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Müssen Pflichtpraktikanten entlohnt werden oder nicht? Zwei Schreiben widersprechen einander.

1. Juli 2017 / 14:04 Uhr

Ferienzeit ist Praktikumszeit – Ist das Praktikum von der Schule aus verpflichtend, ist keine Entlohnung vorgesehen

Schüler einer Handelsschule in Wien-Simmering wurden darüber informiert, dass sie im Zuge ihrer Ausbildung ein Pflichtpraktikum absolvieren müssen, das angeblich in der Regel auch ein Arbeitsverhältnis mit Entlohnung sei. In diesem Zusammenhang gab es auch einen Vortrag eines Gewerkschafters, der den Schülern eintrichterte, auf kollektivvertragliche Regelungen zu pochen. Ein Praktikumsbegleitbrief wurde verteilt, den die Schüler bei ihren Vorstellungsgesprächen vorweisen sollten.

Unternehmer wollen nicht zahlen und sehen sich im Recht

Die Ferienzeit nahte, die Handelsschüler begaben sich auf Praktikumssuche. Doch bei manchen folgte das böse Erwachen, da nicht jeder Unternehmer bereit war, das Praktikum zu entlohnen, ja nicht einmal die Praktikanten bei der Sozialversicherung anzumelden, weil dies gesetzlich nicht vorgesehen sei.

Wer hat nun Recht? Die Schule beruft sich auf einen Durchführungserlass des Bundesministeriums für Bildung. Darin heißt es:

Das Pflichtpraktikum ist in der Regel in Form eines Arbeitsverhältnisses mit einer Entlohnung nach den kollektivvertraglichen Entgeltregelungen absolviert werden. Arbeitsrechtliche Bestimmungen, insbesondere das Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz 1987, BGBl. Nr. 599/1987, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 138/2013, und das Arbeitszeitgesetz, BGBl. Nr. 461/1969, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 71/2013 sind zu beachten. Für Schülerinnen und Schüler unter 18 Jahren gelten dazu besondere Bestimmungen, zB beträgt die tägliche, maximale Arbeitszeit acht Stunden. Weiters sind die jeweiligen kollektivvertraglichen Vorschriften zu beachten.

In einem weiteren Absatz heißt es:

Ist kein Arbeitsverhältnis gegeben (nur in Ausnahmefällen denkbar und von der Schulleitung genau zu prüfen), d.h. es erfolgt keine Entlohnung, sind die Schülerinnen und Schüler durch die Schülerunfallversicherung versichert.

Beide Passagen stehen inhaltlich im klaren Widerspruch zu sämtlichen Darstellungen, etwa vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der Wirtschaftskammer, bei help.gv.at und sogar von der Arbeiterkammer.

Nur Arbeit im Hotel- und Gastgewerbe muss bezahlt werden

Festgehalten wird, dass bei einem verpflichtenden Praktikum im Zuge der Schulausbildung ein reguläres Arbeitsentgelt nicht gebührt. Sonderregelungen gibt es nur im Hotel- und Gastgewerbe, wo auch das verpflichtende Praktikum ein Dienstverhältnis sei, das nach den kollektivvertraglichen Bestimmungen entlohnt werden müsse.

Ersuchen um Stellungnahmen blieben fast gänzlich unbeantwortet

Ein Unternehmer kann zwar bei einem verpflichtenden Praktikum einen Bewerber nach einem Arbeitsverhältnis anstellen, er muss es aber nicht. Unzensuriert ersuchte den Hauptverband der Sozialversicherungsträger, die Wirtschaftskammer und das Bildungsministerium Mitte Juni dieses Jahres um Stellungnahme.

Einzig die Wirtschaftskammer antwortete – übrigens noch am selben Tag – und hielt fest:

Es ist völlig richtig, dass ein Praktikum entweder in Form eines echten Arbeitsverhältnisses oder in Form eines „echten“ Praktikantenvertrages absolviert werden kann. Im ersten Fall besteht Arbeitspflicht und auch ein Entgeltanspruch des Arbeitnehmers, im zweiten Fall ist beides nicht gegeben, der echte Praktikant muss nicht arbeiten und ist an Anweisungen nur insoweit gebunden, als sie die Sicherheit betreffen. Entgeltanspruch besteht nicht, viele Unternehmen bezahlen ein Taschengeld.

Warum also das Bildungsministerium mit seinem Durchführungserlass etwas anderes behauptet und viele Schülern falsche Hoffnungen macht, bleibt weiterhin ungeklärt.

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