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Der Grabmals-Schrein des Bab ist ein Heiligtum der Bahai und befindet sich in Haifa in Israel.

8. November 2018 / 14:00 Uhr

Religionen der Welt, Teil 3: Das Bahaitum im Iran

“Religion, die zu Zwietracht führt, verfehlt ihren Zweck, und es sei besser, ohne sie zu leben.” Das ist kein Satz, den man von religiösen Führern des Nahen Ostens erwartet. Er stammt aber von Abdulbaha’, einer bedeutenden Persönlichkeit der Bahai.

Geschichte

Das Bahaitum wurde im Gebiet des heutigen Iran in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet und ist im Vergleich zu anderen dortigen Religionen humanistisch, vernunft- und wissenschaftsbezogen. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen ist die Religion in ihrer Heimat eine exotische Minderheit. Ihr Stifter Baha’ullah wurde mit seinen Anhängern zum Tode verurteilt. Während viele seiner Anhänger hingerichtet wurden, entkam der Stifter aufgrund seiner Beliebtheit und der Fürsprache westlicher einflussreicher Personen.

Der Gründervater

Baha’-ul-lah (Glanz des Gottes) wurde am 12. November 1817 in Teheran geboren. Nach einem schon in seiner Jugend ereignisreichen Leben war er bereits 1844 eine Berühmtheit. Etwa in dieser Zeit wurde der abrahamitische, monotheistische Babismus gegründet, dem Baha’ullah beitrat. Baha’ullah war allgemein an Religion interessiert und dürfte alle im Nahen Osten verfügbaren Religionen erforscht haben.

Baha’ullah war nicht allzu sesshaft und musste oder wollte seinen Aufenthaltsort mehrfach wechseln. Neben selbstgewählter Einsiedelei waren politische Verfolgung und eine Vergiftung Gründe für Flucht oder Weiterreise.

Der Vordenker hinterließ zwar eine große Anzahl von Schriften, aber zunächst weder geordnetes Regelwerk noch eine geordnete Anhängerschaft. Aufgrund seiner Reisetätigkeiten und Einsiedelei verstreuten sich lokale Gruppen. Innerhalb der von den Bahai noch nicht klar getrennten Babisten gab es unterschiedliche Ansichten ob Baha’ullah wirklich “Jener, den Gott offenbaren wird” ist. Seine Reise endete in Akkon, heute Haifa, am 29. Mai 1892. Dort befindet sich der von ihm gegründete Schrein des Bab, eines der wichtigsten Pilgerziele der Bahai. Er hinterließ auch einige aufbauende und inspirierende Schriften wie Kitab-i-Aqdas (Das heiligste Buch), Das Buch der Gewissheit, Die Sieben Täler und Die Verborgenen Worte.

Nachfolgeregelung

Abd-ul-Baha’ (Dienst des Glanzes) war einer Baha’ullahs Söhne. Er standardisierte die Lehre und organisierte seine Anhängerschaft. 1912 verkündete Abdul Baha’ seine zwölf ethischen Grundsätze im Exil in Paris, unter anderem:

Die ganze Menschheit ist als Einheit zu betrachten. Einheit und Vielfalt stellen für die Bahai dabei keinen Widerspruch dar.

Alle Menschen müssen die Wahrheit selbständig erforschen.

Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen. Religion ohne Wissenschaft führt zu Aberglauben, Wissenschaft ohne Religion zu Materialismus.

Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein. Religion, die zu Zwietracht oder gar Gewalt führt, gilt als Missbrauch der Religion.

Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden. Menschen werden nicht in Gläubige oder Ungläubige unterteilt.

Die soziale Frage muss gelöst werden.

Es muss eine Welthilfssprache und eine Einheitsschrift eingeführt werden.

Neben den zwölf Grundsätzen lehnen die Bahai Extremismus wie harte Askese und Hedonismus ab. Sie sehen sich als streng monotheistische Religion, wobei aber Gott schwer zu beschreiben oder zu begreifen ist. Dennoch besteht die Möglichkeit, Gott im Diesseits oder Jenseits näher zu sein oder ferner. Die Nähe zu Gott wird als Himmel angesehen, die innere Hölle entsteht durch die Ferne von Gott.

Philosophie des Bahaitums

Das Bahaitum hat ein religiöses und philosophisches Selbstverständnis. Die Menschheit muss gemeinsam danach streben, denn Sinn ihrer Existenz zu begreifen, ohne sich dabei auf vorgefestigte Meinungen zu verlassen. Vorläufige Erkenntnisse dürfen nicht vorschnell als endgültig betrachtet werden.

Auf der Suche nach Gott und dem Sinn unserer Existenz darf niemand links liegen gelassen werden. Wissenschaft und Religion dienen der Erforschung des Göttlichen, der Ursache aller Ursachen und dem Sinn unseres Daseins. Andere Religionen werden nicht als Widerspruch zur eigenen gesehen. Sie sind ein Zwischenschritt auf der großen Reise der Menschheit in ihrer Suche nach dem Sinn, dem Warum und Wozu.

Heutige Situation

Es gibt etwa acht Millionen Mitglieder. Während in Persien bereits um 1850 die Bahai in einem Religiozid dezimiert wurden, werden sie seit 1990 nicht mehr jeden Freitag geköpft, sondern nur noch vom iranischen Geheimdienst überwacht. Gleichberechtigte Iraner sind sie nicht, sondern mehr oder weniger geduldete Ketzer. Daher finden sich die meisten Bahai im Exil in Indien, Afrika südlich der Sahara, Nord- und Südamerika. Die Religion ist immerhin von den Vereinten Nationen anerkannt und hat beratenden Status in einigen ihrer Gremien.

Kritik

Ehemalige Anhänger verließen die Religion aus unterschiedlichsten Gründen. Die einen oder anderen fanden mehr Gefallen an anderen Religionen oder wurden Atheisten. Andere wiederum kritisieren den Widerspruch zwischen der theoretischen Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und deren Umsetzung. Weitere Kritikpunkte sind mangelnde Vorbildwirkung des Gründers, insbesondere Vielweiberei, Zersplitterung und Organisationsversagen.  Im Vergleich zu anderen Sekten wird dem organsierten Bahaitum von ehemaligen Mitgliedern weder systematische Gehirnwäsche, noch wirtschaftlicher, psychologischer oder körperlicher Terror gegenüber Mitgliedern oder Apostaten vorgeworfen.

Zu welchen Religionen wollen wir tolerant sein?

Religion muss also nicht notwendigerweise wissenschaftsfeindlich, engstirnig, unmenschlich, grausam, dogmatisch oder feindselig zu Andersgläubigen sein. Wie bereits dargelegt, sieht das Bahaitum Andersgläubige schlimmstenfalls als in ihrer Suche Stehengebliebene an.

Wir in Europa heißen aber massenhaft Anhänger einer exklusiven Religion willkommen, die nicht anderen zugestehen, dass sie sich auf der Suche nach der Wahrheit befinden, sondern geringste und gröbere Abweichungen von einer buchstabengetreuen Deutung ihrer Lehre mit äußerster Gewalt ohne jegliche Scheu vor Kollateralschäden bekämpfen.

Worthülsen allein sind zu wenig

Zu diesbezüglichen Religioziden schweigt das Establishment wie eine Kanzlerin auf einer Gedenkstätte. Wenn uns nichts Besseres einfällt als “Je suis Charlie”, “Gegen Hass”, vorgefertigte Textbausteine, wehrloses Gedenken und Toleranzgeschwafel, dann wird es zumindest in Europa in 100 Jahren so viel Toleranz geben wie für die Bahai im Iran.

Wo auf der Welt werden in 100 Jahren Religion, Philosophie und Wissenschaft einander darin bestärken, sich zum Wohle der Menschheit weiterzuentwickeln?

Wen kann die Unfähigkeit der Schafe, Hass zu empfinden, schützen?

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