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5. November 2010 / 10:35 Uhr

Serbien und Kroatien auf dem Weg der Versöhnung

87 Tage dauerte die Belagerung von Vukovar in Ostslawonien durch die Jugoslawische Volksarmee und serbische Milizen. Als die an der Donau gelegene Stadt am 18. November 1991 schließlich fiel, glich Vukovar einem Trümmerfeld (Bild unten). Die bei Vukovar gelegene landwirtschaftliche Genossenschaft in Ovcara wurde noch im selben Jahr zum Schauplatz des ersten Kriegsverbrechens, dem im ehemaligen Jugoslawien unter den Augen des Westens noch viele folgen sollten. In einer Lagerhalle quälten serbische Milizen etwa 260 Gefangene, und in einem wurden etwa 200 von ihnen erschossen. Vukovar ist die „Heldenstadt“ Kroatiens, Symbol für das Unabhängigkeitsstreben und den schließlich erfolgreichen Widerstand gegen einen zunächst weit überlegenen Gegner.

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Von ebenso großer symbolischer Bedeutung war daher der erste Besuch der Stadt durch einen serbischen Präsidenten Boris Tadic. Empfangen wurde Tadic vom kroatischen Präsidenten Ivo Josipovic, der – weniger als ein Jahr im Amt – bereits selbst in Bosnien, aber auch durch den Besuch von Bleiburg in Unterkärnten viele Zeichen der Aussöhnung gesetzt hat. Diesen Weg ging auch Tadic, der gemeinsam mit Josipovic auf dem Feld in Ovcara (Bild rechts) einen Kranz niederlegte und sich für die Verbrechen entschuldigteGedenkstätte in Ovcara, die dort 1991 in serbischem Namen begangen wurden. Zusammengetroffen sind die beiden Präsidenten in Vukovar aber auch mit Angehörigen vermisster Kroaten und Vertretern der serbischen Volksgruppe. Ein Zeichen der Aussöhnung setzte aber auch Josipovic, und zwar in dem Dorf Paulin Dvor bei Osijek, dem alten Esseg der Monarchie. In Paulin Dvor ermordeten kroatische Milizen ebenfalls im Jahre 1991 18 serbische Zivilisten und einen Ungarn, der den Serben helfen wollte.

Beide Gesten, Vukovar und Paulin Dvor, sind in den Ländern der beiden Präsidenten nicht unumstritten. In Serbien ist die Massenflucht von etwa 200.000 Serben aus Kroatien noch immer in frischer Erinnerung; und in Kroatien gibt es Widerstand gegen die Gleichsetzung der Opfer des Aggressors mit den eignen Opfern, wobei natürlich die Dimensionen im Falle von Vukovar und Paulin Dvor völlig unterschiedlich sind. Trotzdem war das politische Risiko, das die beiden Präsidenten eingingen durchaus beherrschbar. In Serbien dominiert Boris Tadic die politische Szene, nicht zuletzt auch als Präsident der stärksten Regierungspartei; die Ultranationalisten sind politisch marginalisiert; Kosovo und Bosnien sind ihnen wichtiger und einen ernsthaften Widerstand gegen eine Aussöhnung mit Kroatien gibt es nicht. Ivo Josipovic wiederum ist bei weitem der populärste Politiker in Kroatien. Auch daher konnte er ein Zeichen setzen, zumal er damit Tadic den Gang nach Vukovar eindeutig erleichtert, vielleicht sogar erst ermöglicht hat.

Den versöhnenden Worten müssen nun auch Taten folgen

Boris TadicHinzu kommt, dass beide Präsidenten miteinander können. Tadic (Bild links) und Josipovic sind beide Sozialdemokraten und haben einander binnen neun Monaten bereits vier Mal getroffen, Treffen bei internationalen Konferenzen nicht eingerechnet. Das nächste Treffen soll nun Ende November mit dem Besuch von Boris Tadic in Agram stattfinden. Dabei wird sich zeigen, ob der Politik des guten Willens auch konkrete Taten folgen können. Denn während Tadic Serbien de facto durch ein präsidiales System regiert, hat Josipovic nur beschränkte, vor allem protokollarische Funktionen, und die wahre Macht liegt bei der konservativen Ministerpräsidentin Jadranka Kosor.

Die Liste der zu bewältigenden Themen ist jedenfalls lang. Dazu zählen Fragen des Eigentums von Serben in Kroatien, die Lage der kroatischen Minderheit in Serbien, die Suche nach Vermissten, Flüchtlingsrückkehr, die Grenzziehung an der Donau und Eigentumsfragen von Firmen beider Länder im jeweils anderen Land. Die größte Belastung für die Beziehungen bilden jedoch Klage (Kroatien) und Gegenklage (Serbien) vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Während Tadic klar für eine außergerichtliche Lösung und für das Zurückziehen der Klagen ist, besteht dagegen beträchtlicher Widerstand in Kroatien, und Josipovic kann diese Frage auch nicht entscheiden, weil dafür die Regierung zuständig ist.

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Völlig in den Hintergrund getreten ist jedenfalls die Anerkennung des Kosovo durch Kroatien, die das bilaterale Verhältnis zu Serbien noch vor einem Jahr spürbar belastet hat. Doch Serbiens politische Führung beginnt langsam aber sicher die politische Realität zu akzeptieren, und der klare Wille zu einer neuen Ära der Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien ist ebenfalls vorhanden. Das kann sich auch positiv auf die politische Entwicklung in Bosnien und Herzegowina auswirken, denn beide Staaten haben ein großes Interesse an der Lage in diesem Land. Kroatien und Serbien sind sich bewusst, dass Aussöhnung und regionale Zusammenarbeit auf dem Weg Richtung EU von zentraler Bedeutung sind, so unterschiedlich weit entfernt beide Staaten von der angestrebten EU-Mitgliedschaft auch sind. Bleibt als Fazit die positive Erkenntnis, dass mit dem Tadic-Besuch in Vukovar der Balkan einen weiteren Schritt Richtung Stabilität und Normalität gesetzt hat.

Fotos: Seiya123, Damir Colja, United States Federal Government (alle Wikimedia)

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