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Der Grexit ist tatsächlich verkraftbar, meint Dieter Farwick.

19. Jänner 2015 / 11:40 Uhr

Dieter Farwick: Mut zum Grexit

Die Wahlen am 25. Januar in Griechenland sind von großer Bedeutung für Europa und darüber hinaus. Sie können über die Zukunft der Eurozone und Europas entscheiden. Bei jeder neuen griechischen Regierung wird sich die Frage stellen, ob der IWF, die EU und die europäischen Staaten bereit sind, Griechenland erneut massiv finanziell zu unterstützen. 

Gastkommentar von Dieter Farwick

Angela Merkel erklärte überraschend, dass ein Grexit (Austritt Griechenlands) jetzt „verkraftbar“ sei, da sich die Rahmenbedingungen gegenüber Mai 2010 positiv entwickelt hätten. „Freund und Feind“ in Europa waren überrascht über diesen Alleingang und den Sinneswechsel der deutschen Regierung, galt Deutschland doch als Gralshüter der Eurozone. Man erinnerte sich an die wiederholten Aussagen von Frau Merkel aus dem Jahr 2010: „Wenn der Euro zerbricht, zerbricht Europa.“ Damit wurden die massiven Rettungsversuche, die für Deutschland – einschließlich der „Target 2“-Salden – zu einer Haftung von beinahe einer Billion Euro geführt haben, begründet. 

Was hat sich gegenüber Mai 2010 bei den Rahmenbedingungen positiv geändert, was zu einer Sinnesänderung führen kann? Auch nach längerer Recherche ist es dem Verfasser nicht gelungen, eine Reihe von positiven Daten und Fakten aufzuspüren. Mit einem Schuss Zynismus kann man feststellen, dass die Banken die Zeit nach 2010 genutzt haben, sich von toxischen Papieren zu befreien; ein nächster Schuldenschnitt wird von den Steuerzahlern zu schultern sei. Warum versuchen Merkel und Schäuble erneut, die Deutschen zu täuschen? Haben sie nicht den Mut einzugestehen, dass sie mit der Streichung der „No-bail-out“-Klausel des Vertrages von Maastricht im Mai 2010 eine falsche Entscheidung zumindest mitgetragen haben?

Merkel und Schäuble wollten den Euro retten. Egal was es kostet. In Mario Draghi, dem Präsidenten der EZB, haben sie einen Komplizen gefunden, der durch seine lockere Geldpolitik Milliarden in den Orkus geworfen hat und weiter werfen will. Die vorgezogenen Neuwahlen in Griechenland haben bereits zu Beginn des Jahres die europäische Politik vor die entscheidende Frage gestellt, deren Beantwortung zur Streichung der „No-bail-out"-Klausel geführt hat. 

Ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende?

Mit ihrem Urteil „Ein Ausstieg ist verkraftbar“ haben sie taktisch unklug versucht, auf die griechischen Wahlen Einfluss zu nehmen. Sie wollten die Wähler von der Wahl der Syriza-Partei mit ihrem Vorsitzenden Alexis Tsipras abschrecken und den bisherigen Präsidenten Samaras unterstützen. Daraus wurde ein Eigentor. Natürlich haben die Griechen den Wink mit dem Geldbeutel verstanden und kritisieren die Einflussnahme Deutschlands, die zum Entsetzen von Merkel und Schäuble von keinem maßgeblichen Politiker der Eurozone unterstützt worden war. 

Tsipras fordert weiterhin einen sofortigen Schuldenschnitt – den zweiten nach dem März 2012, der keine nachhaltige Besserung gebracht oder als Ersatz die sofortige Einstellung des Schuldendienstes. Die griechischen Staatsschulden belaufen sich auf 321,7 Milliarden Euro – mit einem deutschen Anteil von 64,9 Milliarden. Bei einem weiteren Schuldenschnitt ist Deutschland mit mindestens 27 Prozent dabei.

Austritt eines Landes nicht möglich

Mittlerweile rudert die deutsche Regierung zurück. Der Verbleib Griechenlands in der Eurozone wird wieder als unerlässlich gefordert. Die EU-Kommission hat erklärt, dass ein Austritt eines Landes aus der Eurozone nicht möglich ist. Falls dies stimmt, müssen die Parteien zur Rechenschaft gezogen werden, die diesen Vertrag ohne Ausstiegsklausel unterschrieben haben. Ein ungeheurer Schlag gegen die Souveränität.

Was nun? Mit Blick auf unsere nachfolgenden Generationen ist ein „Weiter so“ nicht zu verantworten. Eine verantwortungsbewusste Politik kann nur zu dem Ergebnis führen: Ein Ende mit Schrecken, der Austritt Griechenlands aus dem Euro, der von allen Beteiligten Opfer verlangt. 

Griechenland wird weiter Mitglied der EU sein und weiterhin finanziell unterstützt werden. Falls ein Austritt vertraglich nicht möglich ist, muss sich Griechenland mit einer Parallelwährung abfinden. Für den internationalen Geldverkehr gilt weiterhin der Euro, für Griechenland gilt wieder die Drachme. Nur mit dieser nationalen Währung kann Griechenland souverän und flexibel seine Wettbewerbsfähigkeit auf den Märkten wieder erlangen

Die letzte Chance

In der ersten Reaktion auf das vorschnell verkündete Urteil von Merkel und Schäuble wurde von Experten die Zahl von 30 Milliarden Euro als Folge eines Austritts Griechenlands genannt. Mögen es 50 Milliarden sein – oder gar 70 Milliarden. Angesichts der über 360 Milliarden Euro, die seit Mai 2010 ohne positives Ergebnis nach Griechenland gegangen sind, wäre diese Summe tatsächlich auf der Zeitachse „verkraftbar“.

Es wäre auch pädagogisch ein wichtiges Signal. Die anderen Staaten, die sich bislang scheuen, durchgreifende, unpopuläre Reformen zu ergreifen, müssten zur Kenntnis nehmen, dass es keinen „weißen Ritter“ mehr gibt, der sie immer wieder rettet. Sie müssten endlich anfangen, ihr Haus in Ordnung zu bringen. Die hier aufgezeigte Lösung ist auf absehbare Zeit die letzte Chance, zur früheren „No-bail-out“-Klausel zurückzukehren und so die Mitgliedstaaten zu zwingen, in Zukunft in Eigenverantwortung die Stabilität ihres Landes sicherzustellen.

Dieter Farwick, Jahrgang 1940, ist Brigadegeneral a. D. der deutschen Bundeswehr und Experte für internationale Sicherheitspolitik. Er ist Autor mehrerer Bücher und publiziert in zahlreichen militärischen Fachzeitschriften.

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