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25. Juni 2009 / 10:40 Uhr

Wien ohne vollwertige Gerichtsmedizin

Mehr als 200 Jahre lang wurden in Wien gerichtsmedizinische Obduktionen an Verstorbenen vorgenommen – seit Anfang 2008 nicht mehr, denn das Department für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Wien wurde eingestellt. Wien ist damit die einzige EU-Hauptstadt, die nicht mehr in der Lage ist, ihre gerichtsmedizinischen Obduktionen selbst durchzuführen.

Sanitätsbehördliche und polizeiliche Obduktionen dienen der Klärung von Todesursachen außerhalb von öffentlichen Krankenhäusern. Sie stellen zudem einen unverzichtbaren Bestandteil der Ausbildung für die zukünftigen Fachärzte für Gerichtliche Medizin dar.

Da der Rechnungshof durchaus berechtigte “sanitären Übelstände” sowie hohe Obduktionskosten kritisierte, wurde das Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz geändert, und die Obduktionen sollen seither von Pathologen in den jeweiligen Krankenanstaltsverbund-Spitälern durchgeführt werden. Besteht der Verdacht auf Fremdverschulden, müssen die jeweiligen Universitätsinstitute direkt mit der Durchführung der gerichtlichen Obduktion beauftragt werden – in Wien übernehmen das die Krankenhäuser SMZ-Ost, Kaiser-Franz-Josef-Spital und Hietzing. Eine Röntgenuntersuchung an der Leiche ist dabei allerdings nicht möglich – ein Umstand, der sich bei diversen Verletzungen als sehr nachteilig erwiesen hat. Die Rechtssicherheit ist so stark in Frage gestellt.

Abgesehen von den juristischen Problemen durch das Fehlen einer vollwertigen Gerichtsmedizin ergeben sich daraus auch Schwierigkeiten in der universitären Lehre und weiter in der Facharztausbildung. Eine gerichtsmedizinische Ausbildung ohne die Möglichkeit einer Obduktion wäre in etwa so wie eine Chirurgie ohne Operationen. Ein Facharzt für Pathologie kann zudem keinen Facharzt für Gerichtsmedizin ausbilden, zumindest nicht auf dem hohen Niveau, auf dem das bisher geschah. Die Gerichtsmedizin wird so systematisch ausgehungert, da die Zufuhr von neu ausgebildeten Ärzten nicht mehr möglich ist.

Martin Graf hat als Obmann des Wissenschaftsausschusses im Nationalrat eine parlamentarische Anfrage zum Thema Gerichtsmedizin an Wissenschaftsminister Hahn gerichtet. Unzensuriert.at wird aktuell über die Beantwortung berichten.

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