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17. November 2010 / 20:24 Uhr

Türkei-Botschafter schlägt drei Fliegen mit einer Klappe

Auch Türken wollen jetzt Minarette bauen

Die Provokation des türkischen Botschafters Kadri Ecved Tezcan wird wohl mit Ankara abgesprochen gewesen sein, vermuten österreichische Medien. Wer die Grundzüge türkischer Geschichte und der derzeitigen türkischen Innenpolitik kennt, sieht das zwangsläufig anders.

Kemal Atatürk schuf 1923 mit der neuen Türkei ein weltweites Unikum: eine Militärrepublik – eine Mischung aus parlamentarischer Demokratie, wie wir sie kennen, und Militärdiktatur, wie sie bis vor einigen Jahrzehnten in Südamerika Hochkonjunktur hatte. Es gab freie Wahlen, aber wenn das Militär den „Kemalismus“ bedroht sah, dann zwang sie nicht genehme Spitzenpolitiker zum Rücktritt oder ließ sie notfalls vom Gericht aus dem Verkehr ziehen.

Dreimal kam es sogar zu einem klassischen Militärputsch (1960, 1971, 1980). Die zwei Hauptsäulen des Kemalismus sind ein überbordender türkischer (Staats-)Nationalismus und ein nicht minder starker Laizismus, die kompromisslose Fernhaltung der Religion, in diesem Fall des Islams, aus dem politischen Leben.

Wende von Kemalismus zu Islamismus

2002 kam es zum Wendepunkt: Bei den Parlamentswahlen scheiterten einige arrivierte Parteien knapp an der ungewöhnlich hohen 10-%-Klausel (die eigentlich einer Kurdenpartei vorbeugen hätte sollen). Die islamistische AKP unter Recep Tayyip Erdogan und Abdullah Gül war die größere der beiden in der „Großen Nationalversammlung“ verbliebenen Fraktionen und bekam so mit ihrem Stimmenanteil von 34,4 % fast zwei Drittel der Parlamentssitze. Nun setzte der Druck der Islamisten auf die Kemalisten ein, der sich bei der Wahl 2007 (AKP 46,6 %) noch verstärkte. In einem zähen Ringen wird die alte Elite Schritt für Schritt zurückgedrängt. Das Staatspräsidentenamt wurde bereits übernommen, das Verfassungsgericht mit eigenen Leuten durchmischt und die Vorherrschaft des Militärs im allmächtigen Nationalen Sicherheitsrat beschnitten.

Der außenpolitische Hauptstreitpunkt ist der EU-Beitritt. Während sich die Kemalisten mit Händen und Füßen gegen ihn wehren, bedeutet er für die Islamisten einen Wunschtraum: Man würde nicht nur die Kemalisten auf dem Weg zum Gottesstaat endlich ganz beseitigen, sondern auch als bevölkerungsreichstes und damit stimmenstärkstes EU-Mitglied die Islamisierung Europas beschleunigen können.

ATIB mit plötzlichem Sinneswandel

Auch Türken wollen jetzt Minarette bauenDer Machtwechsel ließ sich auch in Österreich gut beobachten, und zwar anhand von ATIB: Dieser Verein, der direkt der türkischen Religionsbehörde in Ankara untersteht, beabsichtigte mit Moscheebauten in Österreich, den aufkommenden Islamisten und ihren Spendensammlern im wohlhabenden Westen das Wasser abzugraben. Das Motto: „Kommt in die Moscheen von Papa Staat, wir geben euch Heimat – und vergesst die Fundis!“ Von Minaretten war naturgemäß keine Rede und erregte eine bauliche Vergrößerung den Unmut der österreichischen Anrainer, wurde zurückgesteckt (wie in der Dammstraße in Wien-Brigittenau in den 1990ern). Seit die Islamisten das Religionsamt und damit ATIB in der Hand haben, beginnen die Minarette zu sprießen (Telfs, Bad Vöslau) und in der Dammstraße wird auf Teufel komm raus dazugebaut.

Etappenweise ersetzt Erdogan natürlich auch seine Botschafter im Ausland. Und damit kommen wir zum Kern der Sache – welchen Nutzen Tezcan seine in der Diplomatie völlig verpönten Ausritte gegen das Gastland bringen:

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1.) Tezcan hat sich ganz simpel seinen Frust von der Seele gepoltert. Da kommt man als Vertreter der großartigsten Nation der Welt nach Österreich und dann wird man ein ganzes Jahr lang kein einziges Mal irgendwo pompös und exklusiv eingeladen. Und man muss auch noch mitansehen, wie die türkische Community in Österreich als zweitklassig angesehen wird, obwohl der Anteil der Sozialfälle unter 100 % liegt. Will man österreichische Minister zurechtweisen, widersprechen sie! Diesen Ärger kann man nicht immer nur in sich hineinfressen – das musste einmal raus, pfeif drauf!

Tezcan will seinen Diplomaten-Job retten

2.) Tezcan hat sich im „Presse“-Interview vorige Woche so für das islamische Kopftuch ins Zeug geworfen, dass seinem ausgewiesen fundamentalistischen Außenminister Ahmet Davutoglu ohne die entstandenen Kalamitäten das Herz im Leibe lachen würde. Aber der Eindruck täuscht: Der 61-Jährige Tezcan ist bereits seit 37 Jahren im diplomatischen Dienst tätig. Das heißt, man hat es hier mit einem Kemalisten der alten Schule zu tun. Selbst wenn er ein Opportunist wäre, stünde er auf der Abschussliste Ankaras, denn auch Wendehälse sind weniger zuverlässig als die zahlreichen, nach solch einem guten Job gierenden Gesinnungsfreunde. Durch diese Aktion erlangte Tezcan nicht nur bei den Türken hier, sondern auch bei den Tageszeitungen in der Heimat augenblicklich einen Heldenstatus. Somit ist er vorläufig unangreifbar. Das auch mit einer gehörigen Portion Trotzvermögen durchsetzte türkische Ehrempfinden lässt die in Österreich erwartete rasche Abrufung des Botschafters als unwahrscheinlich erscheinen. Die Deklarierung er Aussagen als „Privatmeinung“ seiner Exzellenz war das Maximum für den sich im ilemma befindenden Außenminister. Man kann davon ausgehen, dass Österreich auch nicht die letzte Station Tezcans gewesen sein wird. Den neuen Volkshelden zwangszupensionieren wird die Regierung nicht riskieren.

3.) Tezcan hat mit dem Eklat seine alten kemalistischen Freunde unterstützt. Denn mit solchen Aktionen rückt der EU-Beitritt wieder ein Stückchen weiter weg. Der Diplomat Tezcan verfolgt eine ähnliche Strategie wie die Militärs: In Brüssel, Berlin, Wien etc. anecken und damit den neuen Machthabern Probleme bereiten! Die Kemalisten spielen im internationalen Theater die Rolle des kleinen, kaum zu bändigenden Buben, der nichts so sehr hasst wie Spinat. Die Drohungen seiner Eltern, wenn er nicht endlich brav ist, ihm den Spinat zu streichen, könnten keine größere Motivation darstellen, ungehorsam zu sein. Tezcans Tiraden aus heiterem Himmel dürfen als Episode im seit einigen Jahren andauernden EU-Spiel in der Türkei gesehen werden: Ich, Kemalist, mache vor den Augen Europas etwas kaputt, was du, Islamist, ausbaden darfst, um doch noch dein Ziel zu erreichen, das ich nicht im geringsten mit dir teile.

Foto: Daniel Weber / flickr, svenwerk / flickr (Startseite)

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