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Hafen von Gioia Tauro in Kalabrien – Schleuse für Schmuggelware und illegale Einwanderer

29. Juli 2017 / 12:42 Uhr

Olivenöl und Zitrusfrüchte, Kokain und illegale Einwanderung – Das Imperium des Mafiaclans* Piromalli von Gioia Tauro in Kalbrien

Ob Olivenöl und Zitrusfrüchte im Großhandel von Mailand oder in den USA, Orangen und Klementinen in Rumänien, Frankreich oder Dänemark, ob Biogas-Produktion in Ecuador, Kokaineinfuhr nach Italien oder Transport von illegalen Einwanderern nach Europa – die ´Ndrina Piromalli (´Ndrina steht in kalabrischer Mundart für Clan. Die Auslassung von Anfangsvokalen ist in süditalienischen Dialekten ein häufiges Phänomen) hat mit großer Wahrscheinlichkeit die Hände im Spiel.

In Gioia Tauro, einer 20.000-Einwohner-Stadt in Kalabrien, 30 Kilometer von der Straße nach Messina, also von Sizilien entfernt, „kann man ohne die Zustimmung des Clans nicht einmal eine Wohnung oder ein Auto kaufen“, so der Kronzeuge Antonio Russo im Frühjahr vor einem Geschworenengericht in Palmi. Die ´Ndrina Piromalli aus Gioia Tauro ist „das Alpha und Omega der organisierten Kriminalität Kalabriens“ (L’Espresso, der italienische Spiegel).

Die Piromallis – größte und mächtigste Familie der kalabrischen Mafia

Laut der italienischen Anti-Mafia-Einheit DIA sind die Piromalli die größte und mächtigste Familie der ´Ndrangheta, wie die kalabrische Mafia genannt wird. Ihr Aufstieg seit den 1950er Jahren hängt direkt mit dem Hafen von Gioia Taura zusammen, der schon damals zu dem von ihr kontrollierten Territorium gehörte. Im aktuellsten DIA-Bericht (2016) wird der Hafen von Gioia Taura als wichtigster Dreh- und Angelpunkt für den Ex- und Import der italienischen Mafia (vor allem für Drogen) genannt.

Die Mafia ist nicht unantastbar, verfügt aber über viele Kollaborateure und Gehaltsempfänger, darunter Giuseppe Tuccio, in den 1980er und 1990er Jahren leitender Staatsanwalt von Palmi und zuletzt Präsident des Oberlandesgerichts Catanzaro sowie beigefügter Ehrenpräsident des Obersten Gerichtshofes in Rom. „Die Piromalli hatten den Richter Tuccio, einen Freimaurer, in der Hand“, so der Kronzeuge Russo im Verfahren „Atlantide“.

Erst 2016 hatte Gerichtspräsident Giuseppe Tuccio mit dem 650-Seiten-Buch „La difficile Antimafia“ (Der schwierige Kampf gegen die Mafia jenseits der legitimen Repression) Vorschläge für „innovative, kulturelle Bildungsprozesse“ vorgelegt, um „Schule, Familie und Politik“ immer mehr in den Kampf gegen die Mafia einzubinden. Nun muss er sich im Verfahren „Gotha“ wegen seiner Mafia-Kontakte selbst vor Gericht verantworten.

Wer den Piromalli in die Quere kommt, lebt gefährlich

Wer den Piromalli in die Quere kommt, riskiert sein Leben. 1987 wurde der damalige Bürgermeister von Gioia Tauro, Vincenzo Gentile, vor seinem Haus erschossen. Der Verdacht fiel auf die Piromalli. Nachgewiesen werden konnte ihnen nichts.

Dabei hatte Gentile, der bereits von 1970-1981 Bürgermeister der Stadt war, als solcher 1979 vor Gericht erklärt, in „seiner“ Stadt gebe es keine Mafia und die Piromalli seien, soweit ihm bekannt, „anständige Leute“. Für diese offenkundige Lüge wurde Gentile aus der christdemokratischen Partei DC ausgeschlossen. 1985 kandidierte er mit einer Bürgerliste und wurde mit satter Mehrheit wieder zum Bürgermeister gewählt. Obwohl bei der Mafia wohlgelitten, kam es zum Streit, als die Stadtregierung sich weigerte, einige Rechnungen für die Müllentsorgung zu begleichen – ein Sektor, der sich nicht nur in Gioia Tauro fest in Mafiahand befindet. Nach einer mündlichen Verwarnung wurde Gentile wegen Uneinsichtigkeit „bestraft“.

Hafen von Gioia Tauro – Schutzgeld, Erpressung, Verstrickung in die Politik

In den 1990er Jahren wurde der Hafen von Gioia Tauro mit öffentlichen Geldern zu einem der größten Containerterminals des Mittelmeeres ausgebaut. Die Hafenverwaltung Contship Containerlines und die Containerverladegesellschaft Terminal Medcenter Container wurden von den Piromalli gezwungen, für jeden Container, der den Hafen passierte, eine Schutzgebühr zu bezahlen, die ihnen die Hälfte des Gewinns beider Gesellschaften sicherte. Der Hafen sollte der ganzen Region einen wirtschaftlichen Aufschwung bringen, der durch den Würgegriff der Mafia ausblieb und auch den Hafen seit der italienischen Wirtschaftskrise von 2008 stagnieren lässt.

2014 wollten Innenministerium und Staatsanwaltschaft durch die Polizeioperation „Porto liberato“ (Befreiter Hafen) mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Beschlagnahmungen den Einfluss der Piromalli zurückdrängen. Die Wirkung der Operation blieb jedoch bescheiden, wie die jüngste Operation „Provvidenza“ (Vorsehung) zeigte. Am 26. Januar 2017 wurden 33 Personen verhaftet, die der ´Ndrina der Piromalli angehören sollen. Im Februar folgten mit der Operation „Provvidenza II“ 12 weitere Festnahmen – alle im direkten Zusammenhang mit der Verwaltung des Hafens.

Bürgermeister wegen Unterwanderung durch die Mafia abgesetzt

Im vergangenen Frühjahr setzte das Innenministerium zum dritten Mal innerhalb eines Vierteljahrhunderts den demokratisch gewählten Bürgermeister von Gioia Tauro ab. 1991, 2008 und 2017 wurden Stadtregierung und Gemeinderat wegen „Unterwanderung durch die Mafia“ aufgelöst und die Stadt bis für sieben Jahre unter kommissarische Verwaltung gestellt. Seit 11. Mai regiert wieder ein Kommissar. Ein Staatsgesetz sieht solche Eingriffe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vor.

Hafen von Gioia Tauro – Andockstelle für illegale Einwanderer

In der Ebene von Gioia Tauro werden mehrere tausend illegale Einwanderer als Landarbeiter eingesetzt. Italienische Medien sprechen von „moderner Sklavenhaltung“. Die Arbeiter werden über Genossenschaften, die der Clan kontrolliert, eingesetzt. Auf diese Weise, so die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsakt zur Operation „Provvidenza, habe die ´Ndrangheta Millionen Euro an öffentlichen Fördergeldern vom italienischen Staat und der Europäischen Union kassiert (zur Förderung der Landwirtschaft, zur Förderung strukturschwacher Gebiete und zur Integration von Flüchtlingen und Migranten).

Die Struktur des Mafiaclans

Der Clan der Piromalli wird derzeit von drei Ehepaaren der Familie geleitet. Die Frauen nehmen dabei gleichberechtigte Führungspositionen ein und das nicht nur, wenn sich ihre Männer im Gefängnis befinden. Die ´Ndrangheta rühmt sich zweier Dinge. Erstens: Nach dem Vorbild der sizilianischen Mafia hat sie den „traditionellen“ Weg, den Staat zu bekämpfen, aufgegeben und durch den „fortschrittlichen“ Weg einer Durchdringung der staatlichen Institutionen ersetzt. Zweitens: nach dem Krieg bestand die erste Generation der ´Ndrangheta-Bosse aus Analphabeten. Auch die Kinder waren es noch vielfach. Im Gegensatz zu Mafia und Camorra schickten sie die dritte Generation an die Universitäten. Bei den Piromalli verfügen die jungen Familienmitglieder über Universitätsabschlüsse in Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, erworben in Italien, den USA oder der Schweiz.

Auch Österreich und die BRD im Einflussbereich der kalabrischen Mafia

Zur Einflusszone der ´Ndrina Pesce und ´Ndrina Ballocco, Verbündete der ´Ndrina Piromalli, gehören auch Österreich und die Bundesrepublik Deutschland. Die ´Ndrangheta besteht aus einem System von Bündnissen zwischen ´Ndrinas und genau abgesteckten „Geschäftsbereichen“ und Territorien. Das gilt auch für das Ausland.

* Anmerkung zum Titel: Mafia bezeichnet eigentlich nur die organisierte Kriminalität Siziliens (und natürlich der Sizilianer im Ausland). Der synonyme Gebrauch generell für einen Typus der organisierten Kriminalität, wie er auch im deutschen Sprachraum üblich ist, gilt unter den „Mafiosi“ nicht. Kein Angehöriger der ´Ndrangheta (Kalabrien), der Camorra (Kampanien) der Sacra Corona Unita (Apulien) fühlt sich beim Stichwort Mafia angesprochen.

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