bangladesch geführt.” Tragischerweise wurden viele dieser “Townships” aber auch abgebrannt von Myanmars Armee. Tragischerweise gerieten dabei auch Kinder in Brand, die infolge dieser Ereignisse starben. Die Massenvergewaltigungen, viele davon belegbar, sind dann wohl auch nur tragische Vorfälle, die allesamt gerechtfertigt werden können, da die Rohingya ja angefangen hätten.

Myanmar will Kriegsverbrechen “innerstaatlich regeln”

Suu Kyi sprach dem IGH darüber hinaus auch die Zuständigkeit ab. Der Gesamtkonflikt sei ein “innerstaatlicher”, der auch “innerstaatlich geregelt” werden würde – auch “rechtlich”. Daher gelte laut Suu Kyi: “Nur wenn die inländische Justiz versagt, darf die internationale Justiz einschreiten. Wenn bei uns Mitglieder der Armee Myanmars Kriegsverbrechen begehen, dann werden sie vor unserem Militärgericht dafür zur Verantwortung gezogen – in Übereinstimmung mit unserer staatlichen Verfassung.” Beispiele für derartige Verfahren vor den Gerichten Myanmars hatte Suu Kyi natürlich zahlreiche zur Hand. Und ganz ihrem Friedensnobelpreis gerecht werdend, sagte die 74-jährige Politikerin auch: “Die Situation in der Region Rakhine ist komplex und nicht leicht zu erklären, aber eins berührt uns alle: das Leid der vielen unschuldigen Menschen, deren Leben zerrissen wurde – in Folge des bewaffneten Konflikts von 2016 und 2017. Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind und nun in einem Flüchtlingscamp in Bangladesch leben.”

Beobachter und Experten der Region rund um das ehemalige Birma stuften die Rede mehr als Wahlkampfauftritt als alles andere ein. Kein Wunder, denn Suu Kyi möchte offensichtlich gerne weiter mit demselben Militär an der Regierungsspitze Myanmars verbleiben, das ihr 15 Jahre Hausarrest auferlegt hatte. Die Anhörungen in Den Haag werden am 12. Dezember ein Ende finden. Es wird bereits mit einem Urteil in den darauf folgenden Wochen gerechnet.

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