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Griechenland ist abgebrannt. Bald könnte das Feuer auf die Straßen Athens übergreifen, wenn sich das Volk die Demütigungen nicht mehr gefallen lässt.

14. Juli 2015 / 05:23 Uhr

Showdown in Brüssel: Total-Ausverkauf und eine Kriegserklärung an das griechische Volk

Nur wenige Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Syriza-Regierung in Athen haben die Kreditgeber an diesem Wochenende alle Zurückhaltung über Bord geworfen und eine klare und unmissverständliche Botschaft an die Weltöffentlichkeit ausgesandt. Sie kommt einem Total-Ausverkauf Griechenlands und einer Kriegserklärung an das griechische Volk gleich.

Gastbeitrag von Ernst Wolff

Die Forderungen gehen weit über das Kompromissangebot, das Syriza vergangene Woche vorgelegt hat, hinaus und machen vor allem eines klar: Es geht nicht um eine Erholung der griechischen Wirtschaft und auch nicht um die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Landes. Es geht einzig und allein um die Absicherung internationaler Großbanken und um die rücksichtslose Plünderung eines Landes vor seinem endgültigen Zusammenbruch. Leidtragende werden in erster Linie wieder die schwächsten und hilfsbedürftigsten Mitglieder der Gesellschaft sein.

Entgegen dem von Politikern wie Jean-Claude Juncker oder Martin Schulz in zahlreichen Talkshows geheuchelten Mitleid mit der humanitären Katastrophe in Griechenland wird dem Land eine weitere Reform der Altersrenten zugemutet, die viele griechische Senioren endgültig in Armut und Hunger treiben wird. Selbst die unfassbare Zahl von siebentausend Selbstmorden verzweifelter und durch sechs Sparprogramme um ihre Existenz gebrachter Menschen hält die Bürokraten aus Brüssel, Frankfurt und Washington nicht von dieser Maßnahme ab, die auch noch von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer – von der die Ärmsten immer am härtesten betroffen sind – begleitet wird.

Privatisierung – wider alle Erfahrungswerte

Die geforderte Privatisierung des staatlichen Stromnetzbetreibers Admie wird nicht nur Rentner und Sozialhilfeempfänger, sondern sämtliche Bezieher kleiner Einkommen in noch größere Not bringen. Wie diverse Beispiele dieser vom IWF in zahlreichen Ländern bereits erprobten Maßnahme zeigen, werden die ausländischen Konzerne, die diesen Wirtschaftsbereich übernehmen, alles daran setzen, in kürzest möglicher Zeit höchstmögliche Profite zu erwirtschaften. Ein Blick nach Nigeria, wo diese Maßnahme zuletzt durchgeführt wurde, zeigt zudem, dass sich die Versorgungslage nach der Privatisierung erheblich verschlechtert.

Im übrigen dient dieser Schritt wie auch die Einrichtung des Treuhandfonds, an den griechisches Staatsvermögen im Werte von 50 Milliarden Euro übertragen werden soll, einer ganz bewussten Schwächung und Demütigung der durch ihren Wahlbetrug am griechischen Volk ohnehin angeschlagenen Syriza-Regierung. Der Versorgungsbereich in Griechenland wird nämlich weitgehend von den Gewerkschaften beherrscht. Syrizas erzwungene Zustimmung zu seiner Privatisierung kommt einem erzwungenen Selbstmord auf Raten gleich und bereitet einen Regime-Wechsel in Athen vor. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Troika an Syriza ein Exempel statuieren möchte: Auch wenn Tsipras und seine Weggefährten in der vergangenen Woche bedingungslos kapituliert haben, wird die Troika ihnen ihre fünfmonatige – wenn auch nur halbherzig und zur Täuschung griechischer Wähler durchgehaltene – Auflehnung gegen die Austeritätspolitik niemals verzeihen.

Darauf zielt auch die ausdrückliche Forderung ab, alle ins Parlament eingebrachten Gesetzesentwürfe in Zukunft Wort für Wort mit der Troika abzusprechen – eine Maßnahme, die die seit 2010 nicht mehr vorhandene Souveränität des Staates Griechenland noch einmal drastisch unterstreicht.  

Die Mittelschicht wird stranguliert

Die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer (vor allem der im gastronomischen Bereich) ist der Todesstoß für zahllose Familienbetriebe, von denen 180.000 bereits mit dem Bankrott kämpfen. Sie wird die Zahl der 70.000 bereits in den Konkurs getriebenen Betriebe dramatisch erhöhen. Lokal gefärbte Cafés, Bistros und Restaurants werden globalen Ketten wie Starbucks, McDonalds oder Subway weichen und das Gesicht der Städte grundlegend verändern.

Die geplanten Arbeitsmarktreformen, die die Ausbeutung der ohnehin ums Überleben kämpfenden Beschäftigten noch weiter verschärfen und auch auf den ersten Blick weniger wichtige Maßnahmen wie die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten auf den Sonntag werden vor allem kleine und mittelständische Betriebe treffen und zeigen symbolisch, wohin die Reise geht: Im Hintergrund lauern bereits hunderte große international operierende Konzerne, um alles, was sich ihnen in Griechenland an mittelständischen Betrieben bietet, zu schlucken oder nach deren Konkurs durch eigene Filialen zu ersetzen.  

Aber nicht nur Investoren warten: Auch Spekulanten aus aller Welt stehen Gewehr bei Fuß, um demnächst auf Einkaufstour zu gehen und die finanzielle Not der Inländer und der griechischen Banken auszunutzen, um ihnen Aktien, Immobilien und andere Vermögenswerte zu Spottpreisen abzukaufen. Währungsspekulanten rechnen bereits durch, in welcher Höhe sie sich in Griechenland verschulden sollen, um ihre Kredite nach der Einführung einer Parallelwährung, deren Wert um mindestens 50 Prozent unter dem Euro liegen wird, zurückzuzahlen und auf diese Weise auf Kosten des griechischen Volkes Kasse zu machen.

Die endgültige Katastrophe wird nur aufgeschoben

Die abgrundtiefe Bösartigkeit, die sich hinter diesem Szenario verbirgt, ist kaum fassen, denn selbst wenn Griechenland alle Maßnahmen erfüllen sollte, die ihm von den Geldgebern aufgezwungen werden, so wird das seinen Untergang nicht verhindern. Der Schuldenberg ist so riesig, dass er niemals zurückgezahlt werden kann. Und alle jetzt angeordneten Maßnahmen werden dazu führen, dass die Wirtschaft weiter in die Knie gezwungen und die Einnahmen des Staates weiter verringert werden.

Das heißt: Die Finanzsituation Griechenlands wird sich auch zukünftig von Tag zu Tag verschlechtern und mit unerbittlicher Logik zum finalen Crash führen. Aber selbst diesen Fall haben die Geldgeber bereits in ihren Master-Stufenplan integriert: Auf Stufe 1 lautet die Devise: Die Folgen der Krise so lange wie möglich auf das griechische Volk abwälzen, um sich selbst, so weit es irgend geht, daran zu bereichern. Stufe 2 soll gezündet werden, wenn die Katastrophe eingetreten ist. Dann wollen die Geldgeber mit prall gefüllten Portemonnaies über ein zerstörtes und am Boden liegendes Land herfallen und es „wieder aufbauen“.

Zwei unberechenbare Faktoren

Es gibt in diesem Kalkül jedoch zwei unberechenbare Faktoren: Zum einen die Tatsache, dass ein jederzeit möglicher Zusammenbruch des globalen Finanzsystems alle Zukunftspläne zunichte machen könnte. Um diesen Crash zu verhindern, tun die Zentralbanken in aller Welt derzeit alles, was in ihrer Macht steht: Das Zinsniveau wird immer weiter nach unten (bis in den Minusbereich) gedrückt und es wird ohne Rücksicht auf (zukünftige) Verluste immer mehr Geld erzeugt und den Großbanken zur Spekulation an den Finanzmärkten zur Verfügung gestellt – alles Maßnahmen, die nur noch begrenzt wirken werden und zwangsläufig zur Zerstörung des globalen Finanzsystems führen.

Der zweite unkalkulierbare Faktor ist der Widerstand des griechischen Volkes. Den haben Tsipras und seine politischen Helfershelfer durch ihren historischen Verrat vorerst einmal schwer erschüttert. Die Menschen in ganz Griechenland befinden sich seit Tagen in einer Art Schockstarre. Doch wenn die Bilanz von zweitausend Jahren menschlicher Geschichte auch nur eine bedeutende Lehre enthält, dann diese: Kein Volk ist auf Dauer bereit, seinen eigenen Untergang kampflos hinzunehmen. Auch Griechenland nicht. Und auch Menschen nicht, die bis vor einer Woche den Lügen von politischen Falschspielern wie Tsipras und Varoufakis geglaubt haben. Deshalb wird die Durchsetzung der von den Geldgebern geforderten Maßnahmen in den kommenden Tagen dazu führen, dass sich das griechische Volk nicht nur gegen sie, sondern auch gegen deren Verbündete in der Regierung in Athen erhebt.

Was dann geschieht, lässt sich derzeit nur erahnen. Brennende Ministerien und Banken, Straßenschlachten, ein Eingreifen des Militärs und die Errichtung eines faschistischen Regimes in Athen sind ebenso möglich wie ein auf andere südeuropäische Länder übergreifender Flächenbrand, der sich in länderübergreifende Bürgerkriege verwandeln könnte.

Doch ganz egal, ob globaler Crash oder soziales Chaos: Auf jeden Fall wird der Lauf der Ereignisse schon sehr bald in eine neue und überaus dramatische Phase der Zeitgeschichte münden. Sie wird vom nackten Überlebenskampf verzweifelter, erniedrigter und gedemütigter Menschen gegen die an diesem Wochenende einmal mehr öffentlich zur Schau gestellte eiskalte Arroganz von politischen Betrügern geprägt sein und zeigen, dass deren Allmachtsphantasien inzwischen zu komplettem Realitätsverlust geführt haben. 


Ernst Wolff, 1950 geboren, wuchs in Südostasien auf, ging in Deutschland zur Schule und studierte in den USA. Er arbeitete in diversen Berufen, u.a. als Journalist, Dolmetscher und Drehbuchautor. Die Wechselbeziehung von Wirtschaft und Politik, mit der er sich seit vier Jahrzehnten beschäftigt, ist für ihn gegenwärtig von höchster Bedeutung: „Die Finanzkrise von 2008 und die Eurokrise waren nur die ersten Vorboten eines aufziehenden globalen Finanz-Tsunamis, in dem der IWF und seine Verbündeten auch in Deutschland zu Maßnahmen greifen werden, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.“

Ernst Wolff ist Autor des Buches  Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs

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