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Die gescheiterte Schauspielerin Adele Spitzeder betrog 30.000 Menschen um ihr sauer Erspartes – bis heute hat sie viele Nachahmer.

20. Dezember 2018 / 02:56 Uhr

Buchrezension: Adele Spitzeder – die Mutter aller Finanz-Großbetrüger in München 1872

Wer glaubt, der 2009 verurteilte Anlage-Großbetrüger Bernard L. Madoff in den USA sei der erste seiner Art gewesen, irrt gewaltig. Vor ihm gab es schon eine ganze Reihe windiger Finanzjongleure, die -zigtausende Gutgläubige um ihr sauer erspartes Vermögen brachten. Die erste, die mit einer Art Pyramidensystem traurige Berühmtheit erlangte, war die Münchnerin Adele Spitzeder, die Anfang der 1870er-Jahre rund 30.000 – durchwegs eher arme – Handwerker und Bauern um ihr sauer Erspartes brachte.

Gescheiterte Schauspielerin sucht Alternative

Die Tochter einer Schauspielerin versuchte sich zuvor einige Jahre im gleichen Metier an diversen Bühnen zwischen München, Berlin und Wien und feierte dort bescheidene Erfolge. Einerseits kam sie nicht annähernd an die Erfolge der Mutter heran, andererseits häufte sie – trotz regelmäßiger Einkünfte und Zuwendungen ihrer Mutter – durch ihren eher barocken Lebensstil, mit dem die nicht besonders hübsche Frau vor allem ihre lesbischen Geliebten beeindrucken und bei der Stange halten wollte, mit der Zeit enorme Schulden an.

Mit dem letzten vornehmen Kostüm auf Kundenfang

Als die Engagements ausblieben und sie hochverschuldet wieder in München strandete, verfiel sie bei einem Spaziergang durch die armen Handwerkersiedlungen in der Münchener Au auf die Idee, diesen Leuten zu “helfen”. In ihrem letzten vornehm anmutenden Kostüm auftretend, sprach sie als vorgeblich wohlhabende Dame scheinbar zufällig eine der dort lebenden Zimmermanns-Familien an und schlug ihr einen verlockendes Angebot vor: Wenn man ihr für drei Monate 100 Gulden leihen würde, bekämen die Anleger zehn Prozent Zinsen. Bei Bedarf könne sie die Zinsen sogar im Vorhinein bezahlen. Und der Kredit sei zudem jederzeit kündbar.

Zehn Prozent Zinsen – da würde auch heute kaum einer Nein sagen

Wenn man bedenkt, wie oft scheinbar aufgeklärte Menschen bis heute auf “Neffen-Tricks”, “Schwarzscheine-Waschen”, angebliche Erbschaften, für die nur noch “Nebengebühren” fällig sind oder sonstige Betrügereien mit angeblich fulminanter Geldvermehrung hereinfallen, kann man sich vorstellen, wie solche Versprechungen damals bei den einfachen Leuten einschlugen.

Die Zimmerleute investieren sofort 100 Gulden, bekamen auch gleich ihre Zinsen für drei Monate, die Spitzeder natürlich aus den 100 Gulden vorfinanzierte, und freuten sich über den unerwarteten Geldsegen.Sie wussten nicht, dass Spitzeder die nach der Zinsauszahlung verbliebenen Gelder zu dringend nötigen Bezahlung ihrer Mietschulden beim Wirt verwendete.

“Geheime” Geldvermehrung macht die Runde

Die geschickte Strategin Spitzeder trug ihnen auf, nur ja nichts davon herumzuerzählen. Und wie das so ist mit gewinnbringenden Geheimnissen, passierte genau das Gegenteil. So prahlten auch die Zimmerleute mit ihrer neuen Zusatzeinkunft, und schon bald standen die mehr oder weniger armen Handwerken der Münchener Au und später auch andere “Investoren” in immer größerer Zahl vor Spitzeders Zimmer in einem Gasthof, das sie mit sechs Hunden und ihrer Geliebten bewohnte.

Vom Wirt hinausgeschmissen, gründete sie die “Dachauer Bank”

Der “Anleger”-Trubel von früh bis spät vor ihrem Zimmer war so schlimm, dass sie der Wirt irgendwann hinausschmiss und Adele schließlich die “Dachauer Bank” gründete und ein nobles eigenes Gebäude bezog. Flüssiges Geld hatte sie ja nun in großen Mengen. Unten war die Kredit-Annahmestelle mit immer mehr Bediensteten, oben logierte die zunehmend auch wohltätig agierende Spitzeder. In der Stadt wurde man auf sie aufmerksam, und sie geriet zunehmend in den Kreis der Prominenten.

Medien kauft man einfach – bis auf eines

Auch mit den Medien hatte es sich Adele durch großzügige Inserate und letztlich durch den Kauf der wichtigsten Verlage gut gestellt. Alle berichteten auffallend positiv über sie und ihr Unternehmen. Das System lief rund und warf immer mehr Geld ab. Nur ein Zeitungs-Redakteur der Münchner neuesten Nachrichten hinterfragte das allzu erfolgreich laufende System der “Dachauer Bank” und veröffentlichte regelmäßig kritische Beiträge.

Die Finanzpolizei tritt auf den Plan

Dies ging letztlich soweit, dass die Finanzpolizei aufmerksam wurde und die “Dachauer Bank” – nach einer Reihe erfolgreicher Interventionen von Spitzeder und ihren Freunden – doch irgendwann genauer unter die Lupe nahm. Eine Zeit lang gelang es Adele, die Fassade aufrecht zu erhalten, doch bei einer Hausdurchsuchung, zu der auch zahllose “Kreditvergeber” kamen traten letztlich unglaubliche Zustände zutage.

Keine Buchhaltung, keine Belege, Geld in Säcken

So hatte es bei den Geldgeschäften weder irgendeine seriöse Form der Buchhaltung gegeben, noch war das Geld gewinnbringend angelegt worden. Im Schlafzimmer der Spitzeder fand man säckeweise Geld ohne irgendwelche Belege. Zu allem Überfluss hatten sich Mitarbeiter der “Bank” mangels Kontrollsystem schamlos bedient und große Vermögen veruntreut.

Das Ende im Gefängnis und im Kloster

Spitzeder kam in einem Aufsehen erregenden Prozess vor Gericht, wurde verurteilt und kam ins Gefängnis. Sie starb arm und mittellos in einem Kloster. “Investoren” der ersten Zeit hatten Glück, sie erhielten hohe Zinsen und letztlich ihr Darlehen zurück, sofern sie nicht gierig wurden, und es weiter investierten. Alle, die später Kleinkredite an Spitzeder vergaben, gingen leer aus, was viele arme Familien um ihre Existenz brachten.

Ein spannendes Buch mit vielen Details aus dem deutschen Leben gegen Ende des 19. Jahrhunderts und ein Lehrbeispiel über Gutgläubigkeit, Gier und Neid der Menschen.

Julian Nebel. “Adele Spitzeder – Der größte Bankbetrug aller Zeiten”. FBV-Verlag. Das Buch ist bei der Buchhandlung Stöhr um 17.99 Euro zu bestellen.

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