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4. Feber 2011 / 11:43 Uhr

Wer kommt, wenn Mubarak geht?

Foto: akiey / flickrDie derzeitigen Vorgänge in Ägypten lassen kaum eine Prognose über die weitere Entwicklung zu. Ob es wirklich zu einem Umsturz kommt oder Ägyptens Präsident Hosni Mubarak im letzten Moment das Ruder herumreißen kann, ist ungewiss. Es stellt sich die Frage nach den Akteuren in diesem orientalischen Machtspiel. Wofür steht das Regime und wer sind seine Gegner?

Der traurige Rest des Panarabismus

Die Nationaldemokratische Partei, die Regierungspartei Ägyptens, an deren Spitze Präsident Mubarak seit dreißig Jahren das Land regiert, ist ein Überbleibsel der einst mächtigen panarabischen Bewegung. Ebenso wie die Muslimbrüder, die nationalliberale Wafd Partei oder die arabischen Kommunisten entstanden panarabistische Bewegungen nach dem Ersten Weltkrieg, als die türkische Herrschaft im arabischen Raum endgültig gebrochen war. An ihre Stelle waren europäische Kolonialmächte getreten – in Ägypten hatte sich dieser Prozess bereits im 19. Jahrhundert zugetragen – und die Araber fühlten sich um ihre Freiheit betrogen. All diese Bewegungen waren Reaktionen auf die westliche Dominanz, ihr Ziel war nicht nur die langersehnte Unabhängigkeit der Araber sondern auch eine innere Erneuerung, um zu den westlichen Nationen aufzuschießen. Zentren dieser neuen Bewegungen waren Ägypten und Syrien, später auch der Irak.

Die Ideologie des Panarabismus gestaltete sich in den verschiedenen arabischen Ländern sehr unterschiedlich aus und setzte unterschiedliche Schwerpunkte, was die große Zersplitterung der Panarabisten erklärt. Gemeinsame Ziele waren die Vision eines geeinten Arabien vom Atlantik bis zum Persischen Golf, kollektivistische und sozialistische Ansätze sowie die strikte Ablehnung äußerer Einmischung. Der Islam als fixer Bestandteil der arabischen Identität wurde allgemein akzeptiert, seine Bedeutung innerhalb des Panarabismus schwankte aber stark. Panarabisten bezeichneten sich selbst oft als arabische Sozialisten und sahen ihre Ideologie als dritten Weg abseits der beiden Blöcke im Kalten Krieg.
Der Panarabismus in Ägypten ist untrennbar mit der Person Gamal Abdel Nasser verbunden, der 1952 nach einem Putsch der Freien Offiziere die Macht in Ägypten übernahm.

Nasser

Nasser

Gamal Abdel Nasser war der Held des Panarabismus
Foto: Wikimedia

Nasser stieg mit seinem Erfolg in der Suezkrise zum Held der arabischen Massen auf. Im Inneren engagierte er sich für die Ausbildung der Jugend, setzte eine Bodenreform durch und baute die medizinische Versorgung auf. Während ausländisches Eigentum verstärkt verstaatlicht wurde, war eine vollständige Enteignung privaten Eigentums keine Option.
Nach ersten außenpolitischen Erfolgen begann Nassers Stern zu sinken als 1962 die Union mit Syrien, ein erster Versuch arabischer Einigung, zerbrach. Die Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 war der schwerste Schlag für Nasser aber auch für den Panarabismus, da sich die arabischen Staaten aller martialischen Rhetorik zum Trotz als völlig unterlegen gezeigt hatten. Die gesamte Bewegung hat sich von diesem Schlag nie wieder erholt. Anwar es Sadats Friedensschluss mit Israel beendete Ägyptens führende Rolle in der panarabischen Bewegung, die danach ihre Mobilisierungskraft verlor und zunehmend der islamischen Erneuerung weichen musste. Sadats Nachfolger Hosni Mubarak stand von Anfang an im Schatten seiner beiden charismatischen Vorgänger, besondere außenpolitische Erfolge konnte er nicht vorweisen, und seine Rolle als Kriegsheld im Yom Kippur Krieg blieb umstritten. Durch seine Treue zu den USA und sein gutes Verhältnis zu Israel konnte Mubarak zwar großzügige Hilfe für sein Land erhalten, für islamistische Kreise wurde er dadurch allerdings zum Feindbild.

Die Macht der Muslimbrüder

Muslimbruderschaft

Muslimbruderschaft

Emblem der Muslimbrüder, ca. 1930
Foto: Wikimedia

1928 gründete der Lehrer Hassan al Banna in Ägypten die Muslimbruderschaft, sie ist heute weltweit die einflussreichste Vertreterin des politischen Islam. Durch eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Islam sollte die muslimische Welt erneuert werden. Vorbild ist die islamische Gemeinschaft zu Lebzeiten des Propheten Mohammed, das "Goldene Zeitalter des Islam". Die Muslimbrüder als modernisierungsfeindlich anzusehen, wäre dennoch falsch, moderne westliche Technologie wird begrüßt, ideologische Einflüsse aus dem Abendland werden aber strikt abgelehnt. Ein großer Teil der Führungsriege sind Akademiker mit naturwissenschaftlicher und technischer Ausbildung, technische Universitäten sind Hochburgen der Muslimbrüder. Der Hass der Bruderschaft richtet sich vor allem gegen die korrupten einheimischen Potentaten, die als Handlanger des Westens angesehen werden.

Qutb

Qutb

Sayyid Qutb war einer des einflussreichsten Vordenker
des politischen Islam
Foto: Wikimedia

Einer der wichtigsten Vordenker der Muslimbrüder, Sayyid Qutb, der 1966 in Ägypten hingerichtet wurde und wie Banna als Märtyrer verehrt wird, sah die Entwicklung der muslimischen Welt wie folgt: So wie Mohammed Mekka zu Beginn seines Wirkens verlassen musste, so sollen sich die Gläubigen aus der Welt der Ungläubigen zurückziehen, um ihren Glauben zu stärken. In einer zweiten Phase werden die Ungläubigen im Kampf überwunden, zuerst die heuchlerischen Regimes in der islamischen Welt. Das Endziel ist die Herrschaft nach den göttlichen Prinzipien des Islam. Die Scharia wird als politisch-gesellschaftlicher Rahmen, nach der die neue Ordnung aufgebaut sein soll, angesehen.
Die Bildung ihrer Anhänger, nicht nur in religiösen Angelegenheiten, ist ein zentrales Anliegen der Muslimbrüder. Daneben stehen soziale Hilfsprojekte und medizinische Infrastruktur, die von der Bruderschaft betrieben werden und ihr großes Ansehen in den ärmeren Bevölkerungsschichten einbringen.

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Das Verhältnis zur Gewalt innerhalb der Bruderschaft ist zwiespältig und wird von den einzelnen Zweigen unterschiedlich ausgelegt. Banna sah den Jihad als individuelle Pflicht jedes Muslims an, wobei sich dies nicht unbedingt auf die gewaltsame Auseinandersetzung, sondern auch auf den politischen Kampf beziehen kann. Sowohl Bannas als auch Qutbs Schriften sind in dieser Hinsicht nicht eindeutig und lassen breiten Interpretationsspielraum. Dies erklärt auch die unterschiedliche Ausrichtung und Vorgehensweise diverser Gruppen, die sich auf die Muslimbruderschaft beziehen. Während die ägyptische Muslimbruderschaft unter Nasser noch verstärkt in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht verstrickt war, änderte sie unter Sadat zunehmend ihre Haltung und versucht seither, ihre Ziele mit politischen Mitteln durchzusetzen. Radikale Abspaltungen waren die Folge, Sadat selbst fiel dem Anschlag der Splittergruppe Jihad Islami zum Opfer. Die Muslimbrüder verurteilten die Anschläge des 11. September wegen der unschuldigen Opfer, begrüßten aber die Aktionen der Hamas als Befreiungskampf; Hamas selbst ist der palästinensische Ableger der Bruderschaft. Das Endziel – der islamische Staat – steht aber außer Frage.

Die Muslimbrüder in Ägypten sind streng hierarchisch organisiert, dennoch fehlt eine charismatische Führungsfigur. Bei den derzeitigen Protesten hielt sich die Bruderschaft bisher auffallend zurück, obwohl sie die schlagkräftigste und mitgliederstärkste Oppositionskraft ist. Trotz Verbotes arrangierten sich die Muslimbrüder in den letzten Jahren mit dem Regime Mubaraks und stellt die größte Fraktion (offiziell unabhängiger Kandidaten) nach der Regierungspartei im Parlament. Etwa ein Drittel der Ägypter stehen hinter Bruderschaft, angesichts der manipulierten Wahlen und unterschiedlicher Darstellungen kann ihr tatsächlicher Einfluss aber nur grob geschätzt werden. Spektakuläre Anschläge wie in den 1990ern blieben in den letzten zehn Jahren in Ägypten aus. Nicht zu unterschätzen sind die finanziellen Mittel der Muslimbrüder, die auf 15 Millarden Dollar geschätzt werden.

Die Wafd Partei

El-Sayyid el-Badawi

El-Sayyid el-Badawi

El-Sayyid el-Badawi, Präsident der Wafd Partei
Foto: Abdelrhaman, Wikimedia

Die Wafd Partei wurde 1922 als nationalistische Partei gegründet und blieb bis zu Nassers Putsch 1952 die mit Abstand stärkste Partei. Sie stellte zwar über weite Strecken die Premierminister dieser Zeit, konnte sich aber gegen den König, der von den Briten gestützt wurde nie durchsetzen. Ihre Politik richtete sich in erster Linie gegen die britische Präsenz in Ägypten und wurde von der Mittelschicht und Armeeoffizieren getragen. 1952 erließ Nasser ein Parteiverbot, erst 1983 konnte sich die Neue Wafd Partei gründen, die als liberal gilt und ihre Basis im städtischen Mittelstand hat. An ihre alte Größe konnte die neue Wafd Partei nie anknüpfen. Bei Wahlen kam sie kaum über fünf Prozent hinaus, ihre Anhängerschaft dürfte aber größer sein. Vor allem der neue Präsident der Partei El-Sayyid el-Badawi  gab ihr zuletzt wieder Auftrieb.

Ägyptens Jugend begehrt auf

In besonderem Maße werden die Proteste von jungen Ägyptern getragen, die oft nicht politisch organisiert sind. Trotz steigendem Bildungsniveau sind die Berufsaussichten für Ägyptens Jugendliche extrem schlecht. Über die Neuen Medien bietet sich ihnen vermehrt die Möglichkeit sich zu vernetzen und Proteste gegen das als korrupt und zukunftslos angesehene Regime zu organisieren. Ob sich daraus eine oder mehrere schlagkräftige Organisationen bilden können, bleibt abzuwarten.

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