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Wer Rettungsfaher in Saudi-Arabien werden will, muss Unmenschlichkeit ertragen können.

4. August 2015 / 10:19 Uhr

Vergewaltigungen, ausgesetzte Babys, verhungerte Bauarbeiter: Der Alltag eines Rettungsfahrers in Saudi-Arabien

Schockierende Einzelheiten gab ein deutscher Rettungswagenfahrer Spiegel Online preis. Stefan Bauer heißt der Mann – und er arbeitete ein Jahr lang als Rettungsassistent für den Roten Halbmond in Saudi-Arabien. Seine Erlebnisse sind kaum zu ertragen und bieten einen seltenen Einblick in eine abgeschottete Gesellschaft, in der Vergewaltigungen, ausgesetzte Babys und verhungerte Bauarbeiter offenbar zum Alltag gehören. Einfach zu viel für einen Deutschen der in Riad nur Hilfe leisten wollte und die Hölle auf Erden erlebte. Als er nachts nicht mehr schlafen konnte, quittierte er seinen Dienst und kehrte nach Deutschland zurück.

Dein Kind stirbt

Ein haarsträubender Fall geht besonders unter die Haut, Bauer erzählt:

Einmal wurden wir zu einer einsetzenden Geburt gerufen. Normalerweise schaut man dann: Müssen wir das Kind gleich hier entbinden, oder schaffen wir's ins Krankenhaus? Das habe ich über meinen Dolmetscher dem Ehemann erklärt – dreimal, bis er gesagt hat: Ja, du darfst mal unter die Abaya gucken (traditionelles dunkles Gewand – d. Red.). Dort habe ich gesehen, dass der Kopf des Kindes auf die Nabelschnur drückt; das ist lebensbedrohlich fürs Baby. Normalerweise würde man in so einer Situation den Kopf mit der Hand zurückschieben, um die Nabelschnur zu entlasten. Das haben wir dem Mann erklärt, aber der sagte: Nein, gucken durftest du, aber nicht anfassen. Wir haben ihm gesagt: Hör mal, dein Kind stirbt jetzt, wenn wir nichts machen. Das war ihm egal. Wir durften die Frau nur ins Auto laden und in die Klinik bringen. Dort wurde dann festgestellt, dass das Baby tot ist. Die Reaktion des Mannes war: Das ist nicht schlimm, wir können ein neues machen. Das ist dann der Punkt, an dem man nicht mehr weiß, was man antworten soll.

Bauer konnte nur zusehen wie das Baby sinnlos das Leben verlor. Einige seiner Kollegen sollen sich darüber aufgeregt haben, aber es hätte auch welche gegeben die folgendes gesagt haben: "Das Kind wäre auf jeden Fall gestorben, selbst wenn man seinen Kopf noch so sehr zurückgedrängt hätte. Weil es Allahs Wille war."

Hausmädchen von Söhnen vergewaltigt

Viele Ausländerinnen, die als Nanny arbeiten, würden von den Söhnen oder Hausherren vergewaltigt. "Einmal habe ich eine Äthiopierin gefahren, die vor Schmerzen kaum laufen konnte. In der Klinik habe ich den Sachverhalt einer Ärztin geschildert. Sie sagte: Schlimm, aber da kann man nichts machen. Wenn wir jetzt die Polizei einschalten, geht diese Frau ins Gefängnis."

Es existieren keine konkreten Zahlen darüber wie viele Hausangestellte in Saudi-Arabien misshandelt oder vergewaltigt werden. In einem Bericht aus dem Jahr 2008 heißt es jedoch, von 86 befragten Frauen hätten 28 über sexuelle Übergriffe geklagt. "Typischerweise sind Arbeitgeber oder männliche Familienangehörige die Täter", schreiben die Autoren. Und den Gang zur Polizei wagen in Saudi-Arabien nur die wenigsten Opfer. Wer eine Vergewaltigung anzeigt, gibt nach dortigem Verständnis automatisch zu, außerehelichen Sex gehabt zu haben – ein schweres Vergehen. Nur wer nachweisen kann, dass tatsächlich eine Vergewaltigung stattgefunden hat, entgeht einer Bestrafung.

Hintergrund ist das sogenannte Kafala-System, bei dem jeder Gastarbeiter einen Bürgen hat. In der Regel ist das der Arbeitgeber. Sobald diese Leute im Land sind, sind sie ihm ausgeliefert. Ohne Einwilligung des Arbeitgebers können sie ihren Job nicht wechseln und auch das Land nicht verlassen. Besonders prekär ist die Situation der rund 1,5 Millionen Frauen, die als Hausangestellte in Saudi-Arabien arbeiten und meist von den Philippinen, aus Indonesien oder Sri Lanka stammen. Von "faktischer Sklaverei" spricht ein philippinischer Parlamentsausschuss.

Im Bauarbeiter-Container verhungert

Mit dem Wissen von heute würde Stefan Bauer den Job als Rettungsassistent für den Roten Halbmond nicht mehr annehmen, sagt er dem Spiegel. Dazu gehöre auch, wie man in Saudi-Arabien mit ausländischen Arbeitern umgehe. Was er dort gesehen hat, spotte jeder Beschreibung. Baustellen zum Beispiel, auf denen Arbeiter aus Bangladesch leben. Unter übelsten Bedingungen, bis zu dreißig Mann in einer Art Seecontainer. "Oft war es so, dass man gleich morgens einen Einsatz bekam: bewusstlose Person im Industriegebiet. Dann war klar, da ist über Nacht einer gestorben, verdurstet oder verhungert. Oft bin ich auch zu Einsätzen gefahren, bei denen Filipinas aus dem Fenster gesprungen waren."

In Saudi-Arabien sind etwa acht Millionen Migranten legal beschäftigt. Fast ein Drittel der Menschen im Land sind Ausländer. Immer wieder gibt es Berichte über die miserablen Verhältnisse, in denen die Gastarbeiter leben. Stefan Bauer hat die extremen Fälle von Gewaltanwendung, Einschüchterung, Freiheitsberaubung und Bedrohung selbst erlebt.

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