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Der österreichische Steuerzahler zahlt viel Geld für die Mindestsicherung, die keine soziale Hängematte sein sollte.

16. Jänner 2019 / 10:01 Uhr

Wenn die Mindestsicherung als soziale Hängematte missbraucht wird

Der Vorwurf von Bundeskanzler Sebastian Kurz, wonach es in Wien zu viele Familien gebe, wo niemand einer geregelten Arbeit nachgeht und nur die Kinder in der Früh aufstehen, um teilweise ohne Frühstück in die Schule zu gehen, schlägt noch immer hohe Wellen. Ein Faktencheck zeigt freilich auf, dass es in Bezug auf die Inanspruchnahme der Mindestsicherung tatsächlich eine auffällige Schieflage gibt. Nicht einmal jeder Fünfte, der in Österreich lebt, hat seinen Wohnsitz in Wien. Gleichzeitig leben aber 57 Prozent der Mindestgeldbezieher, nämlich 175.516 von 307.853 in der Bundeshauptstadt. Mehr noch, jeder zweite Mindestgeldbezieher in Wien ist ein Ausländer.

Rechenbeispiel mit Folgen

Das Rechenbeispiel, dass von Kurz in der ORF-Pressestunde genannt wurde, wird übrigens schon seit längerem immer wieder zitiert, hat bislang kaum Aufmerksamkeit gefunden, ist aber bittere Realität. Ein Arbeitnehmer mit Pflichtschulabschluss, drei Kindern und einem durchschnittlichen Einkommen erhält inklusive aller Leistungen derzeit 2.500 Euro netto im Monat. Auf der anderen Seite bekommt eine Zuwanderfamilie mit drei Kindern, in der niemand arbeitet, in Wien 2.660 Euro Mindestsicherung. Angesichts dieser Faktenlage darf es einen fast nicht wundern, dass viele das Verweilen in einer sozialen Hängematte gegenüber dem Stress an einem Arbeitsplatz bevorzugen.

Problematische Alltagspraxis

Wer sich im Umland von Wien umhört, wird auch immer wieder damit konfrontiert, dass viele Asylanten, die hier angesiedelt wurden und einen Wohnsitz erhalten haben, auf die Erledigung ihrer Asylansuchen warten, sehr rasch sich um einen Wohnsitz in Wien bemühen. Und offenbar auch erhalten, weil solche Adressen-Vermittlungen in einschlägigen Kreisen gegen eine entsprechende Zahlungsleistung angeboten werden. Was man sich schon alleine deshalb leisten kann, weil es hier mehr Geld und kaum Auflagen gibt. Auch Lehrkräfte, vor allem in den unteren Schulklassen, wissen ein Lied davon zu singen, dass insbesondere Eltern von Migrantenkindern keiner geregelten Arbeit nachgehen. Was auch nicht motivierend für den Nachwuchs ist.

Bundesländer-Wildwuchs

Was beim Wohlstand der Gesellschaft wie man sie in der Mitte Europas antrifft übersehen wird, ist die Tatsache, dass dieser mühsam über Jahrzehnte erarbeitet wurde und darauf beruht, dass die Menschen Leistungen erbracht haben. Leistungen, die auch dazu dienen, dass jenen, die aus welchen Gründen auch immer, benachteiligt bei der Ausübung ihres Lebens sind, geholfen werden kann. Es darf daher erst gar nicht attraktiv sein oder gar attraktiv gemacht werden, nicht arbeiten zu gehen. Denn der Sozialstaat funktioniert nur, wenn viele Menschen arbeiten gehen und so das soziale System erhalten. Das, was sich derzeit am Beispiel der Mindestsicherung zeigt, widerspricht dem Grundkonsens unserer Gesellschaftsordnung. Wie sehr eine einheitliche Bundesregelung notwendig ist, zeigt die derzeitige unterschiedliche Handhabung durch die Bundesländer. Dabei zeigt sich auch der politische Hintergrund. Dort wo Rot beziehungsweise Grün das Sagen habe oder mitregieren, herrscht ein Eldorado für alle jene, die es sich im Leben möglichst einfach machen und auf Kosten der Gesellschaft leben wollen.

Wien

Anders als andere Bundesländer verzichtet die Bundeshauptstadt auf generelle Kürzungen oder Deckelungen bei der Mindestsicherung. Stattdessen gibt es teils strengere Voraussetzungen, um Menschen schneller in Arbeit zu bringen. So ist etwa die Bereitschaft, eine Beschäftigung oder ein Kursangebot anzunehmen, nun ein Kriterium. Eine Wartefrist für Zuzügler gibt es nicht.

Niederösterreich

Eine ursprünglich eingerichtete Wartefrist und eine Deckelung von 1.500 Euro pro Haushalts- bzw. Wohngemeinschaft wurden vom Verfassungsgerichtshof im März 2018 aufgrund von Beschwerden aufgehoben. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sieht sich daher als Anlassgeberin für die von der Bundesregierung forcierte Neu- und einheitliche Bundesregelung. Denn es “müsse bei der Mindestsicherung einen Unterschied zwischen dem Erwerbseinkommen und dem Einkommen aus Sozialleistungen” geben. Außerdem ist eine deutliche Umstellung auf mehr Sachleistungen erforderlich. Zudem müssen Mindestsicherungsbezieher für den vollen Anspruch bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllen, wie abgeschlossene Wertekurse, eine unterschriebene Integrationsvereinbarung und Deutschkenntnisse.

Burgenland

Das Mindestsicherungsgesetz sieht eine Mindestsicherung von 845 Euro für Einzelpersonen sowie eine Deckelung bei 1.500 Euro für Haushalte vor. Es gibt eine fünfjährige Wartefrist für Nicht-Österreicher, die bis dahin nur 584 Euro erhalten. Diese setzen sich aus einem Ausgangsatz von 319,20 Euro, einen Integrationsbonus von 136,80 Euro und 128 Euro zur Deckung des Wohnbedarfs zusammen. Voraussetzung für den Integrationsbonus ist die Unterfertigung einer Integrationsvereinbarung. Die Mindestsicherung kann im Burgenland ohne Ermahnung um bis zu 50 Prozent gekürzt werden, etwa wenn Auflagen des AMS nicht erfüllt werden.

Oberösterreich

Bereits 2016 wurde in Oberösterreich die Mindestsicherung für befristet Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte gekürzt. Ein Jahr später wurde sie zudem auf 1.512 Euro pro Haushalt gedeckelt. Während der Satz für Alleinstehende und Alleinerzieher normalerweise 921 Euro beträgt, erhalten befristet Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte nur mehr 365 Euro plus einen an Auflagen gebundenen Integrationsbonus von 155 – also in Summe 520 – Euro. Der Bonus wird zunächst ohne Bedingungen ausbezahlt. Um ihn in voller Höhe zu behalten, muss man eine Integrationsvereinbarung unterzeichnen, einen Deutschkurs sowie eine Werteschulung absolvieren und arbeitswillig sein. Tut man das nicht oder wird gegen die Integrationsvereinbarung verstoßen – indem man Kinder etwa nicht in die Schule schickt -, wird dieser Betrag gekürzt.

Steiermark

Eine Deckelung der Leistung gibt es nicht. Bei Missbrauch sind aber Sanktionen in mehreren Schritten möglich. So wird die Leistung um 25 Prozent gekürzt, wenn etwa eine Arbeit nicht angenommen wird oder ein Bezieher nicht beim AMS erscheint. Die Sanktion kann sofort und ohne vorherige Ermahnung verhängt werden. Kürzungen sind in weiteren Schritten bis zu 100 Prozent möglich. Der Grundbetrag beträgt 863,04 Euro. Für anerkannte Flüchtlinge ist eine Integrationshilfe in der Höhe von 647,28 Euro und Sachleistungen vorgesehen, deren Erhalt mit Auflagen und Bedingungen verbunden wie dem Besuch von Deutsch- und Wertekursen. Bei Weigerung kommt es auch hier zu einer Reduzierung der Sozialleistung.

Kärnten

Die ÖVP hatte in der vorigen Legislaturperiode eine Deckelung gefordert, bei den Koalitionsverhandlungen stand sie aber nicht mehr zur Debatte. Damit gilt nach wie vor die Regelung mit einem Grundbetrag von 844 Euro.

Salzburg

Auch hier gibt es keine Kürzung und Deckelung bei der Mindestsicherung bisher, was vor allem auf den grünen Koalitionspartner zurückgeht. Auch für Asylberechtigte gibt es keine eingeschränkten Leistungen. Eine Gesetzesnovelle hat sogar zu Verbesserungen bei der Integration anerkannter Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt geführt – zugleich aber Verschärfungen bei den Sanktionen gebracht. Landeshauptmann Haslauer wünscht sich eine Bundesregelung, denn “es muss einen signifikanten Unterschied aus Einkommen aus Arbeit und Einkommen aus sozialer Fürsorge geben, denn derjenige, der arbeitet, darf nicht der ‘Geschnapste’ sein”.

Tirol und Vorarlberg

Die jeweils schwarz-grünen Landesregierungen in Tirol und Vorarlberg haben gemeinsam das sogenannte “Westachsen-Modell” umgesetzt, welches zwar keine Deckelung vorsieht. Die Leistung für Bezieher, die in Wohngemeinschaften leben – meist Flüchtlinge – wurde aber vermindert. Wohnen wird vermehrt als Sachleistung geregelt werden. Asylberechtigte, die die Integrationsvereinbarung nicht erfüllen, müssen mit einer Kürzung der Mindestsicherung um bis zur Hälfte rechnen. Aktuell gilt: Alleinstehende bekommen rund 650 Euro, Menschen in Wohngemeinschaften rund 480 Euro.

Der Beitrag stammt aus “EU-Infothek – Das unabhängige Magazin für Österreich und Europa” vom 16. Jänner 2019.

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