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16. Dezember 2010 / 18:39 Uhr

Jean Bertrand Aristide – vom Armenpriester zum reichen Despoten

Jean Betrand AristideAm 16. Dezember 1990 – vor genau 20 Jahren also – wurde der ehemalige katholische Pater Jean Bertrand Aristide erstmals zum Präsidenten von Haiti gewählt, aber ein Jahr danach durch einen Putsch aus dem Land gejagt. Auch seine zweite Amtszeit wurde gewaltsam beendet. Durch das Erdbeben im Jänner diesen Jahres kam das Land wieder in die Schlagzeilen. Haiti ist heute der ärmste Staat Amerikas und gilt als failed state. Zeit einen Blick auf das kleine Land in der Karibik zu werfen.

Von der ersten Kolonie zum zweiten unabhängigen Staat Amerikas

1492 landete Christoph Kolumbus als erster Europäer auf einer Insel, der er den Namen Hispaniola ("Die Spanische") gab. Zu Weihnachten 1492 gründete der Entdecker mit der Siedlung "La Navidad" die erste Kolonie in Amerika. Durch Gewalttaten der Spanier und eingeschleppte Seuchen wurden die Ureinwohner rasch ausgerottet und durch schwarze Sklaven ersetzt. Die heutige Bevölkerung der Insel setzt sich Großteils aus Schwarzen (ca. 95 %) und Mulatten (ca. 5%) zusammen. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg musste Spanien den Westteil der Insel an Frankreich abtreten, was zur Spaltung der Insel in einen französischsprachigen Teil, heute Haiti, und einen spanischsprachigen Teil, heute Dominikanische Republik, führte. Der französische Teil entwickelte sich durch den Anbau von Zuckerrohr so gut, dass er zeitweise zur reichsten Kolonie Frankreichs wurde.

Zuckerrohr

Zuckerrohr

Zuckerrohr war die Grundlage des Reichtums in Haiti
Foto: Essaky / Wikimedia

Während des 18. Jahrhunderts kam es immer wieder zu Sklavenaufständen, die blutig niedergeschlagen wurden. Im Landesinneren konnten sich aber Gruppen entlaufener Sklaven zu bewaffneten Banden, den "Maroons", zusammenschließen, die die Keimzellen einer eigenständigen Haitianischen Kultur bildeten. Wichtiger Bestandteil dieser Kultur wurde der Voodoo-Kult, der sich aus Elementen westafrikanischer Naturreligionen, katholischen Traditionen und indianischen Überlieferungen zusammensetzt; noch heute wird Vodoo von geschätzten 75 Prozent der Haitianer praktiziert.

Im Zuge der Französischen Revolution kam es auch in Haiti zu Aufständen, die 1804 zur Unabhängigkeit Haitis als "Erster freier Negerstaat" führten. Haiti wurde damit nach den USA zum ersten unabhängigen Staat Amerikas.

Instabilität und Verarmung

Jean Jacques Dessalines

Jean Jacques Dessalines

Statue von Jean Jacques Dessalines in Haiti
Foto: Remi Kaupp / Wikimedia

Bereits die Anfänge des unabhängigen Haiti verwiesen auf dessen unruhige Zukunft. Die brutale Herrschaft des selbsternannten Kaisers Jakob I. – des geflohenen Sklaven Jean Jacques Dessalines – endete nach zwei Jahren mit dessen Ermordung. Bürgerkriege, Rebellionen und stetig wechselnde Herrscher führten das Land an den Abgrund. Durch die politische Instabilität, verfehlte Landreformen sowie Inkompetenz und Korruption der neuen Machthaber brach die einst blühende Wirtschaft des Landes fast völlig zusammen. Dazu kam der stetige Gegensatz zwischen Mulatten, die sich als neue Oberschicht verstanden, und Schwarzen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich immer mehr Deutsche in Haiti an – ihre Zahl belief sich Anfang des 20. Jahrhunderts auf mehrere hundert -, die bald den Großteil der Wirtschaft kontrollierten. Um den großen Einfluss der Deutschen zu brechen, besetzten die USA 1915 den Staat. Mehrere Unabhängigkeitsbewegungen wurden brutal unterdrückt, bis sich die US-Streitkräfte 1934 wieder zurückzogen.

Papa Doc und Baby Doc

Nach mehreren wechselnden Potentaten wurde 1957 der Arzt Francois Duvalier, bald bekannt als Papa Doc, zum Präsidenten gewählt. Duvalier errichtete in der Folgezeit eine selbst für lateinamerikanische Verhältnisse besonders grausame Diktatur. Er stellte die "Nationale Sicherheitsmiliz aus Freiwilligen" auf, die als Tonton Macoute traurige Berühmtheit erlangten. Die Milizionäre gebärdeten sich als Voodoo-Dämonen und verbreiteten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Die Tontons waren mit ihren Markenzeichen, der Sonnenbrille und der Machete, überall in Haiti präsent und legten ihre Opfer zur Abschreckung oft an öffentlichen Plätzen ab. Vor allem die mulattische Mittelschicht wurde drangsaliert, was die Wirtschaftskraft des armen Landes weiter schwächte. Duvalier selbst präsentierte sich als Voodoo-Totengott Baron Samedi. Er soll die Vorlage für die Figur des Dr. Kananga im James Bond Film "Leben und Sterben lassen" sein. Trotz der Brutalität und bekannter Korruptionsvorwürfe wurde Duvaliers Regime von den USA gestützt, die um jeden Preis eine weitere Ausbreitung des Kommunismus in der Karibik verhindern wollten.

Papa Doc

Papa Doc

Francois Duvalier (links) mit dem israelischen Geschäftsträger
Foto: Shaula / Wikimedia

Um nach seinem Tod den reibungslosen Übergang der Macht an seinen Sohn Jean Claude Duvalier zu gewährleisten, wurden US-Kriegsschiffe vor die haitianische Küste entsandt.
Der als Baby Doc bekannte Sohn setzte das Schreckensregime seines Vaters fort, bis er 1986 von den USA fallen gelassen und daraufhin gestürzt wurde.

Jean Baptiste Aristide – neue Hoffnung für Haiti?

Jean Baptiste Aristide trat bereits in jungen Jahren in den Salesianerorden ein, der ihm die Möglichkeit bot, Theologie und Psychologie zu studieren. Nachdem er 1982 zum Priester geweiht worden war, wandte er sich bald der Befreiungstheologie zu und begann die Opposition gegen Jean Claude Duvalier zu unterstützen. In seinem Wahlkampf 1990 griff er die noch immer existierenden Tontons Macoute scharf an und versprach Verbesserungen für die verarmte Bevölkerung. Er wurde am 16. Dezember 1990 mit mehr als zwei Dritteln der abgegeben Stimmen zum Präsidenten gewählt. Um seine Reformen durchzusetzen, regierte Aristide  an der Nationalversammlung vorbei und verließ sich auf seine Unterstützer aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung. Bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt wurde ein Putschversuch durch Massendemonstrationen von Aristides Anhängern vereitelt. Im Herbst 1991 wurde Aristide von der Armee unter General Raoul Cedras gestürzt und musste ins Ausland fliehen.

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Aristides Rückkehr – "Nationbuilding" unter Bill Clinton

Die neuen Machthaber wurden anfangs auch von der US-Administration, insbesondere der CIA unterstützt, die für den Armenpriester Aristide wenig übrig hatte. Eine vermehrte Anzahl an Flüchtlingen sowie das Vorgehen der Putschisten, das an die Herrschaft der Duvaliers erinnerte, brachte die öffentliche Meinung in den USA immer stärker gegen das Regime auf. Bereits unter George Bush senior wurden die Demokratisierung der Welt und "Nationbuilding" verstärkt zu Zielen der Außenpolitik. Nach dem Scheitern in Somalia 1993 sollte Haiti jetzt zum Vorzeigeprojekt des "Nationbuildings" unter der neuen Präsidentschaft von Bill Clinton werden.

Aristide mit Clinton

Aristide mit Clinton

Jean Baptiste Aristide mit Bill Clinton
Foto: Kazem / Wikimedia

Im September 1994 begann mit der Operation "Uphold Democracy" die Invasion US-amerikanischer Streitkräfte in Haiti, die Aristide wieder ins Präsidentenamt brachte, der einstige Schützling Cedras musste ins Exil gehen.

"Chimeres" und "Kannibale" sichern Aristides Macht

1995 löste Aristide die Armee auf, um neue Umstürze zu verhindern. Die Hoffnung auf Ruhe und Frieden wich aber bald dem erneuten Terror. Wie bereits seine Vorgänger stützte sich Aristide auf bewaffnete Schläger –  die "Chimeres", eine erweiterte Polizeitruppe. Über die "Chimeres" konnte Aristide seinen Einfluss bewahren, als er 1995 nicht mehr für das Präsidentenamt kandidieren durfte, da dies die Verfassung verbot und sein Vertrauter Rene Preval dieses Amt übernahm.
2000 wurde Aristide erneut zum Präsidenten gewählt, Beobachter sprachen von massiver Manipulation und Einschüchterung. Neben den "Chimeres" setzte Aristide vermehrt auch auf andere bewaffnete Banden wie die "Armee der Kannibalen" und die "BS" (Brigade special, aber auch eine Abkürzung für Baron Samedi), um seine Gegner zu terrorisieren.

Baron Samedi

Baron Samedi

Kreuz des Baron Samedi, Friedhof in Port au Prince
Foto: Andrew Welch / Wikimedia

Außerdem heizte Aristide die Stimmung an, indem er seine – meist schwarzen – Anhänger aufrief, sich "ihrer Hautfarbe bewusst zu sein" und so wie bereits die Duvaliers gegen den mulattischen Mittelstand hetzte. Während die Bevölkerung Haitis hungerte, schwelgte er selbst in Luxus und häufte als Präsident ein Vermögen von ca. 40 Millionen Dollar an.

Kein Friede für Haiti

Nachdem Aristide die Anführer der "Armee der Kannibalen" und anderer Banden ermorden lassen hatte, wandte sich diese gegen ihn und schloss sich mit anderen Oppositionsgruppen zur Nationalen Befreiungsfront zusammen. 2004 musste Aristide zum zweiten Mal aus Haiti fliehen. UN-Truppen wurden entsandt, um die Ordnung wieder herzustellen. Auch wenn nach 2004 die Gewalt zurückging, ist die Lage bis heute prekär geblieben. Verschiedene bewaffnete Gruppen terrorisieren weiter die Bevölkerung. Zusätzlich verschärft wurde die Situation durch das Erdbeben im Jänner 2010, nach dem jede staatliche Verwaltung zusammengebrach.

Präsidentenpalast

Präsidentenpalast

Der Präsidentenpalast nach dem Erdbeben
Foto: Logan Abassi / Wikimedia

Allein die Präsenz ausländischer Soldaten und Polizisten verhindert ein völliges Eskalieren der Gewalttätigkeiten.

Aristide selbst hat in seinem südafrikanischen Exil angekündigt, wieder nach Haiti zurückkehren zu wollen, da er sich weiterhin als rechtmäßiger Präsident sieht. Er beschuldigt Frankreich und die USA, ihn 2004 aus dem Land entführt zu haben. Unterstützung erhält Aristide von verschiedenen lateinamerikanischen Linken wie Hugo Chavez. Auch in den Slums der Hauptstadt stehen bewaffneten Anhänger für seine Rückkehr bereit. Es ist zu befürchten, dass Haiti auch weiterhin keinen Frieden finden wird.

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