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“Zahlenmagier” Robert Stein hat erheblichen Erklärungsbedarf. Seine Rechfertigung für die “Fehlschätzung” der Briefwahlkarten hält nicht stand.

27. Mai 2016 / 22:42 Uhr

Wahlkarten-Vermehrung sogar um 60.000: Wahlleiter Stein gerät massiv unter Druck

Immer noch wird nach der Bundespräsidentenwahl am Sonntag über Unstimmigkeiten bei der Briefwahl heftig diskutiert. FPÖ-Obmann HC Strache etwa stellte am Freitag auf Facebook die Frage nach der „wundersamen Vermehrung von zusätzlich rund 28.000 Wahlkarten“, die von Sonntag auf Montag erfolgt sein soll. Noch am Sonntagabend war der Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, Robert Stein, von rund 740.000 Wahlkarten ausgegangen. Ein Wert, der ganz ähnlich vom emeritierten Statistik-Professor Erich Neuwirth präsentiert wurde. Er gab die Zahl in seinem Blog mit exakt 738.055 an. Diese Zahl sei am „22. Mai 2016, 00:18“ (gemeint wohl 23. Mai) so vorgelegen.

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Auf die Frage, woher Neuwirth dieses Wissen beziehe, gab er auf Nachfrage via Twitter an: „Ich hab ja dort (im BMI, Anm.) hochgerechnet und es daher gesehen.“

Weiß Hochrechner im Innenministerium mehr als sein Chef?

Kaum wahrscheinlich also, dass der Chef der Wahlabteilung im Innenministerium, Robert Stein, über weniger Wissen verfügt haben könnte als Neuwirth. Konkret sagte Stein in der „ZiB2 Spezial“ am Abend des 22. Mai:

740.000 Briefwahlstimmen gibt es. Also insgesamt waren es 885.000 Wahlkarten, 740.000 sind zur Briefwahl verwendet worden und zurück gelangt worden und von 740.000 werden noch einige nichtig sein beispielsweise, weil die Unterschrift fehlt – also etwas über 700.000 schätzen wir.

Es geht sogar um rund 800.000 Wahlkarten

Weit verschätzt – wie sich am Ende der Briefwahlauszählung Montagnachmittag zeigte. Denn es gab 766.076 Wahlkarten, die in die Auszählung kamen. Eingelangt jedoch dürften noch wesentlich mehr sein, denn: Vor der Auszählung werden beschädigte, nicht korrekt unterschriebene oder zu früh verschickte Wahlkarten ausgeschieden. Diese scheinen im Wahlergebnis überhaupt nicht auf und werden – auch Stein verwendete diesen Begriff – als „nichtig“ bezeichnet.

Unzensuriert.at fragte den obersten Wahlleiter der Republik, wie viele Wahlkarten nichtig seien, bekam jedoch vorerst keine Antwort. Diese Zahl werde erst ermittelt und spätestens in der Sitzung der Bundeswahlbehörde am 1. Juni bekanntgegeben. Nach Informationen aus einzelnen Bezirkswahlbehörden ist jedoch damit zu rechnen, dass rund 5 Prozent der eingelangten Wahlkarten nichtig waren, das ergäbe somit insgesamt rund 800.000 eingelangte Briefwahlkarten.

Laut Stein waren die fehlenden Wahlkarten noch unterwegs

Es geht also nicht nur um eine Differenz von 28.000 Wahlkarten gegenüber Professor Neuwirths Zahl (und Wahlleiter Steins ähnlicher Schätzung), sondern um satte 60.000. Wo sind die über Nacht hergekommen, fragt man sich also. Stein versuchte seine „Fehlschätzung“ drei Tage später – wieder in der „ZiB2“ – so zu erklären:

Ja, ich habe offen gestanden nicht einkalkuliert, dass durch das Wahlrechtsänderungsgesetz 2015 jetzt auch erlaubt ist, dass Wahlkarten hinterlegt werden dürfen in Wahllokalen, wenn sie nicht aus dem gleichen Stimmbezirk sind. Und ein Teil davon wird erst am Montag zur Bezirkswahlbehörde gebracht und bezüglich dieser Zahl habe ich mich etwas verschätzt, es waren dann um etliche tausend mehr, als wir einberichtet bekommen haben.

Unzensuriert.at fragte auch hier nach. Robert Stein bestätigte uns diese Darstellung und fügte dieser Begründung noch hinzu, dass diese, in anderen Stimmbezirken, teilweise sogar anderen Bundesländern abgegebenen Wahlkarten in der Zeit von Wahlschluss bis Auszählungsbeginn der Briefkarten in die zuständigen Bezirkswahlbehörden transportiert werden müssten – also im schlimmsten Fall von Vorarlberg nach Wien. Klingt also logisch, dass da noch Wahlkarten nächtlich „auf der Reise“ waren, deren Zahl man noch nicht genau abschätzen konnte.

Wahlkarten werden dort ausgezählt, wo sie abgegeben werden

Klänge logisch, wenn das mit dem Transport quer durch Österreich den Tatsachen entspräche – was es allerdings – nach Unzensuriert-Informationen nicht tut. Aus mehreren Wiener Bezirkswahlbehörden wird uns nämlich bestätigt, dass es keinen Unterschied macht, ob Wahlkarten, die beispielsweise in Wien-Donaustadt ausgezählt werden, aus Donaustadt, aus Wien-Hernals oder gar aus dem steirischen Bezirk Murau oder dem burgenländischen Mattersburg stammen. Bei der Bundespräsidentenwahl gibt es nämlich einen einheitlichen Stimmzettel für ganz Österreich, weshalb die exakte regionale Zuordnung der Stimmen vernachlässigt werden kann. Es werden ja nicht – wie etwa bei Nationalratswahlen – Wahlkreismandate vergeben.

Fazit: Steins Argumentation gerät gehörig ins Wanken. Um 0.18 Uhr, als Professor Neuwirth die Zahl der eingelangten Wahlkarten mit 738.055 angab, sollte der Transport von den einzelnen Sprengel-Wahllokalen längst abgeschlossen gewesen sein. In Wien gab die Austria Presse Agentur bereits am Sonntag um 19.11 Uhr das vorläufige Gesamtergebnis für Wien bekannt – es war das letzte der neun Bundesländer-Resultate. Spätestens dann – nach Abschluss aller Auszählungen – dürften die letzten Wahlkarten von den Sprengeln in die Bezirkswahlbehörden befördert worden sein. In Wien sind das kurze Wege. In den Bundesländern, wo bisweilen etwas längere Strecken zurückzulegen waren – schlossen wie Wahllokale teilweise erheblich früher.

Volle Transparenz ist jetzt nötig – und dennoch nicht ausreichend

Will das Innenministerium das erschütterte Vertrauen in den korrekten Ablauf dieser Wahl wiederherstellen, müssen jetzt alle Zahlen auf den Tisch. Die Wahlabteilung wird minutiös darlegen müssen, welche Zahlen zu welchem Zeitpunkt erfasst und zentral dokumentiert waren. Und selbst dann bleiben weitere Fragen in Zusammenhang mit der Briefwahl offen – Fragen rund um die Auszählung und um die mögliche Abgabe von zwei Stimmen, über die wir bereits berichtet haben – und Fragen, über die wir noch berichten werden.

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