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15. Feber 2014 / 19:15 Uhr

Kopf (ÖVP) rät Schweiz zur neuerlichen Abstimmung über Zuwanderung

Die ÖVP und die direkte Demokratie. Etwas passt da nicht zusammen. Und jetzt hat ein hoher Vertreter der Partei, nämlich der Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf, diese Diskrepanz wieder einmal unter Beweis gestellt. Im Kurier rät er der Schweiz allen Ernstes, nochmals über eine Begrenzung der Zuwanderung abzustimmen. Nach dem Motto: “So lange abstimmen, bis das richtige Ergebnis herauskommt”.

Bemerkenswert an dieser Aussage ist, dass die Volkspartei erst kürzlich selbst mehr direkte Demokratie einforderte und beschloss, Volksbegehren durchzuführen, sollten mehr als 650.000 Bürger – das sind zehn Prozent der Wahlberechtigten – ein Anliegen unterstützen. Heute klingt das aus dem Munde eines Herrn Kopf so: “Das Schweizer Ergebnis zeigt, wie sensibel man mit mehr Bürgermitsprache umgehen muss. Noch dazu in einem Land, das – anders als die Schweiz – keine Erfahrung damit hat”. Anders ausgedrückt: Der ÖVP-Mann glaubt wohl, dass die Österreicher zu dumm sind, um über Themen an der Urne zu entscheiden – eben so abzustimmen, wie es dem Zweiten Nationalratspräsidenten und seiner “Volkspartei” in den Kram passt.

Knappe Mehrheit gegen Zuwanderung

Das Schweizer Ergebnis über Zuwanderung bringt nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Österreich die Politiker ins Schwitzen. Die Bürger hatten sich am 9. Februar mit knapper Mehrheit der Initiative “Gegen Masseneinwanderung” der Schweizer Volkspartei (SVP) angeschlossen. Das Plebiszit wurde mit 50,3 Prozent angenommen. Die Differenz zwischen Gegnern und Befürwortern betrug lediglich rund 19.500 Stimmen.

Bei Jobbesetzung Schweizer bevorzugen

Die SVP-Initiative sieht jährliche Höchstzahlen und Kontingente für die Zuwanderung von Ausländern vor. Bei der Besetzung von Stellen sollen Arbeitgeber Bewerbern mit Schweizer Pass den Vorzug geben. Im Gegensatz zu Österreich, wo z.B. der ORF in Ausschreibungen für Jobbesetzungen sogar schon offen Migrantinnen bevorzugt. Bürger der EU, die im Rahmen eines EU-Abkommens seit rund zehn Jahren problemlos in das Nicht-EU-Land Schweiz ziehen können, würden ebenfalls unter die Kontingentregelung fallen. Seit dem Inkrafttreten des Personenfreizügigkeitsabkommens im Jahr 2002 haben sich jährlich 80.000 EU-Bürger in der Schweiz niedergelassen – zehnmal so viele wie die Regierung in Bern prognostiziert hatte.

Die Befürworter der Initiative der liberal-konservativen SVP hatten in Umfragen vor der Abstimmung lange Zeit unter der erforderlichen Mehrheit gelegen, allerdings in den letzten Tagen stark hinzugewonnen. Nach Ansicht von Experten konnte die SVP von einer für Schweizer Verhältnisse ungewöhnlich hohen Wählermobilisierung profitieren: 56 Prozent gingen an die Urne.

Fälle von Lohndumping sorgen für Unmut

Die Mobilisierung gelang, weil die wachsende Bevölkerung und steigende Wirtschaftsleistung auch ganz konkret Unzufriedenheit ausgelöst hatten. Ihnen werden etwa überfüllte Züge und verstopfte Hauptverkehrsachsen sowie steigende Immobilienpreise angekreidet. Fälle von Lohndumping sorgen ebenfalls für Unmut. Tatsächlich sind schon 23 Prozent der acht Millionen Bewohner der Schweiz Zuwanderer. Weshalb die SVP kampagnisierte: “Bald mehr Ausländer als Schweizer”.

“Milde Reaktion” der EU

Als das Ergebnis der Schweizer Abstimmung bekannt wurde, setzte es erwartet scharfe Kritik aus Brüssel. Das war aber auch schon so, als sich die Mehrheit der Schweizer 2009 gegen den Bau von Minaretten entschied. Von den damaligen Drohungen war bald nichts mehr zu hören. Der Wortführer der Schweizer Einwanderungsgegner, SVP-Politiker Christoph Blocher, zeigt sich sogar überrascht von der seiner Ansicht nach “milden Reaktion” der Europäischen Union auf das eidgenössische Volksvotum zur Einschränkung der Personenfreizügigkeit. Er habe erwartet, dass die EU schon am Tag nach der Abstimmung die Kündigung “sämtlicher Verträge” ankündigen würde, sagte Blocher in Interviews. Er glaubt nicht, dass es zu Vertragsauflösungen kommt. “Sie werden sehen: Es werden keine Verträge gekündigt werden”, sagte der frühere Justizminister und Vizechef der Schweizer Volkspartei den Zeitungen Tages-Anzeiger (Zürich) und Der Bund (Bern). Schließlich gebe es durch die Volksinitiative lediglich den Auftrag, die Verträge neu zu verhandeln. Und das sei kein Vertragsbruch.

Kopf: Nachteile für die Schweiz

Anders sieht das offensichtlich der Zweite Nationalratspräsident Kopf: “Wenn die Schweiz wegen des Abstimmungsresultats aus allen bilateralen EU-Verträgen kippt, bringt ihr das erhebliche Nachteile bei der wirtschaftlichen Entwicklung”, sagte Kopf gegenüber dem Kurier. Diese Prognose eines österreichischen Spitzenpolitikers sollte die Schweizer positiv stimmen. Denn als sich die Eidgenossen mehrheitlich gegen den Beitritt zur EU aussprachen, hörte man von SPÖ- und ÖVP-Politikern in Österreich ähnliche Töne. Viele Jahre später steht die Schweiz – ohne EU-Mitgliedschaft – wirtschaftlich weit besser da, als alle anderen Länder in Europa.

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