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Mit Maduro gibt es keine Zukunft, forderten diese Demonstraten am 7. September die Ablöse des Staatsoberhauptes.

13. September 2016 / 15:00 Uhr

Venezuela am 1. September 2016 – Ein Silberstreif am Horizont

Was zu Beginn des neuen Jahrtausends in Venezuela unter dem zuvor in einer legalen Wahl ins Präsidentenamt gelangten Hugo Rafael Chávez verheißungsvoll begann, trägt 16 Jahre später Züge eines in der Historie des Landes einmaligen Niedergangs, der schwer vermittelbar ist. Venezuela verfügt über die weltweit größten Erdölvorkommen! Im Februar 1992 hatte der rebellische Oberstleutnant vergeblich versucht, über einen Putsch an die Macht zu gelangen. Im April 2002 widersetzte sich der zum Präsidenten avancierte Chávez erfolgreich einem Gegenputsch, er wurde von oppositionellen Militärs festgenommen und in Haft genommen, aus der er allerdings zügig freikam und sich, zur Überraschung von Freund und Feind, zwei Tage später aus dem Präsidentenpalast Miraflores zurückmeldete.

Gastbeitrag von Michael Johnschwager

Die Parlamentswahl vom 6. November 2015 bescherte der oppositionellen MUD (Mesa de la Unidad Democrática = Roundtable der demokratischen Einheit) die erforderliche Mehrheit im Parlament (Asamblea Nacional), gegen den amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro ein Revocatorio (Amtsenthebungsverfahren) auf den Weg zu bringen. Dafür werden die Stimmen von 20 Prozent der Wahlberechtigten benötigt, das entspricht einer Zahl von knapp 4 Millionen Venezolanern.

Um ihrem Anliegen öffentlichkeitswirksam Nachdruck zu verleihen, rief die MUD zu einer Groß-Demonstration am 1. September (1S) unter dem Motto „Die Einnahme von Caracas“ und alle, alle kamen – abgesehen von einer verschwindend geringen Gruppe regierungstreuer Anhänger. Anfangs versuchte die Bolivarische Garde, den Zugang der Massen in einem Tunnel zu blockieren, gab sich aber schnell dem Ansturm geschlagen und räumte die Sperre. Angaben der MUD zufolge konnte man ca. eine Million Menschen mobilisieren, Maduro sprach von 30.000. Im sicheren Vertrauen auf die massive Unterstützung der Venezolaner rief die MUD zu einer weiteren Protestdemonstration für den 7. September vor dem nationalen Wahlrat CNE auf. Die Opposition ist entschlossen, der Regierung des in Ungnade gefallenen populistischen Präsidenten Maduro keine Atempause zu gönnen.

Maduro will Referendum abwenden

Nach dem eindeutigen Wählervotum lässt Maduro nichts unversucht, das Referendum gegen ihn abzuwenden, zumindest aber auszubremsen. Mit immer wieder neuen Kniffen versucht seine kreative Führungsriege, die Abstimmung auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern. Dabei liegt die Absicht klar auf der Hand: Gelingt es Maduro, die Menschen hinzuhalten bis nach dem 10. Januar 2017, würde bei einer (als sicher geltenden) Abwahl automatisch sein Vize Aristóbulo Istúriz aus den Reihen der regierenden PSUV (Partido Socialista Unido de Venezuela = Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas) nachrücken.

Patienten sterben Ärzten unter der Händen weg

Anfänglicher Unmut über alltägliches Warten an den Supermärkten in Schlangen von mehr als 100 Metern Länge steigerte sich zu nicht mehr zu überhörendem verzweifelten Aufbegehren, nachdem eine Versorgung mit Grundnahrungsmitteln nicht mehr gewährleistet werden konnte. In den Hospitälern fehlte es zunehmend an Medikamenten. In dramatischen Appellen traten Ärzte an die Öffentlichkeit und bekannten, dass ihnen Patienten unter den Händen wegsterben. Dies mussten auch zahlreiche Mediziner aus Kuba erleben, die seit geraumer Zeit im Zuge humanitärer Unterstützung seitens des Castro-Regimes für das sozialistische Bruderland Venezuela unschätzbare Dienste leisten.

Kaum überbrückbare Abgründe zur unverdrossen aufrecht erhaltenen planwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftspolitik der PSUV ließen Venezuelas Unternehmer für jedermann sichtbar auf Distanz gehen. Einige Unternehmen stellten ihre Produktion ein, nachdem die Lieferung von Rohstoffen auf der Strecke blieb. Venezuelas bedeutender Lebensmittelhersteller POLAR – u.a. bekannt durch das auch exportierte Bier POLAR DEL CENTRO – sah zuletzt weder Anhaltspunkte für eine Annäherung, geschweige denn für eine vage Verständigung.

Regierung ließ Betriebe mit Militär besetzen

Die Regierung Maduro versuchte auf ihre Weise gegenzusteuern, setzte auf militärische Intervention, indem sie Betriebe kurzerhand besetzte. Ein untaugliches Manöver, ebenso wie der Erklärungsversuch, von ökonomischer Inkompetenz abzulenken mit dem Verweis auf den Verfall der Erlöse aus der Petroleumerzeugung. Die schwindende Wirtschaftskraft manifestiert sich in einem rasanten Abwärtstrend auf der Inflationsspirale. Die Geldentwertung wird für 2016 einen niedrigen dreistelligen Wert ausweisen.

Und diese unheilvolle Entwicklung bezahlt das schwächste Glied der Gesellschaft: die breite Masse der Bedürftigen in der venezolanischen Bevölkerung. Also eine erdrückende Mehrheit, deren desolate Lage zu verbessern der Comandante Chávez einst angetreten war. Er erlag im März 2013 mit nur 58 Jahren einer Tumorerkrankung. Ein unerwartet früher Tod des dank seiner charismatischen Attribute bereits zu Lebzeiten legendären Offiziers, der das Gen des Caudillo bereits als Kadett in sich trug. Seine Nachfolger erweisen sich außer Stande, das von Anfangserfolgen (Armutsbekämpfung, Inklusion Behinderter in den Arbeitsmarkt, Ahndung willkürlicher Preistreiberei von Lebensmitteleinzelhändlern, Regelwerk für Gebühren im Gesundheitswesen) begleitete Lebenswerk „ihres Kommandanten“ fortzuführen und für ein wirtschaftlich tragfähiges Modell einzutreten.

Werden Kleptomanen zur Rechenschaft gezogen?

Bliebe die Frage nach der Suche der Verantwortlichen an der Misere. Während ein Heer regimekonformer Chavistas einen substantiellen Beitrag leistete, die sozialen Errungenschaften der Bolivarischen Revolution mit Leben zu erfüllen, nutzte eine überschaubare Clique von Kleptomanen an der Spitze die Gunst der Stunde für egoistische Zwecke. So teilten sie u.a. die Erlöse aus dem Rohölexport untereinander auf. Eine schamlose Bereicherung zu Lasten einer ganzen Nation, die ihresgleichen sucht, selbst wenn man lateinamerikanische Maßstäbe an- und großzügig auslegt.

Michael Johnschwager, 1949 in Hamburg geboren, war als Außenhandelskaufmann von 1980 bis 1990 in Kolumbien, Venezuela und Honduras privatwirtschaftlich, sowie in Entwicklungsprojekten in Costa Rica in beratender Funktion im Einsatz. Seit 2004 ist Johnschwager als fremdsprachlicher Dozent und Autor mit Schwerpunkt Lateinamerika freiberuflich tätig.

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