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Wilderer waren früher die Helden des Alltags, der Frauen und der Bevölkerung. Heute ist dieses verklärte Bild längst verschwunden.

10. Feber 2017 / 13:38 Uhr

Von Wilderern und Vagabunden: Soziologe Roland Girtler erzählt wilde Geschichten

Jeder freie Bauer hat das Recht, zu jagen. So sah es das Gesetz zumindest noch bis weit ins Mittelalter vor. Zur Versorgung der Familie, zur Nahrungsbeschaffung aber auch zum Schutz des eigenen Viehbestandes war die Jagd zwingend notwendig, um überleben zu können. Das hat sich auch nach dem Mittelalter nicht wesentlich verändert.

Als jedoch immer mehr Adelige die Jagd zum Vergnügen erklärten, wurde sie für die übrige Bevölkerung verboten und sogar unter Strafe gestellt. Der Begriff sowie der Tatbestand der "Wilderei" hielt Einzug in das alltägliche Leben der Bauern und Bürger, der „kleinen Leuten“, wie sie der Soziologe und Kulturanthropologe Roland Girtler in seinem jüngsten Vortrag bei der Rieder Mittelschülerverbindung Germania nannte.

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Roland Girtler bei seinem Vortrag mit Johannes Berger von der Mittelschülerverbindung Germania Ried.

"Helden des Alltags": Wohlstand machte Wilderer unnötig

Wer selbst auf die Jagd geht, wird kaum darum herumkommen, sich der Thematik der Wilderei zu widmen. Aber auch, wer die rauhe Natur von der Nordsee bis an die Etsch liebt, wird irgendwann auf das Phänomen der „Helden des Alltags“stoßen.

Endgültig ausgestorben ist die Wilderei nämlich bis heute nicht, aber seit Mitte der fünfziger Jahre, als der Wohlstand in die Dörfer einzog, kommt ihr zumindest in der Zivilbevölkerung immer weniger Bedeutung zu. Fortan waren Kleinbauern und Waldarbeiter weniger oft darauf angewiesen, den Sonntagsbraten – den sogenannten "Wildschützbraten" – selbst zu schießen. Nahversorger und Lebensmittelkettel boten alles zum Verkauf an, was Jäger und Wilderer zuvor legal und illegal ´selbst erbeutet hatten.

Damals und heute: "Scholar in Gottes Weltuniversum"

Denn die Armut der Bergbewohner, daran lässt der Wiener Soziologie-Professor und Buchautor Roland Girtler keinen Zweifel, war lange der Hauptgrund für den Wilddiebstahl. Der Kulturwissenschaftler bezeichnet sich selbst als „Vagabund und Feldforscher, als Experte für Sandler und Sennerinnen, für Dominas und Pfarrerköchinnen, für Aristokraten und Ganoven, als Scholar in Gottes Weltuniversum“ und widmete sich in einem seiner Spezialgebiete auch der Wilderei.

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Früher war Girtler zufolge zumindest auf diesem Gebiet alles besser: Während Wilderer vor hundert Jahren noch ehrbare Menschen waren, die sich auf der Suche nach Nahrung gegen das Jagdverbot auflehnten, seien die Wilderer von heute vielmehr aus einer psychologischen Sicht zu betrachten und sehr oft Kriminelle.

Wandlung vom Helden zum Kriminellen

Im Machtstreit mit den örtlichen Jägern im Revier würden sie Tiere einfach anschießen und liegen lassen, oder keine Rücksicht auf die Schonzeiten nehmen. Die Versorgung mit Fleisch spielt dabei überhaupt keine Rolle mehr, die Auflehnung gegen Gesetze und Regelungen umso mehr – allerdings mit schwerwiegenden Folgen für die Tiere.

Aus einem einfachen Nachbarschaftsstreit um ein paar Meter Weidefläche entbrannten schon öfters wilde Schießereien im Jagdgebiet des Rivalen. Dass die Jäger dabei zu Wilderern werden, ist keine Seltenheit. Doch nicht immer war das Bild der heimlichen Waidmänner ein so schlechtes wie heute.

Als Jagen noch Privileg der Reichen und Adeligen war

Noch vor hundert Jahren und lange davor war es in den oftmals abgeschiedenen Bergdörfern notwendig, sich über die geltenden jagdlichen Bestimmungen hinwegzusetzen, die es nur den reichen Bauern und Landesherren ermöglichten, Vieh zu schießen und davon zu leben. Das Geld reichte für die Landbevölkerung gerade in Krisen- und Kriegszeiten selten für einen teuren Einkauf. Und ohne eigene Wald- und Pachtfläche war der Erwerb von Fleisch nahezu unmöglich.

Nicht selten legten sich darum die Wildschützen bei Dämmerungseinbruch auf die Lauer und schossen den Jägern ihre Beute vor der Nase weg, um damit in die Dunkelheit und zurück zu ihren hungernden Familien zu entschwinden. Ein Bild, das sich auch Girtler von den Wilderern lieber behalten möchte als das von machtdemonstrierenden Tiermördern.

Kurzweiliger Abend mit den "Rebellen in den Bergen"

Der Wissenschafter, der auch das Wilderermuseum St. Pankraz begründet hat, erzählt dabei in seiner unnachahmlichen Weise Geschichten über diese, wie er sie nennt, „Rebellen in den Bergen“.

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Fast 200 Gäste füllten den Saal des Tumeltshamer Kirchenwirts bis auf den letzten Platz und erlebten einen ausgesprochen unterhaltsamen Abend. Dass Roland Girtler es verstand, einen äußerst kurzweiligen Einblick in das oft rauhe Wilderer-Leben zu geben, zeigten die „Zugabe“-Rufe am Ende seiner Ausführungen – eine Situation, die nach einem Vortrag wohl auch nur bei wenigen Professoren vorkommt.

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