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Kein Vergleich zu heute: In den 1960er und 70er Jahren war die islamsiche Welt durchaus liberal und offen (hier: irakische Frauen-Basketballmannschaft 1970).

8. November 2016 / 13:22 Uhr

Nahost-Expertin Kneissl über das kippende westliche Frauenbild und die Gefahren der Islamisierung Europas

Die in Niederösterreich beheimatete studierte Völkerrechtlerin, Nahost- und Energieexpertin Karin Kneissl eröffnete wohl für viele im Auditorium völlig neue Sichtweisen auf Gesellschaftsentwicklungen im Nahen Osten der letzten Jahrzehnte. Auf Einladung der ÖVP-Frauenorganisation Niederösterreich referierte sie unter anderem über das Frauenbild an der Kippe, aus europäischer wie auch nahöstlicher Perspektive. Unzensuriert.at war unter den zahlreichen Zuhörern und berichtet darüber exklusiv.

Hart errungene Rechte Europas nicht verhandelbar

Zu Anfang ihrer Ausführungen, im Kontext der Auseinandersetzung mit der islamischen Kultur in Europa, stellte die Völkerrechtlerin unmissverständlich klar, dass über Jahrhunderte erworbene und erfochtene Rechte Europas nicht verhandelbar seien. Auch aus völkerrechtlicher Sicht seien errungene Rechte absolut unverhandelbar.

Wie Kneissl aus eigener Erfahrung ihrer Kindheit, die sie mit ihrer Familie im Nahen Osten verbrachte, zu berichten weiß, war die islamische Welt vor Jahrzehnten wesentlich liberaler als sie dies heute ist.

Frauen-Verschleierung als politisches Manifest

Nicht religiöse Gründe seien der Motor der immer offensiver gelebten Verschleierung der islamischen Frauen, es sei dies vielmehr ein politisches Manifest und auch in keinster Weise so im Koran festgeschrieben. Die Völkerrechtlerin, die neben diversen nahöstlichen Sprachen auch perfekt Arabisch spricht, den Koran also in der „Originalfassung“ und keiner übersetzten Interpretation studiert hat, gilt hierbei als höchst glaubwürdig.

Massive Rückentwicklung in den letzten drei Jahrzehnten

Betrachtet man also das Damaskus der 1970er oder das Kairo der 1980er Jahre, hat eine dramatische Rollenveränderung der Frau in diesem Kulturkreis stattgefunden. Während damals Vespa fahrende Frauen in kurzen Röcken und Basketball spielende junge Mädchen in kurzen Turnhosen das Straßenbild prägten, ist dies heute die vollverschleierte Muslima.

Darüber hinaus gibt es heute im öffentlichen Raum kaum noch Berührungspunkte mit der Welt der Männer. Dies geht von Geschlechtertrennung in Geschäften und Lokalen in Staaten wie Saudi Arabien bis hin zu Vorschriften, dass die „anständige Muslima"  abends das Haus nicht mehr verlassen sollte.

Das „hippe“ Afghanistan der '60er und '70er Jahre

All diese interessanten Einblicke in die einst liberale Welt des Nahen Ostens und des Islam wurden sehr anschaulich durch Bilddokumente von Expertin und Zeitzeugin Kneissl unterstrichen. Eine der „angesagtesten“ Destinationen der 1960er und 1970er Jahre in der Region war zweifellos Kabul. Wo es in jener Zeit eine stets gut besuchte Oper und ein eigenes Staatsballett gab und man als Frau auch nach Einbruch der Dunkelheit ungehindert mit dem Fahrrad unterwegs sein konnte.

Heute wäre dies unvorstellbar, erzählt Kneissl. Diese Entwicklung hatte sich Mitte der 1980er Jahre gedreht und eine Rückkehr in die damalige Gesellschaftsform ist heute kaum noch vorstellbar.

Bikinis an Ständen des Nahen Ostens der frühen '60er Jahre

Auf den Fotos sind unter anderem ausgelassene junge Frauen und Männer an den Stränden des Nahen Ostens zu sehen, Bilddokumente aus den 1960er Jahren, heute unvorstellbar. Zu Zeiten, als man in Mitteleuropa Brigitte Bardot im Bikini an den Pranger stellte. Die Großmütter des Nahen Ostens müssen sich heute vor ihren ultrakonservativen Enkeltöchtern für diese Fotos rechtfertigen.

In zunehmend erschreckendem Maße breitet sich diese Rückentwicklung nun auch in Europa aus. Teils in den Parallelgesellschaften der Migranten, aber auch bei den in zweiter oder dritter Generation bereits hier geborenen Muslimas. Eine Entwicklung, die am Beispiel Kairos etwa 20 Jahre dauerte, war für Kneissl in Europa im Zeitraum von sechs Monaten zu beobachten.

Iran als „Hoffnungsnation“ am Golf

Der Iran hingegen sehe mit seiner 4.000-jährigen Staatstradition im Vergleich mit anderen Golfstaaten, die durch koloniale Grenzziehung entstanden waren, nach Ansicht der Nahostexpertin rosigeren Zeiten entgegen. Der Iran, dessen wörtliche Bedeutung in Mandarin „Tor nach Asien“ bedeutet, sehe sich auch weitgehend als asiatische Macht. Was zum Beispiel die Geburtenrate anbelange, halte der Iran mit 2,3 Prozent durchaus europäische Standards. Die statistisch gesehen durchschnittliche Iranerin heirate im Schnitt mit 28 Jahren und bekommt in Folge zwei bis drei Kinder.

An den Universitäten des Landes herrscht ein Frauenanteil von 80 Prozent, um männliche Studierende werde gebuhlt. Nach dem Iran-Irak Krieg 1980 bis 1988 war auf Grund der vielen Opfer, vor allem unter der männlichen Bevölkerung, eine Etablierung von Frauen in Führungspositionen möglich geworden. Vor allem Positionen im Öl-und Gassektor, in dem in Europa nur wenige Frauen vertreten sind, werden im Iran auch mit Frauen besetzt.

Die Moscheen Teherans wären leer, während jene in Marseille zum Bersten voll seien, erläutert Kneissl weiter. Sollte, wie in absehbarer Zeit erwartet wird, die gesetzliche Verpflichtung zum Tragen des Schleiers fallen, ist Kneissl überzeugt, dass 90 bis 95 Prozent der Frauen den Schleier ablegen werden.

Vergewaltigungen für Muslime legitim

Als Folge dieser Entwicklung – leider auch im europäischen Raum – sei das Problem der körperlichen Unversehrtheit der Frau zu erkennen, so Kneissl. Laut einer Studie der UNIFEM (United Nation Development Fund for Women) würden 90 Prozent der ägyptischen Frauen, unabhängig von deren Bekleidung, Opfer von sexueller Gewalt. Auch in unseren Breiten läge die Zahl der sexuellen Übergriffe weit höher als publiziert, so Kneissl.

Nach Ansicht muslimischer Männer, die dieses Argument oftmals als Rechtfertigung vor Gericht anführten, habe eine anständige Frau, gleich welcher Religion, um 22.00 Uhr alleine nichts mehr auf der Straße verloren. Die Bestrafung in Form von Vergewaltigung ist aus Sicht dieser Herren also völlig legitim.

Zornige junge Männer

Die Ursache dieser Entwicklung liege einerseits in der „Flucht in die Religion“ und deren radikaler Auslegung, andererseits in der Frustration dieser oftmals sehr jungen Männer mangels Zukunftsperspektiven. Es sei historisch sowohl im Okzident  als auch im Orient belegbar, dass dort, wo die Politik und die Herrschenden versagen, eine Rückbesinnung auf die Religion in der öffentlichen Debatte die Folge sei.

Allerdings seien auf politische und gesellschaftliche Probleme nur solche Art Lösungen und keine religiösen Lösungen fruchtbringend, betont Kneissl. Interreligiöse Dialoge seien auch nur dann erfolgversprechend, wenn man dabei unumstrittene Kenner der jeweils anderen Kultur miteinander an einen Tisch brächte, so die Nahost-Expertin.

Hohe Geburtenraten in Nahost als Risiko für Europa

Die Frustration der flüchtenden jungen Männer resultiere hauptsächlich aus den extrem hohen Geburtenraten der Heimatländer. Am Beispiel Ägypten müsse man jährlich etwa 400.000 Jobs schaffen, um den jungen Männern Arbeit und ein standesgemäßes Leben heutiger islamischer Prägung ermöglichen zu können. Nur wer heiratet und eine Familie gründet, kann auf gesellschaftliche Akzeptanz hoffen.

Auch verheiratete Männer, deren Frauen sich der Verschleierung verweigern, würden als Schwächlinge in der Gesellschaft ausgegrenzt. Der „Jugend-Überschuss“ schaffe also gesellschaftliche Probleme in der islamischen Welt. Daraus resultierend waren 77 Prozent der zwischen März und Dezember letzten Jahres Eingewanderten junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren.

Schweden, bis dato Asylaufnahmeland schlechthin, hat laut Studien derzeit mit einer Rate von 125 Männern auf 100 Frauen in der Altersgruppe der 16 bis 18 jährigen zu rechnen. Eine erschreckende Fehlentwicklung, wenn man bedenkt, dass auf Grund der jahrzehntelangen „Ein Kind-Politik“ der Chinesen dort das bereits alarmierende Missverhältnis von 115 Männern zu 100 Frauen zu schier unlösbaren gesellschaftlichen Problemen führt, erklärt die Wissenschaftlerin.

Problemfall Türkei wird zum europäischen Kernproblem

Auf Grund der geographischen Nähe der Türkei zu Europa sieht die Nahostexpertin hier ein Kernproblem für Europa. Das stillschweigende Sanktionieren und Negieren der Entwicklung in der Türkei seitens der EU Politiker sei unverständlich und brandgefährlich, führt Kneissl aus. Bedenkt man, dass am Bosporus bereits in den 1920er Jahren das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, erscheinen die Veränderungen unter Erdogan beinahe skurril.

Die von ihm ausgegebene Mahnung an alle türkischen Frauen, mindestens vier Kinder zu gebären, sowie die „Empfehlung“ seiner Regierung, Frauen sollten das Lachen in der Öffentlichkeit unterlassen, da dies unschicklich sei, deuten auch auf zunehmende Radikal-Islamisierung der Türkei hin. Dies mache den „Kniefall“ Europas vor Erdogan noch unverständlicher.

Ausrufung türkisch-islamischer Republik nur noch Frage der Zeit

Die Ausrufung der islamischen Republik Türkei sei folglich nur eine Frage der Zeit, erklärt die Nahostexpertin. Das wird noch in der Nacht des Vortrages durch eine neuerliche Verhaftungswelle von oppositionellen prokurdischen Politikern der HDP (Halklarin Demokratik Partisi), untermauert. Die Türkei auf der Zielgeraden in eine islamische Republik diktatorischer Prägung.

Selbst wenn der türkische Despot von Rückforderung der Türkei vorgelagerten griechischen Inseln spricht und damit die gesamte Nachkriegsordnung über den Haufen zu werfen droht, sei keinerlei Aufschrei Europas zu vernehmen, so Kneissl. Auf Grund der wahrscheinlichen Islamisierung der Türkei drohe Europa eine erneute Flüchtlingswelle.

Theokratische Machtpyramide Saudi Arabien schwankt

Auch für das theokratische Saudi-Arabien sieht die Nahost-Expertin große politische und gesellschaftliche Konflikte voraus. Auch auf Grund sinkender Öleinnahmen werden ebendort Stimmen laut, die eine Einführung von Steuern in dem bis dato steuerbefreiten Königreich der Wahhabiten fordern. Dies würde aber zwangsläufig ein Mitspracherecht der zahlenden Bevölkerung und daraus resultierende Reformen im Staate bedingen. Hier befände sich die autoritär geführte Theokratie in der Zwickmühle, so Kneissl.

Das Kalifat und seine Folgen für Europa

Das Kalifat des Islamischen Staates (IS) beruft sich auf den ersten Kalifen, den Propheten Mohammed. Er war sowohl militärischer, politischer (Sultanat ist die weltliche Macht) als auch spiritueller Führer des Volkes.

Im Jahr 2014 erfolgte erstmals seit der Auflösung des Kalifats unter Kemal Atatürk 1924 die territoriale Verankerung des Kalifates durch den IS. Tausende EU-Bürger hätten sich bis dato dem Kalifat angeschlossen, erklärt Kneissl. Eine bis dato unbekannte Zahl ist indoktriniert und militärisch ausgebildet von dort wieder nach Europa zurückgekehrt.

Welt zu retten ist nicht Aufgabe einer Regierung

Die Schließung der Balkan-Route durch die österreichische Bundesregierung und der daraus resultierende Versuch einer Wiederherstellung der Staatsfunktionen wird von der Nahost-Expertin begrüßt. Es sei keineswegs die Aufgabe einer Regierung, „die Welt zu retten“, dies seien unreife, pubertär anmutende Ansätze, so die Völkerrechtlerin. Eine Gesinnungs-Ethik bringe uns nicht weiter, vielmehr sollte diese einer Verantwortungs-Ethik weichen, die Folgen des Handelns müssten abgeschätzt werden, "moralische Überlegenheit" sei immer gefährlich, betont Kneissl.

Sorge um Europas Gesellschaft

Die Vorgangsweise der neuen islamischen Gesellschaft, im Namen Gottes zu mobilisieren, wo politische Ideen versagen, ist historisch gesehen nicht neu. Hinzu käme nun aber noch die islamische Sichtweise der Trennung der Welt in Gläubige und Ungläubige. Laut Statistik sehen 65 Prozent der Muslime, meist aus "moralischer Überlegenheit", religiöses vor staatlichem Recht rangierend.

Diese Tatsache alleine würde Europas Rechtsordnung in Frage stellen, so Kneissl. Die Migration werde im Falle einer Stabilisierung im Nahen Osten nicht abnehmen, erklärt sie weiter. Für die bereits geflohenen Syrer werde es, nach ihrer Einschätzung, nahezu unmöglich sein, wieder zurückzukehren und Fuß zu fassen.

Europäer müssen aufhören, nachzugeben

Sorge bereite jedoch die europäische Gesellschaft, seit zwei Generationen fern jeglicher Entbehrungen und infrastruktureller Probleme im nahezu uneingeschränkten Luxus lebend. Dagegen sei die nahöstliche Gesellschaft seit einigen Generationen an die langwierige Lösung etwa von Infrastruktur-Problemen gewöhnt und daher auch „widerstandsfähiger“.

Die Schlussworte der Veranstaltung waren nicht nur an das Auditorium gerichtet, sondern vielmehr als Appell zu verstehen. Die Europäer müssten auf gesellschaftspolitischen Freiheiten wie der Trennung von Politik und Religion und der Gleichberechtigung beharren und dies nicht täglich neu verhandeln.

Die europäischen Werte sind unverhandelbar, schließt Kneissl unmissverständlich.

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