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Philosoph Rüdiger Safranski lässt sich von der Willkommenskultur seiner Kanzlerin nicht einlullen.

2. Jänner 2016 / 15:54 Uhr

Philosoph Rüdiger Safranski analysiert Angela Merkels “infantile Asylmoral”

Auch die gescheitesten Köpfe Deutschlands haben keine Freude mit der "Willkommenskultur" von Angela Merkel. In einem brillanten Interview in der Weltwoche lässt einer der bekanntesten und angesehensten Philosophen Deutschlands, Rüdiger Safranski, kein gutes Haar an der Flüchtlingspolitik seines Landes. Er nennt Merkels Asylmoral und das, was in Deutschland abgeht, eine "moralische Infantilisierung" und einen "weltfremden Humanitarismus".

"Die Deutschen spinnen"

Wenn zehntausende Menschen in Dresden auf die Straße gehen, um gegen die zügellose Zuwanderung zu demonstrieren, haben die Linken und sonstigen selbsternannten Gutmenschen für die Teilnehmer an den PEGIDA-Aufmärschen abschätzige Begriffe wie "Nazis", "Pöbel", "Pack" oder "Fremdenhasser" bereit. Aber was tun, wenn nun auch die geistige Elite des Landes es gar nicht gut findet, was die deutsche Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik anrichtet? Im Interview mit der Weltwoche nimmt sich der Schriftsteller und Philosoph Rüdiger Safranski jedenfalls kein Blatt vor den Mund:

Herr Safranski, niemand hat das Wesen des Deutschen so genau analysiert wie Sie. Was ist in Deutschland los?

Um es knapp auszudrücken: Es herrscht in der Politik eine moralistische Infanti­lisierung.

Und weniger knapp?

Deutschland hat nach 1945 als besiegte ­Nation ihre Souveränität verloren. Bis zum Mauerfall 1989 hatte Westdeutschland aussenpolitisch eine bequeme Existenz: Wir standen unter dem Schutzschild der Amerikaner und waren für nichts verantwortlich. Da wir nicht für uns sorgen mussten, wurden wir infantil. Wir wussten nicht mehr, was Aussenpolitik bedeutet. Erst 1989 wurde Deutschland wieder souverän und bewegt sich bis heute sehr unsicher auf dem internationalen Parkett. Wir schwanken zwischen ökonomischem Selbstbewusstsein und einem weltfremden Humanitarismus. Unsere Aussenpolitik wird zu einer moralischen Mission.

Die eigenartige Willkommenskultur, bei der Asylsuchende von einem Jubelchor empfangen werden, ist das Resultat ­davon?

Überall in Europa ausser in Schweden sagt man: "Die Deutschen spinnen." Das Unreife der deutschen Politik kommt in der Maxime zum Ausdruck, bei Flüchtlingen dürfe man keine Grenzen setzen. Da wird etwas nicht zu Ende gedacht. Denn gemäss ­heutiger Praxis wären, gemessen an den hiesigen demokratischen und ökono­mischen Standards, zwei Drittel der Welt­bevölkerung in Deutschland asylberechtigt. Dass unsere Flüchtlingspolitik einem Denkfehler unterliegt, müsste einem spätestens da auffallen…

Multikulti-Vorstellungen

Köstlich auch die Replik von Safranski auf die linke und linksliberale Szene, für die alles, was von der "Flüchtlinge willkommen"-Rhetorik abweicht, als Unmensch, Hetzer, womöglich als Rechtsextremer gilt. Safranski meint, dass diese Szene von einem verklemmten Verhältnis zur Nation lebe.

Die Selbstbehauptung einer Nation setze aber ein unverklemmtes Verhältnis zu ebendieser Nation voraus. Bei deutschen Intellektuellen gebe es so etwas wie einen nationalen Selbsthass, der sich in einen realitätsfremden moralischen Universalismus flüchte. In einem Land wie Deutschland, das so viel Schuld auf sich geladen habe, traue man sich nationale Interessenvertretung nur zu, wenn sie als moralische Mission oder als Europa-Ideologie verkauft werden könne. "Deshalb auch die ganzen Multikulti-Vorstellungen," so Safranski.

Der Fall "Martin Heidegger"

Zur Selbstverachtung gehöre ein Geschichtsbild, das große Strecken der deutschen Ge­schichte ­lediglich als Vorgeschichte von 1933, also der Machtergreifung Hitlers, verstehen würde. Das führe dann zu Forderungen wie jener von Joschka Fischer, dass Auschwitz der Begründungsmythos für deutsche Identität sein sollte. Es führe aber auch zu absurden Situationen wie beim Fall "Martin Heid­egger", unzweifelhaft einer der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Weil er tatsächlich ein National­sozialist gewesen ist, gibt es auch unter jüngeren ­Intellektuellen sehr viele, die sagen, Heidegger könne man nicht mehr lesen, auch nicht sein geniales Hauptwerk von 1927, "Sein und Zeit". Leute, die Heidegger sowieso nie gelesen hätten, könnten sich jetzt gut fühlen und sagen, der sei kontaminiert, man dürfe sein Werk nicht mehr in die Finger nehmen, so der Philosoph Rüdiger Safranski, der die Deutschen wie kein anderer analysiert.

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