Demokratisch, kritisch, polemisch und selbstverständlich parteilich

Am Wiener Landesgericht wurde jenes Urteil gegen unzensuriert.at gesprochen, das besonders Medien wie “profil” und “Standard” entzückt.

22. Jänner 2017 / 22:12 Uhr

So absurd begründete Richterin Nicole Baczak das Urteil gegen unzensuriert.at

Unser Bericht über die erstinzanzliche gerichtliche Niederlage gegen die profil-Journalistin Christa Zöchling hat viele Reaktionen unserer Leser hervorgerufen. Besonders dankbar sind wir derzeit natürlich für finanzielle Unterstützung, die von vielen zugesagt und von einigen auch schon geleistet wurde – herzlichen Dank dafür! Auf dieses Konto können Sie spenden, um unsere weiteren Schritte gegen das ungerechte und juristisch skandalöse Ersturteil zu unterstützen:

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Viele Leser halten es für unverschämt, dass just jene Journalistin, die Teilnehmer einer FPÖ-Wahlveranstaltung pauschal als “die hässlichsten Menschen Wiens” beschimpft hat, jetzt Schadenersatz für gegen sie gerichtete Beleidigungen einklagt. Das sehen wir ebenfalls so, müssen aber vorerst akzeptieren, dass Zöchling und ihr Anwalt Hubert Simon dabei noch Rückendeckung von der Justiz bekommen.

Die abstrusen Begründungen

Verantwortlich für das Urteil ist nämlich einzig und alleine die Richterin am Straflandesgericht Wien, Nicole Baczak. Wir formulierten in unserem ersten Bericht, die Begründungen für das Urteil seien – abgesehen von der fehlenden gesetzlichen Grundlage für einen Schuldspruch – “derart abstrus” gewesen, “dass wir sie hier gar nicht wiedergeben”.

Das machte natürlich mehrere Leser neugierig. Daher hier einige Details.

Die Rechtslage sieht vor, dass Betreiber von Webseiten nicht verpflichtet sind, die Beiträge Dritter regelmäßig zu überwachen. Erst wenn sie von rechtwidrigen Inhalten Kenntnis erlangen, etwa durch einen Hinweis von Lesern, haben sie die Beiträge umgehen zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen. Genau in diesem Sinne äußerte sich im Juni 2013 der Generalsekretär des Verbands der österreichischen Internet Service Provider (ISPA), Dr. Maximilian Schubert, anlässlich einer ähnlichen Debatte. Damals hatte die mittlerweile verstorbene Nationalratspräsidentin Prammer (SPÖ) versucht, unzensuriert.at mit Hilfe von Leser-Kommentaren zu kriminalisieren.

Rechtslage unverändert, Urteile völlig anders

An dieser Rechtslage hat sich bis heute nichts geändert und somit wäre unzensuriert.at am Freitag freizusprechen gewesen, haben wir doch die von Christa Zöchlings Rechtsanwalt beanstandeten Postings umgehend – und zwar innerhalb von nur drei Stunden – gelöscht. Das ist übrigens auch der Unterschied zu dem jüngst verurteilten Grün-Abgeordneten Karl Öllinger. Der hatte nämlich nach der Aufforderung, rechtswidrige Kommentare auf seiner Facebook-Seite zu löschen, mehrere Tage verstreichen lassen.

Gegen HC Strache: Öllinger trotz verspätetet Löschung freigesprochen

Ähnlich hatte es Öllinger im Jahr 2013 gehalten, als ein User auf seiner Facebook-Seite FPÖ-Obmann HC Strache als “kriminellen Lügner” und “Nazi” bezeichnet hatte. Strache forderte den Grünen auf, die Beleidigungen zu löschen. Der ließ sich aber vier oder fünf Tage Zeit – angeblich weil er noch einen Juristen in dieser Sache konsultierte. Der Oberste Gerichtshof entschied nach langem Rechtsstreit zugunsten des Grünen. Der Standard lieferte dafür folgende Begründung:

Die “gebotene Sorgfalt” sei “gerade noch” eingehalten worden, heißt es, denn: Sei die Rechtsverletzung nicht offenkundig, so könne es legitim sein, juristischen Rat einzuholen. Der Oberste Gerichtshof sieht “keine schuldhafte Verzögerung”.

Warum also hat Öllinger damals trotz vier Tagen Verzögerung die Sorgfalt eingehalten und unzensuriert.at trotz Löschung nach nur drei Stunden nicht? Jetzt kommen wir zu den “abstrusen Begründungen” der Richterin.

Unzensuriert.at “polemisiert” gegen “linke Personen”

Nicole Baczak folgte zum einen der Argumentation von Zöchling-Anwalt Simon, demzufolge unzensuriert.at auf polemische Art gegen seine Mandantin “und andere linke Personen” schreibe – und deshalb mit beleidigenden Leserkommentaren rechnen und diese im Auge behalten müsse. Eine “Polemik” von Zöchlings “Hässlichste Menschen”-Niveau freilich findet sich in unserem Artikel weit und breit nicht.

Unzensuriert.at muss trotz Mini-Budget volle Kontrolle sicherstellen

Nachdem unser Anwalt den erst 2015 vom Obersten Gerichtshof gefällten und oben beschrieben Öllinger-Freispruch im Verfahren gegen HC Strache thematisiert hatte, hatte Baczak auch für dessen Nichtbeachtung eine Ausrede parat. Öllinger sei nämlich “Privatperson”, während hinter unzensuriert.at ein professioneller Medieninhaber (“eine GmbH”, so Baczak wörtlich) stecke, die dafür über ausreichende Strukturen verfüge.

Diese Feststellung traf die Richterin, obwohl im Verfahren das Gegenteil klar geworden war. Das (lächerlich geringe) Jahresbudget von unzensuriert.at war ebenso thematisiert worden wie die Zahl der angestellten Mitarbeiter (1 teilzeitbeschäftigter Redakteur, 2 geringfügig Beschäftigte in der Verwaltung). Jedem Laien musste klar werden, dass es mit diesen Personalressourcen nicht möglich ist, Kommentare auf (beim Prozess ebenfalls erwähnte) rund 3.000 Artikel pro Jahr  genauestens und praktisch in Echtzeit zu überwachen. Das Budget des Abgeordneten Öllinger für seinen parlamentarischen Mitarbeiter ist zweifellos höher. All das brachte Nicole Baczak allerdings nicht von ihrer absurden Argumentation ab.

Zur Untermauerung des von uns gewonnenen Eindrucks der Politjustiz noch zwei kleine Details:

Baczak betonte in ihrer mündlichen Urteilsbegründung ganz besonders, dass sie erstmals für jedes Posting eine eigene Strafe verhänge – in diesem Fall zweimal 1.000 Euro. Dies bereitete ihr sichtlich besondere Genugtuung, wiewohl sie bezweifelte, dass dies “in der Instanz halten wird”. Dies verkündete sie übrigens, bevor unsere Seite überhaupt Berufung angemeldet hatte.

Besonders schockiert zeigte sich die (insgesamt nicht sehr medien-affin wirkende) Medienrichterin darüber, dass auf unzensuriert.at keine Zensur herrscht. Sie fragte zweimal nach, ob als angemeldeter User wirklich jeder schreiben könne, was er will (“Egal welche politische Richtung?”).

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