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4. Oktober 2012 / 09:20 Uhr

SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: “Macher” mit “Ecken und Kanten” auf Wählerfang

„Mit Ecken und Kanten“ – so präsentiert sich der neue Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, gerne. Für dieses Image sorgten bislang Wortgefechte mit der Parteilinken, populistische Sprüche und andere rhetorische Ausflüge. Einmal bezeichnete der Hanseat die eigenen Parteifreunde als „Heulsusen“, ein anderes Mal machte er sich über die Schweizer Steuerdissidenten lustig, die man mit dem bloßen Auftauchen der „Kavallerie“ bezwingen könne. Der 65jährige will jedoch auch als „Finanzexperte“ und „Macher“ beim Wähler ankommen. Steinbrück ging zuletzt aus einer etwas holprig wirkenden Kandidatenkür der sogenannten Troika (Steinbrück, Gabriel, Steinmeier) als Aspirant mit den größten Chancen hervor.

Steinbrück enttäuschte bislang als Wahlkämpfer

Er soll es besser machen, als der 2009 desaströs gescheiterte Frank-Walter Steinmeier. Bei der Bundestagswahl fuhr die SPD damals nur 23 Prozent ein. Ein Trauma, das die „Volkspartei“ bis heute beschäftigt. Aktuell könnte ein „Steinbrück-Effekt“ bereits zu einem kleinem Umfragehoch geführt haben: Die SPD kletterte im Rahmen von Sonntagsfragen von 27 % (Emnid, 30.09.12) auf 29 % (Forsa, 02.10.12) und ist damit nunmehr ganze sechs Prozent von ihrer Angstmarke entfernt. Gute Erfahrungen mit dem Wahlkämpfer Steinbrück konnte die SPD jedoch bislang nicht machen. Ihr Kandidat war bis 2005 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW). Er löste 2002 Wolfgang Clement ab, der unter Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Berlin in ein Ministeramt wechselte. Die folgenden Landtagswahl verlor Steinbrück krachend: Die SPD errang mit nur 37,1 % das schlechteste Ergebnis seit 1954, die sich in NRW ganz selbstverständlich als Staatspartei verstehende Partei musste nach Jahrzehnten wieder den Weg in die Opposition antreten. Die „Herzkammer der Sozialdemokratie“ ging an eine CDU-FDP-Koalition verloren. Mit dieser Niederlage leitete Steinmeier die Kanzlerdämmerung Schröders in Berlin ein, der sich 2005 in Neuwahlen flüchtete. Aus ihnen ging schließlich Angela Merkel als Siegerin hervor. Dem hemdsärmeligen Wahlkämpfer Schröder war es immerhin noch zu verdanken, dass die SPD auf den zweiten Platz springen und Juniorpartner einer großen Koalition werden konnte. Peer Steinbrück wurde ihr Finanzminister.

Steinbrück stand für Deregulierung und Bankenrettung

Seine Politik kann auf die Schlagworte „Deregulierung“ und „Bankenrettung“ reduziert werden. Mit seiner Förderung von Immobilienfonds setzte Steinbrück die Politik seines Vorgängers Hans Eichel (SPD) fort. Eichel hatte eine umfassende Deregulierung des Finanzmarktes vorgenommen und damit dubiosen Finanzprodukten den Weg geebnet. Wie in den angelsächsischen Staaten sollte die Finanzindustrie zum „Innovations- und Jobmotor“ werden. Das traditionelle Finanzgeschäft einer als überkommen angesehenen Sparkassenlandschaft war out, ausländische Fonds, Finanzmodelle, Kredithandel waren in. Auch für die „Hedgefonds“ (später als „Heuschrecken“ verdammt) brach Eichel damals eine Lanze: Sie galten Rot-Grün als innovatives Finanzprodukt einer „neuen Anlagewelt“. Der Anlegerschutz blieb aber genauso auf der Strecke wie die Anpassung staatlicher Kontrollinstrumente an den „befreiten“ Finanzmarkt. Im Gegenteil: Der Staat senkte die Anforderungen für den Börsenhandel stark ab und verzichtete auf eine Besteuerung von Veräußerungsgewinnen. Die großen Finanzinvestoren wendeten sich in Folge dem bundesrepublikanischen Markt zu und setzten auf kurzfristige Renditen. Was heute von SPD-Linken als „Casinokapitalismus“ kritisiert wird, galt der Parteispitze damals als schick und innovativ.

Als die durch Deregulierung des Bankensektors verursachte Kreditblase des Immobiliensektors in den USA platzte, erreichten die Ausläufer schnell den europäischen Markt. Die Pleitekaskaden der Banken spitzten sich zur Finanzkrise von 2008/2009 zu. Steinbrück, zunächst noch ganz der Deregulierungspolitik verpflichtet, agierte erst sehr spät. Die Banken „seien sicher“, ein Eingreifen des Staates unnötig, ließ er bis Ende September 2008 verlauten. Bald darauf musste er in die Rolle des Bankenretters wechseln, exemplarisches Beispiel: Die Rettung der Immobilenbank Hypo-Real-Estate (HRE), die Milliarden verschlang. Steinbrücks „Fahren auf Sicht“ erwies sich als mangelhaftes bzw. nur knapp ausreichendes Krisenmanagement. Den meisten Bundesbürgern dürfte die historische Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel in Erinnerung sein: Auf dem Höhepunkt der Krise garantierten beide die gesamten deutschen Spareinlagen. Dieser Akt der Symbolpolitik sollte einen Run verunsicherter Bürger auf die Banken verhindern. „Ich habe in den Abgrund geblickt“, soll Steinbrück – damals ein von der Krise Getriebener – gestanden haben.

Spannungen mit der Parteilinken sind zu erwarten

Vor diesem Hintergrund ist die Inszenierung als „Macher“, der entschlussfreudig wie konzeptionell vorgeht, fragwürdig. Eher scheint ein Lavieren, das man noch positiv als „pragmatisch“ deuten kann, für den Sozialdemokraten typisch zu sein. Dies zeigt sich aktuell wieder in seiner Haltung zu den Finanzmärkten. Einmal kann er sich für konkrete staatliche Regulierung erwärmen, ein anderes Mal warnt er vor zu rigidem Eingreifen. Steinbrücks Tenor wechselt je nach Adressaten. Das spannungsgeladene Verhältnis zur SPD-Parteilinken (Nahles, Stegner, Annen) hängt gerade mit Steinbrücks Rolle als Finanzminister zusammen. Sie weiß, dass dieser sich nicht auf ihre Linie wird festlegen lassen, hieraus resultiert ihr Misstrauen. Die Parteilinken bei denen schrille antikapitalistische Töne „gegen Finanzkapital“ und „Heuschrecken“ zum guten Ton gehören, sprechen dem Kanzlerkandidaten hinter vorgehaltener Hand nämlich die Fähigkeit zur Einsicht in das aus ihrer Sicht Notwendige ab: stärkste Regulierung bis hin zur Verstaatlichung. Sie wissen jedoch genauso gut, dass Steinbrück bürgerliche Wähler binden kann – gerade weil ihm ideologische Projekte fremd sind. Er soll der viel zitierten „Mitte“ Garant dafür zu sein, dass es z.B. bei den Themen Innere Sicherheit und Zuwanderung nicht zu einem Linksruck kommt und damit genug „Merkel“ bieten, um CDU-Wähler anzulocken. Ob diese Ausgangssituation bis zur Bundestagswahl eine tragfähige Basis darstellt, darf bezweifelt werden. Die Messlatte von 23 % dürfte Steinbrück jedoch überspringen.

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