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21. April 2016 / 13:04 Uhr

“Der Smaragdsucher” – Eine barocke Zeitreise zur Jagd nach Europas einzigem Smaragdvorkommen in Salzburg

Wer sich auf ein 650 Seiten-Werk einlässt, tut das mit einer gewissen Erwartungshaltung. Vor allem der, dass sich auf diesem weiten Zeilenfeld wirklich tiefgreifende Erkenntnisse offenbaren. Genau das ist dem 1947 in Heidelberg geborenen Philosophen, Germanisten, Journalisten und Theaterwissenschaftler Ulrich Hossner mit dem „Smaragdsucher“ gelungen. Das Buch ist eine gelungene Mischung aus historischen Fakten, belebt durch eine äußerst facettenreiche Familien- und Dorfgeschichte rund um die Salzburger Stadt Mittersill, in deren Nähe Europas einzige nennenswerte Smaragdfundstätte Habachtal liegt, umgeben vom äußerst lebensnah dargestellten Lebensstil der Barockzeit im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts.

Hexenverbrennungen und Dreißigjähriger Krieg noch sehr lebendig

In jener Zeit um 1667, in der die letzten Hexenverbrennungen (etwa im nahen, bayerischen Bamberg um 1630) noch in greifbarer Erinnerung lagen und die Spuren des Dreißigjährigen Krieges noch überall sichtbar waren, passiert es Christoff Jenner, Sohn armer Fron-Bauern, und der Großbauern-Tochter Cecilia Tanzlechner, in einer von beiden Elternseiten her unerwünschten Beziehung ein Kind zu zeugen, das dann auch entgegen allen Erwartungen zur Welt kommt. Es beginnt ein Spießrutenlauf durch die damals noch absolut von der katholischen Kirchenmoral beherrschte Gesellschaft, die die Beziehung auf harte Proben stellt und letztlich zur Trennung und gänzlich unerwartenen Lebensläufen  führt.

Frauen, die damals vor der Hochzeit schwanger wurden, blieben drei Möglichkeiten: Sich vor der gesamten Gemeinde in der Kirche im Büßerhemd zur Sünde zu bekennen und dann eine Not-Hochzeit ohne Brautkranz zu bekommen, zu der man nur durch den Seiteneingang der Kirche einziehen durfte. Viele ungewollt schwanger gewordene wählten also lieber den Weg zur Engelmacherin oder zum Sauschneider, was nicht wenige mit qualvollem Tod durch Wundentzündung und Sepsis bezahlten.

Pranger und Ächtung für uneheliche Beziehungen oder Kinder

Der dritte Weg bedeutete quasi die gesellschaftliche Ächtung: Wer sich offen zum unehelichen Kind und seinem „Beiwohner“ bekannte, wurde festgenommen und mit kurz geschorenen Haaren an den Pranger gestellt, ein Schild „Liederliches Weibsstück“ um den Hals und schutzlos den Beschimpfungen, Schmähungen, Bewerfungen mit Unrat und Bespuckungen des Pöbels ausgesetzt. Uneheliche Beziehungen ohne den Segen der Kirche galten als „vogelfrei“, rechtlos, gesellschaftlich nicht existent und kaum noch geeignet für eine spätere Ehe. Da waren die Pfaffen gnadenlos.

Das Kunststück einer gottgefälligen Ehe gelingt Cäcilia zwar doch noch, indem sie nach Shristoffs Abreise zur Smaragdsuche einen viel älteren, wohlhabenden Freiburger Stadtkommandanten heiratet, der macht sie aber nicht glücklich. Christoff lernte nämlich den (historisch realen) dänischen Gelehrten Nils Stensen kennen, der im Auftrag der (ebenfalls historisch realen) Grundherrin Anna de Medici im Salzburger Habachtal nach möglicherweise erträglichen Smaragdvorkommen suchen soll (die es ebenfalls gab und gibt). Dies gelingt auch, aber um die Smaragde zu verkaufen, muss Jenner zunächst nach Prag, nach Ungarn und später ins pestverseuchte Wien, wo er zuerst betrogen und dann zum Totentragen gepresst wird. In einem billigen Stadtbeisl singt man Loblieder über einen Betrunkenen, den man irrtümlich in die Pestgrube geworfen und am nächsten Tag, als er nüchtern war, wieder herausgezogen hatte, einen Gassenhauer: "Oh du lieber Augustin – alles ist hin!"

Judenvertreibung, Pest und der liebe Augustin in Wien

Christoff Jenner erlebt die Judenvertreibung in Wien anno 1669/70 unter Kaiser Leopold I., dessen Frau ihre vielen Fehlgeburten einer jüdischen Verschwörung zuschrieb, ebenso wie die Flucht des gesamten Hofstaates mit mehr als 2.000 (!) Kutschen nach Prag bei Ausbruch der Pest, für die alle Straßen für andere Benutzer wochenlang einfach gesperrt wurden. Währenddessen findet seine jüngere Schwester Barbara Arbeit als Stubenmädel in einem Adelssitz nahe Mittersill, was damals für arme Bauerntöchter die höchste erreichbare Stufe im Berufsleben war. Der als Weiberheld verrufene junge Graf macht sie alsbald zu seiner Geliebten und verspielt sie letztlich bei einem rauschenden Fest an einen anderen Adeligen. Die von ihm schwangere Barbara muss abtreiben uns stirbt an den Folgen.

Der sture Jenner kann den Smaragdbergbau im Habachtal schließlich  tatsächlich in Schwung bringen – immerhin kommen die Steine sonst aus Südamerika und haben nicht das tiefe Gründ der Habacher Kristalle – und verdient damit ein beträchtliches Vermögen und den Titel Freiherr. Für einen kleinen Bauernsohn fast unvortellbar. Ein unerwarteter Bergrutsch setzt der Mine (und etlichen Arbeitern) allerdings abrupt ein Ende. Erst (zu) spät findet er wieder mit Cäcilia zusammen, die ihm mit dem Erbe ihres verstorbenen Ehemannes immerhin sein geliebtes Domizil retten kann, in dem seine mittlerweile drei unehelichen Kinder aufwachsen werden.

Kinderarbeit und Umweltverschmutzung für Kaisers Kanonen

Der Roman besticht durch seine historische Nähe. Wir erleben neben der absoluten Herrschaft der Kirche und des Adels (in dieser Reihenfolge) die Ohnmacht der meist armen Bauern, die um jeden Preis ihren Zehent abliefern mussten, die Intrigen und Denunziationen in den bigotten Dörfern, die Enge und den Gestank in den Städten, die unerträglichen Arbeitsbedingungen in den Erzgruben an der ungarisch-tschechischen Grenze, wo tausende Kinder im Volksschulalter bis zu zehn Stunden täglich unter Tage schuften mussten, um der Familie oben in einer Umwelt ohne gesunden Boden ein Auskommen zu sichern.

Wir erfahren von schon damals extremen Umweltvergiftungen etwa im Zuge der Erzgewinnung, wenn etwa riesige Mengen schwefelhaltiger Abfälle einfach in die Salzach oder andere Gewässer gekippt wurden oder wenn rund um die Tag und Nacht brennenden Hochöfen weit und breit kein Baum mehr zu finden war. Die Produktion der Erzgruben umfasste vor allem Münzen und Kanonen für den Kaiserhof und dessen Feldzüge.

Lebensnaher Genuss für Zeitreisende

Die Details, etwa im sanitären, landwirtschaftlichen, kulinarischen oder dörflichen/städtichen Leben sind vielleicht nicht ganz so anschaulich wie etwa bei Paul Hardings historischen Kult-Krimis rund um den Londoner Coroner John Cranston Mitte des 16. Jahrhunderts, wo man die frühmorgens aus den Fenstern in Richtung Straßenmitte geleerten Nachttöpfe über den Köpfen der Passanten förmlich riechen kann. Aber auch Hossner versteht es sehr anschaulich, das Leben, Feiern, Leiden und Sterben der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten äußerst detailgenau zu beschreiben. Ein packender und auch langer Lesegenuss für alle, die gerne zeitreisen.

Ulrich Hossner: Der Smaragdsucher.
Das Buch kann zum Preis von € 29,95 über buecherquelle.at bezogen werden.

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