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21. Oktober 2012 / 16:04 Uhr

Jagd auf Graf: Chronik einer Medienkampagne

Seit 22. Mai erschienen in Österreichs Medien knapp 500 Artikel, Kommentare, Reportagen, Berichte und Meldungen über den Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf (FPÖ) und sein Engagement als Vorstand der Gertrud Meschar Privatstiftung. Mit der Entscheidung des Handelsgerichts, die nach dem Ausscheiden Grafs verbliebenen Vorstände im Amt zu belassen, sind die Vorwürfe der Stifterin bzw. der sie seit Beginn der Affäre umgarnenden Anwälte und sonstigen Berater vom Tisch. Darüber haben nur noch wenige Medien sehr kurz und knapp berichtet.

Das Unzensuriert-Magazin hat bereits in seiner Juli-Ausgabe eine Zwischenbilanz über die konzertiert vorgetragenen Anschuldigungen gezogen. Was seither geschah, folgte erneut diesem Muster. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir hier den gesamten Artikel. Das Unzensuriert-Magazin Nummer 6 (Energie) kann als Einzelheft bestellt werden. Als Geschenk winkt es gemeinsam mit Heft 5 all jenen, die sich jetzt für ein Abonnement entscheiden.

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Wenn der Streit um eine Privatstiftung die Vorbereitungen auf den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM aus den Schlagzeilen verdrängt, so zeigt sich deutlich: Die Agenda bestimmen in diesem Land die Medien, längst nicht mehr die Politiker.

Einen Monat lang waren die Medien intensiv mit Vorwürfen gegen den Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf beschäftigt. Die FPÖ sprach von einer Kampagne oder gar von Hetze. Journalisten wiesen dies stets zurück. Eine Analyse der Berichterstattung zeigt jedoch zahlreiche Anhaltspunkte für klassischen Kampagnenjournalismus.

1.) Überrumpelungstaktik

In der Stiftungscausa herrschte von Anfang an keine Waffengleichheit. ORF-Redakteurin Julia Kovarik überraschte Martin Graf im Zuge eines Interviews über die aktuell viel diskutierte Transparenz mit den Vorwürfen der Stifterin Gertrud Meschar. Der konnte darauf auf Grund seiner Verschwiegenheitspflicht nicht eingehen und geriet ins Hintertreffen. Ähnlich verhielt es sich bei der Verlängerung der Kampagne durch den Kronen-Zeitungs-Journalisten Claus Pándi. In seiner Recherche zum Thema „Rechtsanwalt“ erwähnte er mit keinem Wort, dass er über Wahllisten mit einer falschen Berufsbezeichnung Grafs verfüge, und holte in dessen Büro nur allgemeine Auskünfte dazu ein, dass Graf diesen Beruf nie ausgeübt habe. In beiden Fällen wurde Graf um die Möglichkeit gebracht, konkret auf Vorwürfe zu reagieren.

2.) Die arme alte Dame

Gertrud Meschar hat vor sechs Jahren ein Vermögen im Wert von über einer Million Euro in eine Stiftung eingebracht. Selbst wenn die Erträge nicht ihren Erwartungen entsprechen, nagt sie auch heute nicht am Hungertuch. Die Medien waren daher bemüht, sie als schutzbedürftiges Opfer hinzustellen. Obwohl bei ihren Fernsehauftritten stets rüstig, musste erkennbar werden, dass ihr die Sache zusetzt. Dazu fielen Formulierungen wie „Gertrud Meschar ist mitgenommen von dem Wirbel um ihre Person“, „Sie könne nicht mehr, hieß es am Freitagabend“, „Das Telefon hebt sie längst nicht mehr ab“ (alle Kronen Zeitung). Die Tageszeitung Österreich titelt mit dem Vorwurf „Ich wollte Geld für die Heizung – er sagte Nein“ – ein Dialog, der von Graf im letzten Absatz des Artikels bestritten wird. Und wieder in der Krone wird das Bild des bösen Politikers abgerundet, der der armen alten Dame Übles will. Meschar im Gespräch mit Interviewerin Conny Bischofberger: „Eine Bekannte hat mich gewarnt: Pass‘ auf Gertrud, sonst stessen s‘ dich noch unter ein Auto!“

3.) Experten treten auf

Um die Vorwürfe zu untermauern und die Angreiferin Gertrud Meschar in eine nicht nur emotional, sondern auch faktisch bessere Position zu versetzen, werden zahlreiche „Experten“ gesucht und gefunden. Gleich am Abend des ersten Report-Beitrags am 22. Mai ist Peter Doralt mit einer Ferndiagnose zur Stelle und attestiert in der ZiB 2:

Ich würde sagen, die Stiftung war ein bisschen überdimensioniert für dieses Vermögen. Das hätte man einfacher haben können.

4.) Gegner werden gesucht

Journalisten wissen: Die Schelte aus gegnerischen Parteisekretariaten perlt an Politikern ab, daher müssen innerparteiliche Kritiker gefunden werden. Da stört es auch nicht, wenn es sich um Personen handelt, die aus der öffentlichen Wahrnehmung bereits seit Jahren verschwunden sind wie der ehemalige Dritte Nationalratspräsident Wilhelm Brauneder. Bei allerhand Veranstaltungen wie dem Wiener Landesparteitag oder dem 60-Jahre-Jubiläum des Rings Freiheitlicher Studenten wurden FPÖ-Sympathisanten zu Stellungnahmen aufgefordert. Nachdem sich dadurch das Bild der empörten Parteibasis nicht einstellen wollte, wurde die Spaltung der FPÖ kurzerhand einfach behauptet, notfalls unter Zuhilfenahme von Politologen. „Strache will Graf absägen“, „Strache steht im FPÖ-internen Machtkampf gegen Martin Graf“, „FP-Zerreißprobe“ oder „Strache in den Fängen von Graf“ lauteten die Schlagzeilen. Unterstützt wurden sie durch Umfragen, die allesamt suggerierten, dass die Affäre der FPÖ massiven Schaden zufüge. Durch die geringe Zahl der Befragten sind die Ergebnisse dieser Erhebungen freilich mühelos in jede gewünschte Richtung interpretierbar. Die Ergebnisse von Leserumfragen, die viele Zeitungen online durchführten, sprachen eine andere Sprache, wurden jedoch nicht näher kommentiert. Unter teilweise mehreren tausend Teilnehmern sprach sich stets eine Mehrheit gegen den Rücktritt Grafs aus. Bei der Kronen Zeitung war das Übergewicht mit rund 62 Prozent so groß, dass man die laufende durch eine wortidente neue Umfrage ersetzte, um wieder bei Null beginnen zu können.

5.) Ehrenkodex wird missachtet

Im Eifer der Jagd missachteten Journalisten wiederholt den „Ehrenkodex des österreichischen Presserates“, der sie zur Fairness verpflichtet und insbesondere dazu, dem Beschuldigten die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Wo eine solche Stellungnahme eingeholt wurde, wurde sie entweder in verschwindendem Ausmaß oder inhaltlich bis zur Unkenntlichkeit verkürzt zitiert. Die Presse schreibt am 26. Mai eine 100 Zeilen lange Geschichte mit dem Titel „Anwalt: Graf-Stiftung verfehlt Zweck“. Die von Meschars Anwalt Alexander Hofmann erhobenen Vorwürfe nehmen die ersten 91 Zeilen ein, ehe auf ganzen 9 Zeilen Martin Graf recht inhaltsleer mit einer pauschalen Zurückweisung der Vorwürfe zitiert wird.

Noch dreister geht die Kleine Zeitung vor, die für ihren Artikel „Ich hab‘ geglaubt, die sind anständiger“ vom 31. Mai gänzlich auf die Konfrontation Grafs mit Meschars Vorwürfen verzichtet. Von Grafs Pressesprecher auf die unethische journalistischer Vorgehensweise angesprochen, reagierte Thomas Götz, stellvertretender Chefredakteur der steirisch-kärntnerischen Zeitung, so:

Die kleine Reportage über die Begegnung mit Frau Meschar ist inhaltlich ja nicht über das hinausgegangen, was schon bekannt und auch von Herrn Dr. Graf kommentiert worden ist. Daher habe ich mich nicht gemeldet.

Den Widerspruch mit Hinweis auf vier neue Vorwürfe, die bis zum Erscheinen dieses Artikels noch nirgends Thema waren, würdigte Götz keiner weiteren Antwort.

6.) Frische Munition

Zwei Wochen nach dem Beginn legte der ORF-Report mit einem weiteren Beitrag nach, der jedoch mangels neuer Fakten nur ein Aufguss des Bisherigen war – mit vielen emotionalen Auftritten der Stifterin. Nach fast drei Wochen erlahmte trotzt intensiver Bemühungen das Interesse an der Stiftungs-Causa. In den Kommentarspalten mehrten sich sogar die Stimmen, die eine Medienkampagne vermuten und den immer neuen, von Meschars Beratern geäußerten Vorwürfen keinen Glauben mehr schenkten. Zu diesem Zeitpunkt ging es allerdings längst nicht mehr um ein Außerstreitverfahren beim Firmenbuchgericht, sondern um den Verbleib von Martin Graf im Präsidium des Nationalrats. Also kamen andere Anschuldigungen. Graf habe als Rechtsanwalt kandidiert, obwohl er nur Rechtsanwaltsanwärter sei, feuerte die Kronen Zeitung den nächsten Schuss ab. Und wieder die Krone legte – nachdem auch das nicht fruchtete und sich die Partei umso deutlicher hinter Graf stellte – mit angeblich „griechischen Verhältnissen“ beim Fußballklub Hellas Kagran nach, dessen Präsident Graf ist. Dann kochte man schnell noch einmal die alten Seibersdorf-Vorwürfe auf. Das Nachrichtenmagazin profil behauptete unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft, dass nun „neue Ermittlungsschritte gegen Graf eingeleitet“ worden seien. Um dies würdig zu transportieren, benötigte Autorin Christa Zöchling zwei volle Seiten.

7.) Die Selbstentlarvung

Während der gesamten medialen Diskussion fiel auf, dass Journalisten ungewöhnlich gerne Kommentare anstelle von Berichten schrieben, lässt sich in dieser Darstellungsform doch die eigene Meinung noch viel unverhohlener zum Ausdruck bringen. Dass dabei die Maske der Objektivität ins Rutschen geriet oder gänzlich fiel, tat dem keinen Abbruch. „Was für eine ekelhafte Geschichte“, befindet Marga Swoboda in der Kronen Zeitung. „Wer also einer alten Frau, die nichts anderes will, als ihren Lebensabend ohne finanzielle Sorgen zu verbringen, zu einer Stiftung rät, führt nichts Gutes im Schilde“, weiß Helmut Brandstätter im Kurier. Für Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner steht Graf im Verdacht, „Rentner um ihr Erspartes gebracht zu haben“. Und Fellner fällt sein vielsagendes Urteil: „Egal ob dieser Vorwurf stimmt oder nicht: Alleine, dass Graf in einen solchen Streit verwickelt ist, ist ein sofortiger Rücktrittsgrund.“ Ähnlich schnellrichterlich Claus Pándi in der Krone: „Graf als falscher Rechtsanwalt im Hohen Haus? Das wirft juristisch einige Fragen auf. Politisch sollten jetzt aber alle beantwortet sein.“ Worauf Michael Jeannée einige Seiten weiter hinten Graf „kurz und bündig“ auffordert: „Schleichen S‘ Ihna.“ Am allerbesten bringt jedoch Heute-Kolumnistin Christiane Tauzher die Denkweise vieler Journalisten auf den Punkt: „Martin Graf hat die hochfliegende FPÖ verwundet und den nächsten Möchtegern-Kanzler dazu. Danke, Herr Graf.“

Das Rezept für die Kampagne lieferte in üblicher Offenheit der Politik-Experte Thomas Hofer als Studiogast im ORF-Report am 5. Juni mit folgendem Schlusssatz seiner Analyse:

Also ich glaube, das wird eine innenpolitisch spannende Debatte, wenn es eben so ist, dass die Stiftung an sich weiter in den Medien bleibt. Das ist natürlich schon notwendig, denn für die FPÖ spricht in dem Fall, dass jetzt die Sommerpause kommt und das natürlich auch in Vergessenheit geraten kann wieder.

Und Report-Moderatorin Gabi Waldner antwortete: „Danke für diese Einschätzungen!“ – Ein Dank, dem sich kritische Medienkonsumenten anschließen dürfen.

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