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17. Feber 2015 / 23:38 Uhr

Wirtschaftskammer-Wahl: Wie Studenten um Wahlkarten keilten

Die Geschehnisse rund um die Wirtschaftskammerwahl 2010 beschäftigen die Justiz seit mittlerweile fast fünf Jahren. Vorwürfe der Wahlmanipulation treffen Funktionäre des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands (SWV). Der schwarze Wirtschaftsbund war aufgrund der Sachverhaltsdarstellung der FPÖ pro Mittelstand übrigens auch Teil der Ermittlungen. Wobei auch eine Presseaussendung des SWV im Akt beigefügt ist, in der der Wiener Spitzenkandidat des SWV, Fritz Strobl, die Abhol-Dienste des Wirtschaftsbundes massiv kritisierte. Mehrere Verdachtsfälle hat der SWV dokumentiert. Aus dem Ermittlungsakt geht jedenfalls hervor, dass zahlreiche Studenten befragt wurden, die im Auftrag des Wirtschaftsbundes ausgeschickt worden sein sollen, um von Unternehmern Wahlkarten abzuholen. Ein „Service“, das zumindest bei der Wirtschaftskammerwahl 2015 eindeutig nicht mehr legal wäre. Ob die Abholung auch 2010 legal war, wird im weiteren Verlauf des Artikels noch hinterfragt. Die Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Wien hat jedenfalls in einem Schreiben datiert mit Februar 2015 zum Abhol-Service Stellung bezogen.

Abholen von Wahlkarten nur durch Vertreter der Wirtschaftskammer gestattet

Darin wird festgehalten, dass das Abholen von Wahlkarten nur autorisierten Abholern der Wirtschaftskammer gestattet ist, die über einen Ausweis verfügen müssen und als Kontrolle im Internet gelistet sind. In Fettdruck wird unmissverständlich festgehalten, dass es jeder anderen Person und somit auch Vertretern von Wählergruppen – selbst, wenn sie eine Visitenkarte vorweisen sollten  –  untersagt ist, eine Abholung vorzunehmen. Bekanntlich gab es einen Fall bei der WK-Wahl 2010, bei dem zwei rote Funktionäre eine Wahlkarte vom Lokal des freiheitlichen Bezirksvorsteher-Stellvertreters Christian Hein abholten. Der Kellnerin überreichten die Funktionäre eine Visitenkarte des roten Funktionärs Wilhelm Turecek und hinterließen zwei weitere Kontaktdaten. Hein hatte allerdings nie eine Wahlkarte bestellt und konnte in Folge auch nicht von seinem Wahlrecht gebraucht machen.

Studenten in Zweier-Teams ausgeschickt

Doch auch der schwarze Wirtschaftsbund war in Sachen Abholen von Wahlkarten bei der WK-Wahl 2010 sehr aktiv, wie auch gegenüber Unzensuriert.at bestätigt wurde. Es sollen Studenten unter anderem von Walter Piller und Peter Dobcak in einer Außenstelle des Wirtschaftsbundes im achten Bezirk eingeschult worden sein. Auch das Forum Mozartplatz wurde im Zuge der Einvernahmen mehrmals genannt. Die einvernommenen Studenten gaben an, dass vereinbart worden sei, dass Studenten in  Zweier-Teams unterwegs sein sollten, um Wahlkarten einzuholen. Pro Wahlkarte, die einkassiert wurde, soll es für jeden Studenten 5 Euro gegeben haben. Eine Vereinbarung, die sich in Folge als eher nicht praktikabel entpuppt habe, zumal die Studenten oft zu Unternehmern ausrückten, die entweder von einer Wahlkarte nichts wussten, diese schon verschickt hatten oder nicht vor Ort waren. Es soll dann entschieden worden sein, den Studenten einen Stundenlohn von 10 Euro zu zahlen, womit es – so geht es aus den Einvernahmen hervor – zu Gesamtverdiensten bis zu etwa 1.000 Euro kam.

Wahlkarten wurden groß beworben

Im Zuge der Ermittlungen wurden auch Verantwortliche des Wirtschaftsbundes zu dieser Praxis befragt. Aus dem Ermittlungsakt geht hervor, dass Walter Piller  – er war einst langjähriger Obmann der Fachgruppe Gastronomie in der Wirtschaftskammer Wien – aussagte, dass mehr als 1.000 Wahlkarten vorwiegend in der Gastronomie über den Wirtschaftsbund organisiert wurden. Von Seiten des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes gab Günter Wandl zu verstehen, dass das Service der Wahlkarten gross beworben wurde, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Es seien allerdings nur „Sympathisanten“ mit diesem Service bedacht worden. Gegenüber Unzensuriert.at verwahrt sich Piller dagegen, dass damit Wahlmanipulation entstanden sei. Eine Frage, die sich in der Form auch nicht stellt.

Ist Abhol-Service rechtlich zulässig?

Vielmehr ist zu hinterfragen, ob die Abholung der Wahlkarte durch dritte Personen überhaupt erlaubt war. Der Wirtschaftsbund betont in allen übermittelten Stellungnahmen, dass das Abhol-Service bei der Wirtschaftskammerwahl 2010 rechtlich in Ordnung gewesen sei. Die Wirtschaftskammer wiederum sieht ihr Abholservice bei der aktuellen Wahl zu 100 Prozent durch das Wirtschaftskammergesetz gedeckt und man habe sich darüber hinaus auch mit Verfassungsexperten abgesprochen. Auf Anfrage wurden auch die entsprechenden Gesetzespassagen übermittelt, aus der sich eine „Abholung“ ableiten lasse. Allerdings soll sich jeder Leser selbst seine Meinung darüber bilden.

Der Wirtschaftsbund übermittelte die Wirtschaftskammer-Wahlordnung, die am 11. Februar 2009 in Kraft trat und somit für die WK-Wahl 2010 gültig war. Die wesentliche Passage besagt:

Wahlkarten-Wähler haben den (die) Stimmzettel in das jeweilige Wahlkuvert und dieses (diese) in die Wahlkarte zu geben. Die Wahlkarte ist an die zuständige Hauptwahlkommission oder an die von dieser bestimmten Stelle zurückzusenden oder bei einer dieser Stellen abzugeben.

Im Wirtschaftskammergesetz, das auf der Internet-Seite der Wirtschaftskammer abgerufen werden kann, heißt es in der wesentlichen Passage:

Wird von der Berechtigung zur Stimmabgabe im Wege der Rückmittlung der verschlossenen Wahlkarte an die zuständige Hauptwahlkommission oder an die von dieser bezeichneten Stelle Gebrauch gemacht, so hat der Wähler den/die von ihm ausgefüllten amtlichen Stimmzettel in das jeweilige Wahlkuvert/die Wahlkuverts zu legen, diese(s) zu verschließen und in die Wahlkarte zu legen, sodann auf der Wahlkarte durch eigenhändige Unterschrift eidesstattlich zu erklären, dass er den/die amtlichen Stimmzettel persönlich, unbeobachtet und unbeeinflusst ausgefüllt hat, anschließend die Wahlkarte zu verschließen und so rechtzeitig an die zuständige Hauptwahlkommission oder an die von dieser bezeichneten Stelle zu übermitteln, dass die Wahlkarte dort spätestens am vorletzten Werktag vor dem ersten möglichen Wahltag einlangt, widrigenfalls sie nicht berücksichtigt wird.

In beiden Gesetzestexten wird auf eine „Stelle“ Bezug genommen. Und eine Stelle ist – wenn man streng genommen die Definition nachschlägt – ein Ort, Platz, Punkt innerhalb eines Raumes, Geländes, an dem sich jemand, etwas befindet bzw. befunden hat, an dem sich etwas ereignet hat.

Das Gesetz kann man wohl nur so interpretieren, dass es Standorte und damit fixe Adressen gibt, die von der Hauptwahlkommission als Stelle festgelegt wurden. Anders gesagt, die „Übermittlung“ kann nur insofern erfolgen, als Wähler von sich aus der Hauptwahlkommission oder einer ihrer anderen Standorte die Wahlkarten übermitteln. Also sprich selbst dort hingehen oder die Wahlkarte postalisch übermitteln.

Ein „Abhol-Service“ welcher Art auch immer lässt sich nach der Interpretation beider Gesetzestexte wohl eher nicht ableiten, weil der Ort der Abholung dann nicht eine von der Hauptwahlkommission festgelegte Stelle wäre. Der Ort wäre in diesem Fall die Adresse des Wählers oder seiner Firma. Vom Wirtschaftsbund heißt es in jener Stellungnahme, in der auch die alte Fassung  der Wirtschaftskammer-Wahlordnung übermittelt wurde (und die für die WK-Wahl 2010 gültig war), zur Abgabe der Stimmzettel vom Pressesprecher wie folgt:

Damals gab es keine Vereinbarung, dass dies nicht durch eine dritte Person passieren darf. Heuer wurde dies in der Sitzung der Hauptwahlkommission beschlossen, di
ese da lautet „Die Retournierung der erhaltenen Wahlkarten an die Wahlbehörde erfolgt durch die Wählerinnen und Wähler selbst. Die Fraktionen verzichten daher einvernehmlich auf ein Einsammeln bzw. aktives Abholen der Wahlkarten bei den Wählerinnen und Wählern.“

Was sagt diese Logik? Aus dem Gesetz, das bei der Wirtschaftskammerwahl 2010 gültig war, lässt sich zwar schwer ableiten, dass Wahlkarten explizit von Fraktionen abgeholt werden dürfen – es gab allerdings auch keine Vereinbarung, dass eine Abholung verboten gewesen wäre. Die rot-schwarzen Fraktionen genehmigten sich ihre Vorgehensweise also selbst. Ob das auch gesetzeskonform war, wird sich noch herausstellen. Die Ermittlungen dauern an.

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